Samstag, 30. Januar 2021
Yamato Nadeshiko -19-
„Okay, ich bin gespannt.“

In der Folgezeit schaue ich mich nach einem Areal um, kilometerweit vom nächsten Ort entfernt und doch in der Nähe einer Bundesstraße. Ich habe bald etwas gefunden, in einer Talsenke liegend. Eine Seite des Areals wird von einer Bundesstraße begrenzt, die sich an einer Felswand entlangschlängelt. Die Eigentumsverhältnisse sind bald geklärt und der Preis ebenso. Als Weideland kann ich mir den Bodenpreis gerade leisten. Geld für einen Architekten wäre auch vorhanden. Aber dann ist Organisationstalent gefragt.

Ich fahre zu der Genossenschaftsbank auf deren Gebiet die Talsenke liegt. Dort eröffne ich ein Spar- und ein Genossenschafts-Konto, auf die ich mein Geld überweise. Dann telefoniere ich nach einem Architekturbüro, das Erfahrungen mit historischen Bauwerken hat und einen mittleren Preis für seine Leistungen verlangt.

Nach einem guten Monat bin ich soweit, meine Vorstellungen mit dem Architekten zu besprechen. Zwischenzeitlich texte ich weiterhin mit Ruri-chan und erzähle ihr, was ich vorhabe und wie weit mein Vorhaben gediehen ist. Sie gibt mir wiederholt zu verstehen, dass ich mich wegen der finanziellen Seite meines Vorhabens unbedingt mit Tanaka-Sama in Verbindung setzen soll.

Als das Architekturbüro einen vorläufigen Plan der Stadt und eine Berechnung der voraussichtlichen Kosten vorlegen kann, wird mir beinahe schwindlig. Ruri-chans Rat folgend, nehme Verbindung mit Tanaka-Sama auf der Burei no Shima auf. Der Kanrisha –Ortsvorsteher- sagt mir zu, dass sein Sohn Tanaka-San in den nächsten Tagen nach Deutschland kommen will, um sich vor Ort zu informieren.

Jetzt werde ich hektisch. Ich schaue mich nach einem angemessenen Hotelzimmer für den jungen Mann um. Er wird mit seiner Meido Moe-chan reisen und hat sich in den Kopf gesetzt, Ruri-chan mitzubringen. Sie werden von Kyoto mit Zwischenstopp nach Düsseldorf fliegen. Das Hotelzimmer verschmäht Tanaka-San allerdings. Er will bei mir übernachten. Ich lebe allein in einer Zwei-Zimmer-Wohnung mit wenig Komfort, weil mir das bisher nicht wichtig war.

Als ihr Flugzeug der All Nippon Airways landet, bin ich im Flughafen, um sie zu begrüßen. Das Wiedersehen mit Ruri-chan fällt emotional aus. Tränen der Freude fließen bei uns Beiden. Anschließend bringe ich meine Gäste zu mir nach Hause.

An der Schwelle zu meiner Wohnung sagt Tanaka-San traditionsgemäß:

„O-jama shimasu -Ich störe jetzt-,“ und tritt ein.

Er schaut nach Hausschuhen. Bedauernd schüttele ich den Kopf und sage:

„Sumimasen -Entschuldigung, Tanaka-San. Ich hörte, Sie haben früher in Kanada gelebt. Dort gab es sicher auch keine Hausschuhe für die Besucher am Eingang. Ich bin sicher, dass Ruri-chan das irgendwann ändern wird. Mein Okay dafür hat sie schon jetzt!“

Ruri-chan verbeugt sich lächelnd. Wir gehen tiefer in die Wohnung. Ich zeige Tanaka-San die Zimmer und sage:

„Das Schlafzimmer können Sie nutzen, verehrter Tanaka-San. Ich werde mit Ruri-chan die Couch im Wohnzimmer zum Schlafen nutzen. Sie müssen sicher müde von der langen Reise sein! Also machen wir heute nicht mehr viel. Morgen werden wir reisen. Ich zeige Ihnen dann den Standort der späteren Stadt und bringe Sie auch mit dem Architekten zusammen, sowie mit der Bank.“

Anschließend bitte ich meinen Gast, sich an den Couchtisch zu setzen und lege ihm die Zeichnungen des Architekturbüros vor. Dann zeige ich Ruri-chan die Küche und meinen Teekocher. Nun setze ich mich zu Tanaka-San und erkläre ihm die Zeichnungen. Zehn Minuten später bringt Ruri-chan vier Tassen Tee an den Tisch.

Nicht lange danach ziehen sich meine Gäste ins Schlafzimmer zurück und auch ich baue die Couch zu einem Doppelbett für Ruri-chan und mich um.

*

Am nächsten Morgen stehen Ruri-chan und ich früh auf. Ich zeige ihr das sogenannte ‚Kontinentale Frühstück‘. Danach machen wir den Esstisch für das Frühstück bereit. Während wir noch damit beschäftigt sind, werden auch unsere Gäste munter und belegen das Bad. Anschließend finden sich Tanaka-San und Moe-chan beim Frühstück ein.

"Ohayo gozaimasu -Guten Morgen-!“ wünsche ich und nicke lächelnd. Ruri-chan verbeugt sich respektvoll.

Tanaka-San gibt den Gruß lächelnd zurück und überblickt dabei das Frühstücks-Arrangement. Er setzt sich auf einen Stuhl und zieht den Stuhl neben sich in eine angenehme Sitzposition für Moe-chan.

„Arigatou gozaimasu –Vielen Dank-, Schmidt-San. Ich habe schon lange nicht mehr solch ein Frühstück erhalten!“

Während er Moe-chan das Aufback-Brötchen aufschneidet, kümmere ich mich in ähnlicher Weise um Ruri-chan.

Nach dem Frühstück räumen die Meidos die Reste in die Küche zurück und spülen das wenige Geschirr und Besteck von Hand, während Tanaka-San und ich uns in die Couchecke setzen und die Pläne des Architekten durchsprechen.

Ich erkläre ihm, dass die Häuser das Mittelalter authentisch abbilden sollen, also innen auch wenig moderne Technik aufweisen. Ganz ohne, wird es wohl nicht gehen. Darüber habe ich schon Diskussionen mit dem Architektenteam geführt. Da die Häuser ja das ganze Jahr über bewohnt werden sollen, müssen sie den deutschen Hygiene- und Sicherheitsbestimmungen genügen.

Also gibt es Elektrizität in den Häusern, wenn auch dezent. Genauso wird auf moderne Toiletten- und Badgestaltung Wert gelegt. Das bedeutet auch, dass zuerst ein funktionierendes Kabel- und Abwassernetz verlegt werden muss. Drei Windmühlen sollen die Stromversorgung sicherstellen. So kann auch schon einmal eine Mühle zu Wartungszwecken abgeschaltet werden. Frischwasser soll über Grundwasser-Bohrungen sichergestellt werden. Hydranten mit Schlauchkästen alle zwanzig Meter halten die Brandgefahr klein.

Tanaka-San fragt mich, wie ich mir den Fahrplan zur ‚Museums-Siedlung‘ vorstelle. Ich antworte:

„Ich habe in der für diese Gegend zuständigen Genossenschaftsbank zwei Konten eröffnet. In einem Konto liegt mein komplettes Vermögen, bis auf einen Betrag von 10.000 Euro, den ich auf dem Genossenschaftskonto angelegt habe. Damit bin ich Genosse, also Teilhaber der Bank, und kann an den Genossenschaftssitzungen teilnehmen. Dort sind auch örtliche Politiker anwesend. Nun stelle ich mein Projekt vor und erkläre, dass es Tourismus in diese abgelegene Gegend bringt – und damit Steuereinnahmen. Allerdings brauche ich dafür eine Expertise, die meine Ansicht untermauert.“

„Und wie erlangen Sie solch eine Expertise, ehrenwerter Schmidt-San?“ fragt er zurück.

„Tja“, meine ich. „Da muss ich noch mit einer Hochschule reden.“

Tanaka-San nickt und erkundigt sich:
„Wenn es soweit klar ist, wie geht es dann weiter?“

„Die federführende Bank beantragt für uns dann die Umwidmung von Weideland in Bauland in der Gemeindeverwaltung. Die Gemeinde spekuliert ja auf höhere Steuereinnahmen. Anschließend beauftragt der Architekt ein Tiefbau-Unternehmen, das die Gräben für die Rohre und die Gruben für die Keller aushebt. Beton-Bodenplatten werden gegossen und Grundmauern hochgezogen.“

„Und wenn die ersten Häuser stehen?“ fragt er weiter.

„Dann müssen wir ausreichend Werbung machen in den unterschiedlichen Foren für Freilichtmuseen bis hin zu Ferienwohnungen, denke ich. Vielleicht laden wir auch schon während des Bauens die Presse ein.“

In den nächsten Tagen fahre ich mit meinen Gästen zu dem Tal und wir machen dort einen ausgiebigen Spaziergang. Tanaka-San regt einen großen Parkplatz neben der Straße an. Danach möchte er mit meinem Architekten sprechen. Und am Folgetag führe ich ihn in die Genossenschaftsbank. Er lässt sich das Verfahren von den Bankern noch einmal erklären.

An den Nachmittagen und Abenden führe ich Tanaka-San, Moe-chan und Ruri-Chan in japanische Restaurants und deutsche Theater einer nahen Stadt.

Dann will Tanaka-San auch mit dem Bürgermeister der zuständigen Gemeindeverwaltung reden. Der Mann hört sich unser Anliegen an und besucht mit uns den örtlichen Baudezernenten. Wir lassen die Berechnungen des Architekten da und verweisen auf eine wissenschaftliche Machbarkeitsstudie der Hochschule in der nahen Großstadt. Die Gemeindeverwaltung will nun vor einer Entscheidung erst die Studie abwarten. Das ist verständlich, bedeutet aber einen Aufschub von bis zu vier Monaten. Na, es hilft nichts. Wir müssen halt warten.

Bevor Tanaka-San mit Moe-chan zurückfliegt, besuchen wir die Genossenschaftsbank ein letztes Mal. Er eröffnet dort ein Baukonto und weist nach Rücksprache mit seinem ehrenwerten Vater, dem Kanrisha -Ortsvorsteher- auf der Bunrei no Shima, erst einmal einen Betrag von einer Million Euro an. Anschließend bin ich mit Ruri-chan alleine.

Ich zeige ihr die deutsche Küche, damit sie sich bei Besuchen auskennt. Gleichzeitig kaufe ich in ihrer Begleitung typisch japanische Lebensmittel in speziellen Lebensmittelläden ein. So entsteht eine einzigartige Mischung. Mein Bett wird verschrottet und gegen zwei Futons ausgetauscht, damit sie besser schlafen kann. Es dauert nun allerdings noch zwei Jahre bis wir in unser Haus in dem Museumsdorf umziehen können.

Da mein Weg zur Arbeit dann zu weit ist, habe ich frühzeitig gekündigt und eine eigene Firma gegründet, die das Museumdorf bewirtschaften wird. Ich brauche Mitarbeiter. Dafür frage ich als Erstes in meiner WhatsApp-Chatgruppe nach Interessenten.

*

Wir befahren seit mehreren Stunden eine Bundesstraße durch die hügelige Landschaft des deutschen Mittelgebirges. Ab und zu führt die Straße an einer Felswand vorbei, die hier und da mittels Stahlnetzen gegen Steinschlag abgesichert ist. Auch jetzt haben wir auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine graue Steilwand.

Auf der Beifahrerseite wechseln eingezäunte grüne Weiden mit Feldern ab. Weit voraus kann ich abseits der Straße einen kleinen Wald erkennen.

„Der Navi sagt, dass wir gleich da sind. – Hier sind wir schon.“

Die Fläche vor dem Wäldchen entpuppt sich als größerer Parkplatz. Zwei Wohnmobile stehen dort. Ich fahre weiter auf den Parkplatz und halte am Waldrand an, steige aus und umrunde unseren Wagen, während Gabi ebenfalls den Wagen verlässt. Dann betätige ich das Funkschloss und wir entfernen uns auf einem schotterbelegten Weg am Waldrand entlang vom Parkplatz.

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