Donnerstag, 28. Januar 2021
Yamato Nadeshiko -18-
„Dazu kann ich Ihnen gerne beim Essen etwas erzählen,“ sagt mein heutiger Gastgeber lächelnd und rezitiert einen Text:

„Sie ist dir Dienerin und Partnerin.
Du bist ihr Leben, ihre Liebe,
Ihr Führer. Sie wird Dein sein,
Treu und wahrhaftig, bis zum
Letzten Schlag ihres Herzens.
Du schuldest es ihr, einer solchen
Hingabe würdig zu sein!“

Sato-San und Morishita-Sans Josei -Frau- kommen mit Tabletts voller Lebensmittel herbei, stellen sie auf dem Tisch ab und knien sich im Seiza -Kniesitz- neben uns. Anschließend füllen sie zwei Schalen mit Lebensmitteln aus einer Schüssel, und geben sie an uns weiter.

Ganz selbstverständlich nimmt mein Gastgeber seine Schale entgegen, nickt ihr lächelnd zu und stellt die Schale vor seine Josei -Frau-. Ich tue nun gleiches mit der Schale, die Sato-San mir reicht. Die zweite Schale, die Sato-San mir übergibt, stelle ich vor mich hin. Nun wünscht mir Morishita-San:

„Itadakimasu -Guten Appetit-!“

Ich wünsche gleiches auch meinem Gastgeber, um nach wenigen Bissen ein „Oishii -Lecker-!“ hinterher zu schieben.

Nach einer Weile beginnt mein Gegenüber zu reden. Er erklärt mir die Rolle der Frau in der japanischen Gesellschaft. Dabei spricht er von einer ‚Yamato Nadeshiko‘ -Japanische Prachtnelke- und sagt, dass dies ein Symbol für das althergebrachte japanische Frauenideal ist.

Ich nicke und sage:
„Soweit kann ich noch folgen.“

Mein Gegenüber fährt lächelnd fort:
„Neben der Sonnengöttin kennt die Mythologie des Shinto -Weg der Götter- eine Vielzahl von Kami. Da wir glauben, dass in jedem Wesen ein Kami wohnt, könnte man die Kami für Westler auch mit dem Begriff ‚Seele‘ übersetzen. Damit muss man natürlich akzeptieren, dass in jedem Wesen etwas Göttliches existiert. Somit muss man jedes Wesen mit großem Respekt behandeln. Wir Japaner gehen sogar soweit, dass wir in der Natur und den Naturphänomenen, respektive -katastrophen ebenfalls Kamis sehen.“

Ich nicke und meine: „Davon habe ich gelesen.“

Lächelnd erklärt er weiter und kommt damit dem Kern der Sache näher:

„Hat die Frau Gefühle für einen Mann entdeckt, ist es ihr ein Bedürfnis sein Leben zu erleichtern, indem sie ihm dient mit ihren Handlungen und auch mit ihrem Körper. Der Mann ist ihr Leben, ihre Liebe. Sie lässt sich gerne führen und folgt seinen Worten, ist ihm treu bis in den Tod – falls äußere Umstände nicht dazwischen fahren. Es ist nun die Aufgabe des Mannes, sie als Person zu respektieren, sie niemals zu einem Objekt herabzuwürdigen. Er muss sich ihrer Hingabe würdig erweisen!“

„Dem Mann ist also die Verantwortung für die Frau, die ihm dient, übertragen. Und er ehrt ihren Kami, indem er sie respektiert und sich ihrer Hingabe würdig erweist,“ fasse ich seine Rede zusammen.

Morishita-Sans Augen leuchten und er nickt eifrig.

„Hai -Ja-! Ich sehe, sie verstehen uns. Es wäre schön, wenn sie einen Ort in Deutschland allmählich mit Gleichgesinnten wiederbeleben könnten! Gerne sind wir Ihnen dabei behilflich!“

„Tanaka-Sensei hat mir mit Sato-San eine Gästebetreuerin für die Dauer meines Aufenthalts zur Verfügung gestellt…“ beginne ich.

Sato-San schaut zu Boden.

„Gefällt sie Ihnen?“ fragt der Ingenieur unvermittelt.

„Hai -Ja-,“ antworte ich lächelnd. „Aber wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen jemandem, den sie ‚Shujin‘ -Meister- nennt, und ihr? Was muss ich beachten?“

„Sind Sie nur touristisch hier, lassen neue Eindrücke auf sich wirken und gehen dann zuhause wieder in ihr altes Leben zurück? Oder wollen Sie neben der Rolle der Frau, die ich Ihnen eben skizziert habe, auch etwas über die Rolle des Mannes erfahren, damit Sie sich ihrer Meido würdig erweisen, wie ich es Ihnen vorhin in dem rezitierten Gedicht skizziert habe?“

„Mich interessieren natürlich beide Seiten!“ sage ich mit fester Stimme.

„Okay, der Shi -Herr- einer Meido -Magd- muss natürlich einige Tugenden verinnerlicht haben, um dem Kami seiner Magd seinen Respekt zu zeigen, sie niemals zu objektifizieren! Sie haben sicher von dem alten Ritterstand, den Samurai, gehört. Ihr Leben war von einer ganzen Liste Tugenden geprägt!“

„Das ist interessant!“ meine ich. „Wo kann ich mehr darüber erfahren?“

„Ich spreche darüber mit dem Kanrisha -Ortsvorsteher-! Er wird Sie gerne in das Programm aufnehmen und Ihnen einige Lehrer zur Verfügung stellen. Vielleicht müssen Sie Ihren Urlaub verlängern. Das wird man sehen, Schmidt-San. Eins noch: Sie dürfen ihre Meido ruhig mit ihrem Vornamen ansprechen, wenn Sie in die Rolle ihres Shi -Herrn- hineinwachsen wollen!“

Er wendet sich meiner Gästebetreuerin zu:
„Anata no namae o oshiete -Wie heißt du-?“

Sato-San verbeugt sich und sagt:
„Sato Ruri, ehrenwerter Morishita-Sama.“

„Nennen Sie sie ruhig Ruri-chan, Schmidt-San… Wenn Sie ihre Rolle als ihr Herr ernstnehmen wollen!“

Ich nicke lächelnd.

„Ruri -Smaragd-, ein schöner Name!“ entfährt es mir unwillkürlich.

*

Am darauffolgenden Tag bin ich wieder bei Tanaka-San eingeladen. Ich nehme Ruri-chan mit, damit sie auch seiner Meido Moe-chan zur Hand geht. Wieder kommt das Gespräch auf das Thema Meido -Magd-. Tanaka-San lächelt, als er von den eigenen Anfängen erzählt und Moe-chan bekommt rote Wangen.

„Moe-chan hat sich auf die Position der Präsidententochter versteift. Sie war bestimmend und herablassend und entsprach damit überhaupt nicht dem japanischen Frauenideal. Ich musste sie von ihrem hohen Sockel herunterholen, was mir mit Geduld im Laufe der Zeit gelang.
Für ihre Eltern und die Außenwelt heirateten wir dann nach dem Shinto-Ritus und mein ehrenwerter Otou-San -Vater- schlug als Ziel der Hochzeitsreise Namibia vor. Aber keine Safari mit Übernachtung in luxuriösen Lodges, sondern eine Wanderung durch die unberührte Natur mit all ihren Gefahren.
Wir trafen einen Treck von Viehzüchtern auf der Suche nach neuen Weidegründen, und schlossen uns ihnen an. Während der Wanderung mit diesen einfachen Leuten hat Moe-chan ihre letzten Allüren abgelegt und ist nun eine wahre ‚Nadeshiko‘ Prachtnelke-.“

Tanaka-San hat von einer Erziehung gesprochen. Ruri-chan wird so etwas sicher auch hinter sich haben, stelle ich mir vor. Am Abend auf dem Futon frage ich sie daher nach ihrer Vergangenheit.

„Mein Shujin,“ antwortet sie. „Ich stamme von einem kleinen Dorf in der Nähe von Kyoto. Das Partyleben in der Großstadt kenne ich nicht, war nie in Clubs. Ich habe von klein auf beigebracht bekommen, die Älteren zu respektieren und zu ehren. Auch in der Schule ehren wir mit respektvollem Verhalten die anderen Schüler der höheren Jahrgänge.
Ich bin in die Tanaka Automotive Group als kleine Arbeiterin eingetreten, war fleißig und bin so meinen Vorgesetzen aufgefallen. Irgendwann durfte ich mit anderen Arbeiterinnen das Programm einer Geburtstagsfeier des Shachou -Präsidenten der Firma- zusammenstellen und den Ablauf überwachen. Ich war stolz. Aber dann sollte ich wieder an meinen Arbeitsplatz zurück. Darüber war ich traurig, aber ich weiß ja, dass es den Beruf einer Veranstalterin in der Firma so nicht gibt. Vielleicht werde ich ja im darauffolgenden Jahr wieder für die Funktion freigestellt, habe ich mir gedacht.
Dann wurde die Firma verkauft und Tanaka-Sama hat unter anderem auch mich gefragt, ob ich eine andere Arbeit in Aussicht habe, ob ich Hilfe bei Bewerbungen haben möchte, oder ob ich mir vorstellen könnte, als Meido weiter unter ihm zu arbeiten. Ich habe die letzte Möglichkeit gewählt, weil mir die Arbeit für Tanaka-Sama so viel Spaß macht. Nun lebe ich hier und habe Lehrgänge besucht, um mich weiterzubilden.
Tanaka-Sama war immer sehr um uns bemüht, ohne uns zu bedrängen. Nun diene ich Ihnen, mein Shujin – ob bis zum Ende Ihres Urlaubes, oder darüber hinaus, das entscheidet mein Shujin. Mir steht nicht zu Ihn zu beeinflussen, in welcher Richtung auch immer.“

Ruri-chans Bekenntnis hat mich sehr beeindruckt. Ich halte sie im Arm, aber meine Gedanken überschlagen sich. Würde es mir gelingen, in der Heimat Leute für die Belebung eines Ortes zu begeistern? Würde Ruri-chan so weit weg von zuhause leben wollen?

In den folgenden Tagen mache ich mich mit den Abläufen auf der Insel vertraut. Mit den Fachleuten spreche ich durch, wie man die Abläufe hier auf ein Dorf an Land transformieren und dann wie man sie auf deutsche Verhältnisse übersetzen kann. Unter diesen Voraussetzungen fliegt die Zeit auf der Insel nur so dahin.

Schließlich muss ich mich von den Freunden auf der Insel verabschieden. Ich habe einen Rückflug ab Kyoto gebucht und will ihn nicht verfallen lassen. Ruri-chan nehme ich mit nach Kyoto. Sie soll zu ihrer Familie zurückkehren. Später will ich sie von dort nach Deutschland holen.

*

In Deutschland und an meinem Arbeitsplatz zurück, versuche ich sofort in den Pausen über das Internet ein geeignetes Areal für ein Dorf oder aber ein sterbendes Dorf, in dem nur noch wenige ältere Menschen wohnen, zu finden. Abends spreche ich die Idee in der WhatsApp-Chatgruppe an. Sie wird von den anderen Gruppenmitgliedern verrissen, als ‚fixe Idee‘ gebrandmarkt.

Eine Chatbekanntschaft spricht mich aber mit einer Persönlichen Nachricht an.

„Hey Harold, kannst du mir das mal genauer erklären?“

„Gern, also erstens wollte ich die Idee nicht auf der Internet-Seite breittreten. Da gibt es so viele Kerle, die nur schnellen Sex im Kopf haben… Also habe ich in unserer Chatgruppe vorgefühlt. Aber dort sind nur wenige Leute Neuem gegenüber aufgeschlossen. ‚Nur ja kein Risiko eingehen!‘ Später, wenn die Sache dann angelaufen ist, kommen sie dann an und zeigen Interesse…“

„Du hast von einem Ort für traditionellen Lebensstil gesprochen! Wie soll das gehen?“

„Du - das weiß ich selbst noch nicht genau. Ich bin noch in der Findungsphase. Da dachte ich, ich rede mal mit Anderen darüber. Zusammen lässt sich vielleicht die beste Lösung finden. Im ländlichen Raum gibt es zum Beispiel viele Orte, wo nur noch alte Leutchen leben. Die Jüngeren wohnen in der nächsten Stadt oder weiter weg, weil sie dort ihre Arbeitsstelle haben und kein Interesse an der Landwirtschaft. Miete ich mich dort ein und gründe eine Firma, die die Leutchen mit allem nötigen versorgt und nebenbei auch noch Handreichungen macht, mache ich mich bald unentbehrlich. Vielleicht setzt mich sogar das eine oder andere Rentnerpaar ohne Kinder als Erbe ein. Wo man einmal den Fuß in der Tür hat und gut gelitten ist, lässt sich etwas machen. Andere Interessenten für traditionellen Lebensstil können hinzukommen und das Dorf beleben. Natürlich müssten diese Anderen dann Verträge mit den Erben in der Stadt schließen über Miete, Mietkauf oder Kauf. Renovierungskosten fallen an…“

„Ob dafür jemand Geld locker macht? Das hört sich alles wunderbar an, aber sobald es den Leuten ans Portemonnaie geht, ziehen sie sich zurück. Ihr aktueller Status quo reicht ihnen. Da wissen sie, was sie haben!“

„Das ist ja das Problem. – Eine andere Möglichkeit wäre eine Art Freilichtmuseum: Eine ‚Mittelalterliche Stadt‘ aufbauen. Diese Stadt müsste natürlich bewohnt werden. Dann kommen Touristen dorthin und lassen Geld da. Mit diesem Geld lässt sich der Baukredit zumindest teilweise zurückzahlen. Dass sich einige der Bewohner wie Bedienstete benehmen, wäre für die Touristen sogar stimmig. Sonst wäre es keine mittelalterliche Stadt.“

„Die Idee hat auch was!“

„Welche gefällt dir spontan besser?“

„Spontan? Die Zweite. Aber eine ganze mittelalterliche Stadt auf einen Acker setzen… Das braucht schon was!“

„Richtig! Dazu ist Vorarbeit nötig. Lass mich mal überlegen.“

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