Samstag, 13. Februar 2021
Yamato Nadeshiko -26-
Ein Schauer läuft meinen Rücken herunter, beeinflusst mich befremdlich. Es scheint trotzdem irgendwie zu mir zu passen, gehört zu mir. Ich fühle mich unglaublich lebendig und aufgehoben in dem Ring. In mir steigt eine Sehnsucht auf. Der Mann hat von einer Welt erzählt, die weniger heuchlerisch und lebendiger ist, als mein Background hier. Ich möchte wissen, wo sie liegt und wie man dorthin kommt!

Ich drehe den Verschluss nach vorne und nehme die Tüte mit der Wurmschraube und dem Inbusschlüssel aus dem Schmuckkästchen. Damit gehe ich ins Bad und schließe den Verschluss vor dem Spiegel. Nun bin ich für Eingeweihte auch äußerlich als die Frau zu erkennen, die ich in meinem tiefsten Inneren schon immer gewesen bin.

Die Augen des Mannes haben mich vielleicht am meisten beeindruckt. Sie sind nicht wie die Augen der Männer gewesen, die ich bisher kennengelernt habe. In ihnen hat eine Wildheit und kompromisslose Heftigkeit geschimmert. In ihrem Blick habe ich keinerlei Vorbehalte, Hemmungen, Zweifel oder Schuldgefühle wahrnehmen können. Er wird ein Mann gewesen sein, der tut was ihm gefällt. Solch einen Mann habe ich bisher noch nie getroffen. Wie einen Tiger scheint ihn eine Aura der Macht zu umgeben.

Nachdem ich zu Ende gegessen habe, durchsuche ich das Internet. Die Suchmaschine listet auf meinen Suchbegriff ‚Mittelalterliche Magd‘ eine Menge Angebote aus der Gothic- und Mittelalter-Szene aus. Es gibt auch Mittelaltermärkte, die man besuchen kann.

Plötzlich fällt mir der Name einer Seite auf, den ich noch nie gelesen habe: ‚Rungholt‘. Interessiert rufe ich die Seite auf. Das Design lässt mich neugierig werden. Ich melde mich an und lese mich ein. Die Beiträge behandeln tatsächlich kompromisslos ein Machtgefälle zwischen den Geschlechtern, wie es vor Jahrhunderten zu feudalen Zeiten noch geherrscht haben mag.

Ab und zu bin ich schon auf Mittelaltermärkten gewesen. Die Leute dort spielen Rollen und haben ihren Spaß dabei. Dabei plätschern sie aber an der Oberfläche. Ich glaube nicht, dass sie willens sind, die emotionalen Tiefen ihrer Rollen auszuloten.

Die Inhalte dieser Internetseite aber fesseln mich, da sie etwas in mir zum Klingen bringen, aber immer wird von einzelnen Treffen zum Ausleben dieses Lebensstils gesprochen. Außerhalb dieser Treffen tauchen die Beteiligten wieder in den normalen Alltag ein. So etwas reizt mich nicht. Das ist genauso, wie beim Besuch der Mittelaltermärkte.

Meine Augen brennen inzwischen. Ich müsste längst ins Bett gehen, um am nächsten Tag wieder ausgeruht zur Arbeit kommen zu können. Da lese ich das Angebot einer WhatsApp-Gruppe auf der Seite, um sich über seine Sehnsüchte des dauerhaften Machtgefälles auszutauschen. Ich schreibe mir die Telefon-Nummer des Administrators der Gruppe ab und fahre meinen Laptop herunter. In den nächsten Tagen, vielleicht morgen schon, will ich den Mann antexten und um Aufnahme in die Gruppe bitten.

*

Unsere WhatsApp-Gruppe dümpelt so dahin. Die Mitglieder der Internet-Seite ‚Rungholt‘, denen ich angeboten habe, sich in der Gruppe über ihre Sehnsüchte zum Machtgefälle zwischen den Geschlechtern auszutauschen, lassen sich kaum noch sehen. Wenn jemand ‘reinkommt, dann nur, um irgendeinen Witz loszulassen.

Solch einen Glücksfall, wie ich ihn durch Dietmar erleben durfte, gibt es wohl nicht so oft. In ihm habe ich das Feuer für das Projekt entzünden können. Bereitwillig und sicher auch mit einer Portion Neugier ist er nach Japan geflogen und hat einen mehrwöchigen Kurs in japanischer Kultur absolviert, in dem es um die Tugenden der Samurai und dem traditionellen japanischen Frauenideal geht.

Zurück in Deutschland hat er die Taverne in Hagenholt übernommen, meinem realen Projekt. Ab und zu besucht ihn einer seiner Cousins. Dieser ist von Beruf Dachdecker. Unsere strohgedeckten Dächer haben es ihm angetan.

„Das ist aber eine elende Schinderei!“ hat er anfangs gesagt.

Ich, Harold Schmidt, habe ihm gesagt, dass die Dächer natürlich mehr Arbeit machen als Tonschindel-Dächer. Darum würde ich es begrüßen, wenn wir einen Dachdecker fänden, der sich darauf versteht. Auch hätte er im Ort sogar ‚Familienanschluss‘ durch Dietmar. Eine Zusatzqualifikation für Strohdächer wäre schnell erlangt. Im Umfeld ließen sich Lauben mit Stroh decken und so Nebeneinnahmen generieren. Auch würde ich ihm gerne die Erlangung der Zusatzqualifikation mit einem mehrwöchigen Urlaub auf einer japanischen Insel versüßen.

So ist auch Peter Loose ein Jahr später für einige Wochen auf die Bunrei no Shima geflogen. Zurück in Deutschland und in Hagenholt hat er sich die Dächer angeschaut und im Werkstattteil seines Hauses damit begonnen dicke Strohmatten zu fertigen, die das Decken von Dächern vereinfachen würden.

Dazwischen besucht er die Großstadt in 60 Kilometern Entfernung, um Abwechslung in der Zerstreuung zu finden. Nun hat er bei einem gemeinsamen Essen in der Taverne erzählt, dass er dort in einem Kaufhaus im Vorbeigehen durch Zufall jemand in der Schmuckabteilung gesehen hat, die ihn durchaus interessieren würde. Sie hat auch eindeutig devote Signale in ihrer Körpersprache gezeigt. Leider hätte er in den Tagen danach nicht mehr die Freizeit gehabt, sich weiter um die Frau zu kümmern.

„In der nächsten Großstadt, sagst du?“ frage ich ihn. „Kennst du denn ihren Namen, ihre Adresse?“

„Ich kann sie wiedererkennen und weiß, wo sie arbeitet. Das wäre es auch schon,“ antwortet er.

„Hm,“ meine ich. „Ein bisschen dürftig ist das schon… Gestern hat sich eine junge Frau aus der Nachbarstadt in der WhatsApp-Gruppe neu angemeldet…“

Ich hole mein Handy hervor und rufe den Messenger auf. Dann zeige ich ihm das neue Mitglied. Peter strahlt.

„Ja! Das ist sie!“

*

Ich bin in die WhatsApp-Gruppe aufgenommen und vom Administrator freundlich begrüßt worden. Er hat sein Profil in die Gruppe gestellt und mich aufgefordert, es ihm gleich zu tun. Zuerst bin ich etwas verdattert dagesessen, dann habe ich mich an seinem Profil orientiert und es auf mich umgeschrieben.

Obwohl die Gruppe etwa ein Dutzend Mitglieder hat meldet sich nur noch ein Mann und stellt sich mir mit seinem Profil vor. Die Beiden sind, laut ihrem Profil Ortsvorsteher und Tavernenwirt eines Ortes, der gleichzeitig ein Freilichtmuseum darstellt. Über das Freilichtmuseum habe ich meiner Meinung nach etwas in den TV-Nachrichten der letzten Monate gesehen. Wenn das stimmt, dann ist der Ort nicht weit entfernt!

Dort wird das frühe Mittelalter lebendig gemacht. Auch das interessiert mich so, dass ich beschließe, am nächsten Sonntag einmal dorthin zu fahren. Da ich schon Mittelaltermärkte besucht habe, hängt auch ein Mägde-Outfit in meinem Kleiderschrank.

Neben den beiden Männern sind auch deren Frauen in der Gruppe. Ungewöhnlich ist dabei, dass eine der beiden Frauen geborene Japanerin ist. Aber auch die andere Frau ist einmal kurz in Japan gewesen, wie auch die beiden Männer, erzählen sie mir.

Auf meine Frage hin, was denn so interessant an Japan ist, in Bezug auf das gelebte Machtgefälle zwischen den Geschlechtern, vertröstet man mich auf unser reales Treffen am kommenden Sonntag.

Es sind nur wenige Tage bis dahin, trotzdem fiebere ich dem Sonntag regelrecht entgegen. In der Nacht davor kann ich kaum schlafen und brauche am Morgen eine gehörige Portion Kaffee. Ich ziehe das weiße knöchellange Unterkleid an und darüber ein waldmeister-grünes Oberkleid, das an beiden Seiten von der Hüfte bis zu den Achseln geschnürt ist. Es ist ärmellos, so dass die gerafften weißen Ärmel des Unterkleids zur Geltung kommen.

Um die Schnürstiefel anzuziehen, die dazu gehören, setze ich mich auf einen Stuhl. Die lange blickdichte Unterhose habe ich weggelassen, denn das Wetter verspricht warm zu werden. Anschließend werfe ich mir noch einen braunen Überwurf mit Kapuze über die Schultern und ziehe ihn am Kleid zurecht. Am Gürtel des Kleides hängt eine lederne Gürteltasche, in die ich meine Sachen verstaue. Meinen Halsreifen habe ich seit dem mysteriösen Besuch in meiner Kaufhausabteilung nicht wieder abgenommen. Leider färbt das Silber ab, so dass ich mich der Haut am Hals jeden Morgen und Abend besonders widmen muss.

Danach gehe ich hinunter zum Parkplatz, setze mich in meinen alten Suzuki und mache mich auf den Weg. Eine gute Stunde später verlasse ich die Straße, um das Auto auf dem großen Parkplatz an einem Waldrand zu abzustellen. Nun entferne ich mich über einen Weg am Waldrand entlang von meinem Auto und erreiche die Häuser, die ich schon in der Whatsapp-Gruppe im Bild gesehen habe.

Ich orientiere mich kurz und betrete das Haus, in dem sich die Taverne befinden soll. Es sieht von außen aus, als wäre es zweistöckig, während die anderen Häuser einstöckig bei unterschiedlicher Grundfläche sind. Wir haben erst Vormittag.

Eine junge Frau in ähnlichem Outfit kommt von der Seite auf mich zu und sagt:

„Willkommen, werte Dame! Kann ich etwas für Euer Wohl tun?“

Dabei verbeugt sie sich vor mir.

Ich nicke ihr lächelnd zu und stelle mich vor:
„Mein Name ist Enie Burger. Du bist Gabi! Habe ich Recht?“

„Ah, du bist seit kurzem in unserer WhatsApp-Gruppe,“ meint die Frau. „Du kommst leider etwas spät für unser gemeinsames Frühstück. Aber der Tag ist noch lang und das Mittagessen nicht weit!“

„Könntest du mich bis dahin ein wenig im Ort herumführen?“ frage ich erwartungsvoll.

Es erscheint mir sinnvoll, soviel Informationen wie möglich zu sammeln, um später bei einer Zusammenkunft der Gruppe gedanklich mitzukommen.
Wieder verbeugt sich die Frau und meint nun:

„Leider macht sich das Essen nicht von alleine. Ich muss die Töpfe überwachen. Es soll der werten Dame ja später munden!“

Ich schmunzele.

„Ich sehe mich auf der gleichen Stufe wie du, Gabi. Ich fühle mich auch als Magd. Leider habe ich noch keinen Herrn. Du kannst mich also gerne bei meinem Vornamen nennen. Die ‚werte Dame‘ steht mir gefühlsmäßig nicht zu!“

„Okay, Enie,“ erwidert sie. „Aber dennoch muss ich den Herrn um Erlaubnis fragen.“

Sie wendet sich um und geht in die Richtung davon, aus der sie gekommen eben ist. Ich folge ihr neugierig.
Gabi geht auf eine Tür zu und klopft. Von drinnen kommt die Aufforderung „Herein!“

Sie öffnet die Tür und setzt sich im Türrahmen auf ihre Fersen. Mit einer Handbewegung fordert sie mich auf, es ihr gleich zu tun. Befremdet und steif gehe ich neben ihr auf die Knie und setze mich auf die Fersen. Gabi beobachtet mich dabei und beugt sich anschließend weit vor, wobei sie ihren Oberkörper mit den Händen abstützt. Sie schaut in der Stellung zur Seite und bedeutet mir, mich ebenfalls derart zu verbeugen.

Der Herr ist derweil hinter dem Schreibtisch aufgestanden und hat ihn umrundet. Er schaut auf uns herab und sagt:

„Berichte, Gabi!“

Auch er hat einen Ton drauf, der keinen Widerspruch zulässt, wie bei meinem mysteriösen Kunden. Gabi hebt ihren Oberkörper wieder in die Senkrechte und antwortet:

„Diese herrenlose Magd ist eben angekommen und möchte einen Tag lang unser Leben im Ort kennenlernen. Ihr Name ist Enie Burger. Sie fragt, ob sie mir erst einmal beim Zubereiten der Speisen helfen kann.“

Nun fragt der Herr:
„Enie Burger… Du bist die Neue aus unserer WhatsApp-Gruppe?“

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