Samstag, 2. Januar 2021
Yamato Nadeshiko -5-
Der Mann lächelt und fragt zurück:
„Nicht wahr, das ist ein faszinierendes Fluggerät! Was möchten Sie genau darüber wissen, Tanaka-San?“

„Es besteht ja aus zwei Komponenten, und kann im Wasser landen und starten…“

„Okay, also: Ein junges deutsches Start-up-Unternehmen hat ein Lufttaxi entwickelt. Wir haben das Prinzip übernommen und weiterentwickelt. Ihr ehrenwerter Vater hat ein Entwicklungsbüro beauftragt und nachdem ein Modell Eins zu Zehn mit Fernsteuerung optimal funktionierte, hat man den Tarn gebaut. Auch hier wird nur das Innenteil als Flugtaxi auf dem freien Markt verkauft, um die Entwicklungskosten wieder herein zu holen. Der Jet bleibt dagegen streng geheim. Vielleicht wird er in einigen Jahrzehnten auf dem freien Markt angeboten, als Zubehör zu einer solchen Insel.
Der Quadrokopter kann auch ohne Antriebe ausgeklinkt werden und dient dann als Rettungsinsel für den Fall, dass der Tarn einmal notlanden muss.“

„Oh,“ mache ich erstaunt.

„Es ist nicht leicht, ihn zu fliegen,“ bemerkt Morishita-San. „Man muss quasi mehrere Qualifikationen erlangen. Da wäre erst einmal der Hubschrauber-Pilotenschein, dann der Jetpiloten-Schein. Anschließend muss man sich mit den Wasserstarts und -landungen vertraut machen, die ein richtiger Jetpilot tunlichst vermeidet. Und ein Speedboot-Führerschein wäre auch nicht schlecht, damit man ein Gefühl dafür bekommt, die sich das Wasser bei der Geschwindigkeit verhält.“

„Das bedeutet sicher eine umfangreiche Ausbildung und nachher jede Menge Übungsstunden,“ meine ich mit gedämpfter Euphorie.

Das Fluggerät ist sicher nichts für mich. Reizen würde es mich schon, aber das Erlangen der genannten Scheine dürfte mehr als ein Jahr Vollzeitstudium in Anspruch nehmen. Wie lange es dann dauert, bis ich danach die nötige Routine erlangt habe, weiß ich nicht zu sagen.

*

Osawa-San, mein Ju-Jutsu-Lehrer, holt mich an meinem Zimmer ab. Er hat angeklopft und als ich die Tür öffne, verbeugt er sich leicht und sagt:

„Sumimasen -Entschuldigung-, wir wollen in den Rumu no Jogen -Ratssaal- gehen.“

Neugierig folge ich ihm.

Auf einer anderen Ebene betreten wir einen Raum, den ich in einer Firma einen Konferenzraum nennen würde. Große Fensterflächen bieten einen fesselnden Ausblick. Von den Wänden abgerückt steht dort ein Sessel vor einem niedrigen Block. Auf diesem ruht in einer Schale ein dunkler Stein, durchzogen von weißen Adern. Er liegt in einem Moosbett, soweit ich das beurteilen kann. Um diesen Block sitzen Männer auf Hockern, die genauso aussehen, wie der in meinem Zimmer an der Wand.

Bei den Männern handelt es sich um frühere Abteilungsleiter der Firma meines Vaters, die auch auf der Insel zu Funktionsträgern geworden sind. Zwei Hocker sind bei unserem Eintritt noch nicht besetzt. In dem Sessel sitzt mein ehrenwerter Vater und lächelt mir entgegen.

„Tritt vor, Tanaka Masao!“ sagt mein Vater.

Ich mache ein paar Schritte in den Raum und stehe vor ihm. Die Blicke aller Anwesenden spüre ich auf mir ruhen. Hinter mir wartet Osawa-San.

Er erhebt das Wort:
„Ich, Osawa Isamu, gebe mein Wort, dass dieser Mann geeignet ist, Mitglied im Rat der Bunrei no Shima zu werden.“

Mein ehrenwerter Vater antwortet ihm, wie nach einem festgelegten Ritual:
„Ich, Tanaka Daisuke, akzeptiere dein Wort!“

Reihum steht nun jedes Ratsmitglied auf, nennt seinen Namen und erklärt, dass er ebenfalls das Wort meines Lehrers für die Selbstverteidigung anerkennt. Danach überreicht mir mein Vater feierlich die Samurai-Schwerter, die bisher in meinem Zimmer als Wandschmuck gedient haben.

„Wirst du immer zum Wohle der Gemeinschaft handeln, dich respektvoll und ehrenhaft, sowie verantwortungsbewusst verhalten?“ fragt mein Vater bei der Übergabe.

„Ja, das werde ich!“ antworte ich mit fester Stimme.

„Welcher ist dein Bunrei?“ fragt mein Vater weiter.

Ich ahne, welche Antwort von mir erwartet wird, und antworte:
„Mein Bunrei ist der unserer Insel, unserer Gemeinschaft.“

„Dann,“ fährt mein Vater fort, „erkläre ich dich hiermit in meiner Eigenschaft als Kanrisha –Ortsvorsteher- dieser Insel in Gegenwart der Versammlung der Ratsherren zu meinem Stellvertreter.“

Mein Vater lächelt. Ein Gefühl des Stolzes steigt in mir auf, als ich die Zustimmung des Rates in Form des aufbrandenden Beifalls vernehme.

Anschließend soll ich mich auf den leeren Hocker neben seinem Sessel niederlassen. Osawa-San setzt sich auf den übrigbleibenden Hocker. Nun beginnt mein ehrenwerter Vater in geheimnisvollen Ton zu sprechen:

„Wie ihr wisst, wurde die Tochter unseres ehrenwerten Geschäftsfreundes von der Gokudo -extremer Weg (Yakuza)- entführt, um einer hohen Geldforderung Nachdruck zu verleihen. Die erste größere Aufgabe für den ehrenwerten Tanaka Masao wird es sein, die junge Frau aufzuspüren und -wenn möglich- zu befreien.“

Erstaunt schaue ich zu meinem Vater auf. Ich höre zum ersten Mal davon, was alle anderen Anwesenden wohl schon wissen, denn sie haben genickt, während mein Vater gesprochen hat.

Er wendet sich mir zu und fragt:
„Oder möchte der ehrenwerte Jogen -Ratsherr- Tanaka-San die Aufgabe an jemand anders weitergeben?“

Ich schüttele den Kopf und antworte:
„Sumimasen -Entschuldigung-, mir fehlen dazu nur sämtliche Informationen…“

Mein Vater neigt lächelnd den Kopf und sagt:
„Du sollst alles erhalten, was du brauchst. Zusätzlich wird ein Quadrokopter in der Nähe über dich wachen!“

Nun nicke ich erleichtert. So lässt sich das Unternehmen besser an.

*

Ich, Tanaka Masao, habe eine umfangreiche Unterweisung bekommen. Anschließend hat der Betriebsarzt mir einen Chip unter die Haut gepflanzt, damit ich über GPS immer wieder auffindbar bin. Danach hat man die Gokudo -extremer Weg (Yakuza)- zu kontaktieren versucht. Das ist nicht einfach gewesen, hat aber schließlich geklappt. Die ‚Ninkyo Dantai‘ -ritterliche Gesellschaft-, wie sie sich selbst nennt, ist sehr diskret.

Nach Tagen habe ich es doch geschafft. Meine Kontaktperson, ein Mann mit ergrauten Haaren, nennt mir für ein erstes Gespräch ein kleines, versteckt liegendes Hinterhoflokal in einer Kleinstadt im Landesinneren. Der Tarn bringt mich an die japanische Küste, indem die Männer ihn als Speedboot benutzen. Sie fahren mit 50 Knoten Geschwindigkeit zu einem felsigen Küstenabschnitt, wo man nicht auf Badegäste, Angler oder Ama-san -Frauen des Meeres- trifft.

Einer der Männer bleibt beim Rumpf zurück, nachdem sie die Antriebe montiert und gecheckt haben. Danach bringt mich der andere Pilot mit dem Quadrokopter in die Nähe des Nachbarortes und fliegt wieder zurück. Von ihrem Platz an der Küste überwachen sie meine Bewegungen per GPS-Ortung.

Ich fahre nun mit dem Bus in den Zielort und suche das kleine Lokal auf, das man uns als Treffpunkt genannt hat. Dort angekommen betrete ich es und schaue mich suchend um.

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