Dienstag, 23. Februar 2021
Yamato Nadeshiko -31-
?In der Folgezeit habe ich eine andere Frau gefunden, aber auch sie war irgendwie nicht die Richtige. Durch sie bin ich aber mit der Gothic-Szene und den Mittelalter-Events in Berührung gekommen. Ich habe mich im Internet informiert, auf verschiedenen Portalen angemeldet und mitgelesen, was dort darüber geschrieben wird.
Durch Zufall fand ich dann das Portal, auf dem der ?Rabe? und die ?Eule? aktiv sind. Die Beiden haben mich nach einem Jahr des Diskutierens über die verschiedensten Themen in ihre WhatsApp-Gruppe eingeladen. ? Und nun bin ich hier gelandet. Der ?Rabe? ist übrigens der Ortsvorsteher Herr Schmidt.?

?Ah,? antwortet Feli nach einer Weile des stummen Nebeneinanderhergehens. ?Ich hatte einen etwas anderen Werdegang. Ich hatte mich seit der Pubertät nach etwas anderem als dem Verhalten einer modernen emanzipierten Frau gesehnt. Was es war, konnte ich nie benennen. Ich habe mich auch nie im Internet schlau darüber gemacht.
Ich dachte immer, ich sei irgendwie falsch gestrickt, hätte schlimme Gedanken, oder so. Ich versuchte also, diese Sehnsüchte immer zu verstecken. Die Männer, mit denen ich zusammenkam, wollten meist, dass ich sie führe, dass ich den Alltag plane und bestimme. Diese Freundschaften sind schnell zerbrochen.
Vor zwei Jahren habe ich mich regelrecht dazu durchringen müssen, einen Tanzkurs zu besuchen. Nicht irgendeinen! Kein Paartanz! Ich habe mich für den Bauchtanz entschieden. Vordergründig, um abzunehmen. In der Tiefe meines Herzens aber wohl, weil mich die Sehnsucht nach einem starken Mann antrieb.
Gleichzeitig habe ich es aber immer abgelehnt, vor Publikum zu tanzen. Ich fürchtete, ein starker Mann wäre darunter und würde mich benutzen. Vor wenigen Monaten meldete sich eine zierliche Japanerin in unserem Kurs an. Sie brauchte nun wirklich kein Gewicht zu verlieren mit dem Tanz als Gymnastik! Nein, ihr Antrieb war es wohl, ihrem Herrn zu gefallen mit diesem Tanz??

Ich nicke und nach einer kleinen Weile fährt Feli fort:

?Nach ein paar Wochen kam Ruri-chan, so heißt die Japanerin, in Begleitung ihres Herrn in den Kurs. Sie hat uns gezeigt, wie in ihrer Heimat eine Geisha einen Mann mit ihrem Tanz unterhält. Anschließend musste ich ihrem Herrn den Bauchtanz vorführen.
Das hatte zur Folge, dass ich der Japanerin hier in Hagenholt ein Intensivtraining in Bauchtanz geben sollte. Im Gegenzug bekam ich in Theorie und Praxis einen Intensivkurs zur Meido. Das ist Japanisch und bedeutet ?Magd?. Wie die Geisha in der japanischen Kultur nicht eine Prostituierte ist, sondern eine Begleiterin, Gesellschafterin und Tänzerin, so ist dort in der heutigen Zeit die Meido so etwas wie eine Vorstufe zur Geisha, eine Auszubildende oder Schülerin.
Der Lebensstil, der hier in Hagenholt gelebt wird, verbindet nun beides. Das Idealbild einer japanischen Frau bezeichnet sie als eine Mischung aus Hausfrau, Geisha und Samurai. Im Innenverhältnis lässt sie sich von ihrem Herrn führen, lässt ihn planen, gehorcht ihm. Von außen betrachtet ist sie willensstark, beschützt ihre Familie, erträgt Schmerzen, wenn es sein muss.?

?Sie erträgt Schmerzen?? frage ich erschrocken.

Irgendwie habe ich nun Sadomaso im Kopf. Sie erkennt meine Reaktion und lenkt ein:

?Da habe ich mich wohl etwas falsch ausgedrückt. Es könnte ja passieren, dass ein schlimmer Charakter die Meido entführt, um den Herrn zu erpressen. Gleichzeitig quält er die Meido im Versteck, um an Informationen zu kommen, die ihm nützen könnten. Lieber würde die Meido sterben, als ihrem Herrn zu schaden!
Ihr Herr dagegen würde seiner Meido niemals Schmerzen zufügen! Er trägt die Verantwortung für ihr Wohl, und er weiß dieser Verantwortung gerecht zu werden! Um in diesem Zusammenhang den Bogen zum ersten Beispiel zu spannen: Er würde seine Meido zu befreien versuchen, und den Verbrecher zur Rechenschaft ziehen!?

?Okay,? antworte ich. ?Jetzt hast du mir grundsätzliches über die Magd und den Herrn erzählt. ? Wie steht es aber mit dir? Bin ich dir sympathisch genug, dass du dir vorstellen könntest, mit mir befreundet zu sein??

Sie lächelt mich an und meint:

?In der Vanilla-Welt da draußen, wären diese Fragen in der jetzigen Situation angebracht. In der japanischen Variante mag die Magd ihren Herrn und unterwirft sich ihm aus freiem Willen.
Bis es jedoch soweit ist, muss sie sich sicher sein, dass er ein verantwortungsbewusster und fürsorglicher Herr ist. Dazu darfst du die Magd zu gemeinsamen Unternehmungen abholen. Im Laufe der Zeit wächst so das Vertrauen der Magd zu dem Herrn und wenn sie den Zeitpunkt für gekommen hält, geht sie vor ihm auf die Knie und erbittet seinen Halsreifen?
Bei mir ist es ein klein wenig komplizierter: Ich arbeite in der Taverne. Die Zeit, die ich dort in der Küche und in der Bedienung verbringe, brauche ich dann, um dir in deinem Haus zu dienen. Muss ich dagegen in der Taverne auf die Bühne? Das möchte ich gerne auch weiterhin tun dürfen! Hier musst du mit Herrn Loose eine Regelung treffen.?

?Das hört sich wunderbar an, Feli! Ich werde also schauen, ob ich Zeiten herausarbeiten kann, um mit dir Ausstellungen und Veranstaltungen zu besuchen, gemeinsame Kinobesuche und vieles mehr. Dann gehe ich zu deinem Herrn und frage, ob er dich in der vorgesehenen Zeit entbehren kann.?

Sie nickt.

?Genau das ist der richtige Weg zum Ziel! Darf ich dir noch einen Rat geben??

?Aber ja!? fordere ich sie auf.

?Geh zu Herrn Schmidt und lass dir etwas über die Ethik der alten Samurai erzählen! Das gehört zur Charakterbildung des Herrn in der japanischen Variante. Aber lass dich von der Aufzählung der Tugenden nicht erschlagen! Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen! Auch die alten Samurai brauchten Zeit sie zu verinnerlichen.?

?Okay,? sage ich. ?Das werde ich machen. Wo du den Begriff ?Samurai? erwähnst, fällt mir ein: du hast gesagt, die Magd ist ihrem Herrn eine Hausfrau, Geisha und Samurai. Inwiefern ist sie ihm ein Samurai??

?Die Herren lernen neben den Tugenden der Samurai als Gegenstück zu den Tugenden der Magd, auch eine alte Waffe zu beherrschen. Das soll der Charakterbildung dienen und sie Verantwortung lehren. Außerdem erhalten sie Unterricht in Ju-Jutsu, einer schnell zu erlernenden waffenlosen Verteidigungstechnik. Auch die Frau, die sich dafür interessiert, darf Ju-Jutsu lernen. So ist sie in der Lage, sich zu verteidigen, wenn ihr Herr gerade nicht anwesend ist, oder sich gemeinsam mit ihrem Herrn gegen eine Schar Angreifer zu stellen, die sie vielleicht bestehlen wollen,? erklärt Enie.

?Oh,? mache ich. ?Okay.?

In der Zwischenzeit haben wir den Ort wieder erreicht. Ich bringe sie noch zur Taverne und wir verabschieden uns herzlich voneinander. Dabei vollführt Feli einen Knicks vor mir. Darüber muss ich lächeln und gehe leichten Herzens nachhause.

*

Einige Tage später habe ich mich mit der Technik im Ort soweit vertraut gemacht, dass ich gezielt eingreifen kann, sollte irgendwo ein Fehler auftreten. An den Abenden nach den gemeinsamen Essen in der Taverne gehe ich zu Herrn Schmidt und lasse mir alles über die Tugenden der Samurai erzählen. Sie sind jeweils aufgeteilt in Gut und Böse und leicht verständlich. Die Tugenden in das eigene Leben zu integrieren wird wohl trotzdem etwas dauern.

Daneben erklärt mir Herr Schmidt, dass ich mir eine Waffe aussuchen darf, mit der ich üben muss, bis ich sie wie im Traum beherrsche. Es soll allerdings keine Schusswaffe sein, woran ich zuerst gedacht habe. Die Samurai hätten damals große Fertigkeiten im Schwertkampf gehabt und wären gute Bogenschützen gewesen.

Ich könnte mir eine solche Waffe zum Training wählen oder eine ganz ausgefallene, meint er. Da ich in meiner Jugend gerne Karl-May-Romane gelesen habe, fällt mir nach einiger Überlegung die Bola der südamerikanischen Gauchos ein. Ich suche im Internet nach Bildern und einer Beschreibung, und bringe sie bei unserem nächsten Treffen zu Herrn Schmidt. Der Mann scheint begeistert zu sein. Er ermuntert mich, nach einem Hersteller zu suchen und einige Bolas zu bestellen.

Auch regt er an, dass ich mich mit den anderen Herren zu regelmäßigen Ju-Jutsu-Übungen treffe, damit ich mich und meine zukünftige Magd auch ohne Waffe verteidigen kann. Das Benutzen von Waffen ist hier in Deutschland verboten.

Er zwinkert mir zu. Dass ich ein Auge auf Feli geworfen habe, scheint inzwischen jeder hier im Ort zu wissen, aber niemand spricht offen darüber. Es ist wohl an mir, den ersten Schritt zu tun.

Ich frage Herrn Schmidt auch nach einem bestimmten Ritual um den Stein in den Tischen. Herr Schmidt lächelt und nickt:

?Ja, Herr Vogt. Sie müssen unbedingt noch eine meditative Wanderung durch die Natur machen, bevor Sie ihr Haus so richtig in Besitz nehmen und einziehen! Von dem Stein, den Sie unterwegs finden, sagt man ?Nicht der Mann liest den Stein vom Boden auf, sondern der Stein findet den Mann!? Übrigens gibt es etwas ähnliches auch in Japan: Dort denkt man sich alle Lebewesen, Pflanzen, die ganze Natur und Naturphänomene als beseelt. In allem steckt ein ?Kami?. Von daher kann man sich denken, dass nicht der Mann einen Stein, sondern der Stein seinen Mann findet!
Lesen Sie niemals wahllos irgendwo Steine auf! Japaner wären darüber entsetzt! Eine Mineralien-Sammlung in einer Vitrine, nur weil sie schön aussieht, halten Sie für eine Gotteslästerung. Die Seelen der Steine müssen unbedingt an ihrem Platz bleiben. Alles andere bringt Unglück. Wenn sie aber nun ziellos durch die Gegend wandern, meditieren und dabei einen besonderen Stein entdecken, weil Sie eine Verbindung zur Natur in ihrem Heim brauchen, ist das etwas anderes.
Als von unseren japanischen Freunden die künstliche Insel besiedelt wurde, haben sie unter Aufsicht des Schreinpriesters ihres Heimatschreins Steine vom Gelände des Schreins genommen. Der Priester hat um Mitternacht mit einer Zeremonie den Kami des Schreins gebeten, außer dem Shintai -Reliquie- des Schreins, auch diese Steine als Wohnsitz zu nehmen. So können sie sie als Bunrei -Wohnsitz des Kami- in ihren Haushalten auf der Insel verehren. Wir haben nun keine Schreinpriester hier, die als Mittler dienen können, also heißt es mit Respekt vor der Natur selbst handeln!?

Ich bin nun mehrfach rund um Hagenholt gewandert und auch durch den Wald gestreift, bis ich einen eiförmigen Stein mit einer weißen Quarzader vor mir liegen sehe. Er könnte der Form nach vor Jahrtausenden ein Faustkeil gewesen sein. Ihn hebe ich auf und trage ihn nachhause.

Nachdem ich mich in Hagenholt wohl fühle, will ich ein Essen für die Leute hier in meinem Haus geben. Ich frage Herrn Loose, ob Feli mich noch einmal zu einem Spaziergang begleiten darf.

Als wir beide allein sind, eröffne ich ihr meinen Entschluss. Sie findet, das sei eine gute Idee.

?Es wird aber ein kaltes Essen, wie ein Kuchenbuffet sein,? meine ich. ?Das kann ich mit meinem Lieferwagen in der Bäckerei im Nachbarort holen. Da das Haus keinen Herd hat, kann ich keine warme Speise anbieten.?

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