Freitag, 19. Februar 2021
Yamato Nadeshiko -29-
Ich mache ein säuerliches Gesicht. Aber ich sage mir, dass ich ja nun vor einem vergebenen Mann tanze. Das ist weniger schlimm! Ich krempele mir mein T-Shirt hoch. Die Tanzlehrerin hat inzwischen die Musik gewechselt. Nun klingen orientalischen Rhythmen auf und ich beginne.

Zuerst laufe ich einen kleinen Kreis, dann tanze ich hüftschwingend und Herrn Schmidt zugewandt. Ich spule mein ganzes Programm ab. Nach sieben Minuten endet die Musik und ich sinke vor Herrn Schmidt zu Boden. Meine Hände zeigen in seine Richtung und meine Stirn berührt den Boden.

Als das Publikum zu klatschen beginnt, schaue ich auf. Glücklich lächelnd erhebe ich mich und kehre wieder auf meinen Platz zurück. Unsere Tanzlehrerin schaut auf die Uhr und meint:

?Oh, die Tanzstunde ist ja schon um! Ich wünsche euch eine gute Heimfahrt.?

Wir Schülerinnen erheben uns, um in der Umkleide zu verschwinden. Aber unsere Tanzlehrerin ruft mir hinterher:

?Feli! Wenn es dir nichts ausmacht: Würdest du bitte noch einen Moment bleiben??

Ich bleibe unschlüssig stehen und warte darauf, was sie mir sagen will. Sie geht zu dem niedrigen Beistelltisch, an dem Ruri-chan und Herr Schmidt immer noch sitzen und setzt sich an der dritten Seite des Tisches auf ihre Fersen.

?Komm zu uns, Feli!? ruft sie mir zu. ?Wir sind hier unter uns. Du brauchst dich also nicht fürchten.?

Langsam nähere ich mich und gehe gegenüber Ruri-chan an der noch freien Seite des Tisches auf die Knie und lasse mich dann ebenfalls auf meine Fersen nieder. Ich schaue nun erwartungsvoll in die Runde.

?Sie haben ein außergewöhnliches Talent im Bauchtanz, Frau Bauer!? lobt mich Herr Schmidt. ?Würden Sie Ruri-chan ein paar Extrastunden geben, wenn ich Sie freundlich darum bitte? Sie müssten allerdings dafür zu uns kommen.?

Er zückt eine Karte und schiebt sie mir über den Tisch zu.

?Wie soll ich das verstehen?? frage ich reserviert.

Mir ist irgendwie mulmig zumute. Herr Schmidt hat gerade mit so einem kompromisslosen Unterton gesprochen, obwohl sein Gesicht freundlich lächelt.

?Nun,? meint er. ?Wir haben heute Dienstag. Wie wäre es mit zusätzlich donnerstags und samstags bei uns? Oder wäre Ihnen statt Samstag der Sonntag lieber? Oder haben Sie noch einen ganz anderen Vorschlag für zwei weitere Abende pro Woche??

?Nein, nein!? antworte ich schnell. ?Ihr Vorschlag ist schon okay!?

?Sie werden also kommen? Wir freuen uns!?

?Ja,? bestätige ich. ?Ich werde kommen!?

?Also dann! Bis übermorgen!? antwortet er und verbeugt sich leicht.

Sein Blick scheint mich gerade zu durchdringen. Ich nicke unsicher, erhebe mich und laufe in die Umkleide. Als ich in Alltagskleidung herauskomme, ist nur noch die Tanzlehrerin anwesend. Sie ist wie immer die Letzte in den Räumlichkeiten und lächelt mir zu. Mich von ihr verabschiedend, verlasse ich das Haus, eine ehemalige Fabrik, und fahre nachhause.

*

Zwei Tage später fahre ich aus der Stadt heraus. Das Freilichtmuseum Hagenholt kenne ich aus Presseberichten. Ich bin gespannt, was mich dort erwartet. Leider regnet es heute, so dass ich die Kapuze meines Hoodie überziehe und mich vom Parkplatz weg beeile. Dann stehe ich auf dem Dorfplatz und drehe mich im Kreis. In welchem Haus wohnt Ruri-chan denn nun?

Ich zucke die Schultern und gehe auf das höchste Haus zu. Dort öffne ich die Tür und trete mit einem Seufzen ein. Kurz darauf kommt eine Frau von der Seite auf mich zu, verbeugt sich mit geradem Rücken und sagt:

?Willkommen, werte Dame! Kann ich etwas für Euer Wohl tun??

Ich bin etwas befremdet von der Wortwahl, obwohl es irgendwie zu ihrem Mittelalter-Outfit passt. Nicht zu vergessen, dass dies hier ein Freilichtmuseum ist. Anscheinend werden hier alle Gäste so begrüßt. Ich frage nun:

?Ich habe eine Einladung von Herrn und Frau Schmidt! Wo finde ich sie hier??

?Ah, okay,? meint sie. ?Einen Augenblick! Ich muss eben noch Rücksprache mit meinem Mann halten, dann führe ich Sie.?

Nun lässt sie mich stehen und geht zu einer der Zimmertüren. Sie klopft an und es ertönt ein ?Herein!?
?Huch?, denke ich und mache danach große Augen, denn die Frau geht an der geöffneten Tür auf die Knie.

Als nächstes höre ich ?Du darfst sprechen!?

Nun sagt die Frau:
?Herr, wir haben einen Gast. Sie möchte, dass ich sie zum ehrenwerten Herrn Ortsvorsteher bringe. Sie hätte für dort eine Einladung.?

?Gut, bringe die werte Dame dorthin und komme umgehend zurück!?

?Ja, Herr!? antwortet sie, erhebt sich und lässt die Tür leise ins Schloss fallen.

Danach kommt sie zu mir zurück und wirft sich einen Überwurf über die Schultern, um sich dann auch mit dessen Kapuze gegen das aktuelle Wetter zu schützen. Sie öffnet mir die Haustüre, lässt mich hindurch und führt mich ein paar Häuser weiter. Unterwegs wage ich es nicht, sie auf ihr Verhalten vorhin anzusprechen. Ich stelle mir vor, dass sie mir die Rolle einer Magd vorspielt, weil sie mich für einen Besucher des lebenden Freilichtmuseums hält. An einem der Häuser angekommen, die sich kaum voneinander unterscheiden, läutet sie eine kleine Glocke an der massiven Türzarge.

Kurz darauf öffnet uns die Japanerin. Sie überblickt uns und verbeugt sich in meine Richtung.

?Willkommen in dieser bescheidenen Hütte,? sagt sie und macht den Eingang frei.

?Danke dir, Ruri-chan,? antworte ich und strecke ihr eintretend die Hand zum Gruß entgegen.

Sie weicht jedoch einen halben Schritt zurück und lächelt mich entschuldigend an. Meine Führerin sagt nun:

?Wenn Ihr mich bitte entschuldigen wollt, werte Dame. Ich muss zu meiner Arbeit zurück.?

Ruri-chan nickt ihr zu und schließt die Haustür. Nun kann ich nicht mehr an mich halten.

?Ruri-chan, sag? mal, fallt ihr hier immer in eure Rolle und begrüßt fremde Besucher in einer so gestelzten Sprache??

?Solange unser Verhältnis zueinander unklar ist, gebietet es der Respekt vor dem Individuum, Besucher immer als höhergestellt anzusprechen!? erklärt sie mir.

?Aber wir sind doch beide Schülerinnen in der Tanzschule!? versuche ich eine gleichgestellte Gesprächsebene aufzubauen.

?Du kommst her, um mir den Bauchtanz beizubringen,? widerspricht sie mir. ?Also bist du im Moment meine Lehrerin.?

Sie führt mich zu einem ähnlichen Büroraum wie in dem Haus vorhin und klopft an die Türe. Nach einem ?Herein!? öffnet sie sie und geht sofort in die Knie, um sich dann auf ihre Fersen zu setzen und mit geradem Rücken tief zu verbeugen.

?Sprich!? höre ich nun und kann Herrn Schmidt an der Stimme erkennen.

Vor diesem Mann habe ich den Bauchtanz vorgeführt. Er ist der erste Mann, der mich so schamlos gesehen hat. Meine Knie werden weich und ich fühle ein Kribbeln im Schritt. Schnell stütze ich mich mit einer Hand am Türrahmen ab.

?Frau Bauer ist angekommen, Okyaku-Sama -mein Herr-,? gibt Ruri-chan bekannt.

Den Geräuschen entnehme ich, dass sich Herr Schmidt erhebt. Während Ruri-chan mit ihrem Oberkörper wieder in die Senkrechte kommt, erscheint Herr Schmidt in der Zimmertür. Er lächelt mich an und begrüßt mich:

?Ah, hallo, Frau Bauer! Schön Sie zu sehen! Willkommen in Hagenholt. Kommen Sie, ich zeige Ihnen, wo sie beide sich austoben können.?

Er tritt aus dem Raum und nickt mir freundlich zu. Ohne auf meine Hand zu achten, geht er an mir vorbei und öffnet eine von zwei nebeneinanderliegenden Türen.

?Dies ist ein Abstellraum. Wir haben ihn heute Morgen in weiser Voraussicht leergeräumt,? erklärt er mit einem jungenhaften Lächeln. ?Daneben liegt die Gästetoilette! Eine sicher nicht unwichtige Information. Dann will ich Sie Beide jetzt in Ruhe lassen. Wenn etwas Wichtiges passiert: Ruri-chan weiß, was zu tun ist!?

Spricht es und geht wieder zurück in sein Büro. Nun bin ich mit Ruri-chan alleine.

?Gib mir zuerst deine nasse Kleidung, Feli!? fordert sie mich auf.

Ich ziehe den Hoodie aus. Auch Hose und Schnürstiefel haben draußen gelitten. Dafür schlüpfe ich in die mitgebrachte Sporthose und Ballettschuhe. Ruri-chan geht mit der nassen Kleidung eine Etage höher unters Dach. Wenige Minuten später ist sie wieder bei mir.

?Weißt du, dass dein Mann der erste MANN ist, vor dem ich den Bauchtanz vorgeführt habe?? oute ich mich, als wir allein im Abstellraum sind. ?Ich habe mich bis dahin immer gesträubt, vor Publikum aufzutreten, weil ich den Tanz für schamlos halte, einer modernen emanzipierten Frau unwürdig.?

Ruri-chan lächelt höflich und fragt nun:
?Aber warum hast du dir als ?moderne emanzipierte Frau? dann diesen Tanz ausgewählt??

?Vordergründig, um ein paar Pfunde abzunehmen. Aber da ist noch etwas in meinem Inneren, das mich irgendwie getriggert hat! Ich habe lange gebraucht, um mich anfangs zu der Anmeldung durchzuringen, aber dann war ich richtiggehend erleichtert, mich dazu durchgerungen zu haben.?

?Ah,? meint Ruri-chan nun, ?die moderne emanzipierte Frau ist gewissermaßen eine Schale, die dein Innerstes vor der Welt da draußen schützt, die von dir verlangt emanzipiert zu sein??

?Ja,? meine ich und bin froh, dass Ruri-chan mich versteht. ?Eigentlich bin ich gar nicht so emanzipiert. Eigentlich wäre ich viel lieber einige Jahrhunderte früher geboren und würde von einem starken Mann erobert. Nicht diese Männlein heutzutage!?

?Hm,? macht Ruri-chan nun. ?Ich denke nicht, dass du die japanische Kultur kennst??

Ich schüttele verständnislos mit dem Kopf.

?Im europäischen Mittelalter gab es noch das Machtgefälle zwischen Männern und Frauen. Natürlich lässt sich das nicht Eins zu Eins in die heutige Zeit übertragen. Aber es gibt eine Industrienation auf der Erde mit einer Jahrtausende alten Tradition, in der heute noch die Frau sich dem Vater, Chef oder Ehemann unterwirft, weil er sie mit Respekt behandelt.?

?Du meinst Japan?? werfe ich dazwischen, schockiert über die Eröffnung.

?Ja,? sagt sie lächelnd. ?Respekt wird uns von klein auf anerzogen. ? Hinzu kommt, dass wir bei Japan eine Insel haben, die Bunrei no Shima, auf der das Machtgefälle Alltag ist.?

?Das ist interessant! Vielleicht kann ich bei euch im Laufe der Zeit mehr darüber erfahren,? meine ich.

?Gerne,? antwortet Ruri-chan lächelnd. ?Du kannst bestimmt auch hierherziehen, wenn dir dein Arbeitsweg dann nicht zu weit erscheint! Hier lernst du mit der Zeit mehr über unser Verhältnis zwischen Männern und Frauen, und du kannst deinen Tanz in der Taverne vor Besuchern des Freilichtmuseums vorführen. Vielleicht findest du irgendwann auch den Mann deiner Träume hier, denn dieser Ort zieht solche Männer an.?

Ich bleibe stumm. Das Gehörte muss ich erst einmal verarbeiten. Hier tut sich mir eine Tür auf!

Ruri-chan weckt mich nach kurzer Zeit aus meinen Betrachtungen und meint:

?Wollen wir langsam beginnen? Du bist hier, um mit mir den Bauchtanz zu üben??

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