Montag, 15. Februar 2021
Yamato Nadeshiko -27-
Ich nicke. Zu mehr bin ich im Augenblick nicht fähig.

„Okay,“ meint der Herr. „Aber vergesst beim Reden die Speisen nicht!“

„Ja, Herr!“ sagt Gabi und erhebt sich.

Während ich mich erhebe, stellt sich der Herr vor:

„Übrigens, mein Name ist Loose, Dietmar Loose. Wir würden uns sicher freuen, wenn dir das Leben hier gefallen würde!“

Gabi zeigt mir wenig später die Küche.

*

Die Zeit für das Mittagessen ist herangekommen. Gabi verlässt kurz die Küche, um den Tisch zu decken. Kurz darauf ist sie wieder zurück. Sie rührt noch einmal in den Töpfen und holt sie danach vom Herd. Wieder muss ich ab und zu rühren, um eine gleichmäßige Temperaturverteilung zu gewährleisten, während Gabi an der Küchentür steht und auf etwas zu warten scheint.

Schließlich kommt sie zu mir und gemeinsam verteilen wir die Speisen auf verschiedene Schüsseln. Danach bringen wir die Schüsseln zum Tisch. Es ist ein niedriger Tisch in einem Raum, der die ganze Breite des Hauses einnimmt. Um den Tisch sind im Wechsel Hocker und Bodenkissen gruppiert. Nur an der Stirnseite des Tisches steht ein Armlehnstuhl mit einem Kissen auf dem Boden rechts daneben.

Auf dem Armlehnstuhl hat inzwischen ein Mann Platz genommen, in dem ich den Administrator der WhatsApp-Gruppe erkenne. Er fungiert hier als Ortsvorsteher. Neben ihm kniet die Japanerin. Das muss Ruri-chan -Smaragd- sein. Gabis Herr sitzt als Hausherr an der rechten Seite des Ortsvorstehers. Auf seiner linken Seite sind ebenfalls zwei Gedecke arrangiert. Während Gabi sich neben ihren Herrn kniet, fühle ich mich etwas verloren.

Der Ortsvorsteher spricht mich an:
„Du bist Enie Burger?“

Ich nicke.

„Ich habe gehört, dass du uns heute besuchst, um dich genauer über unseren Lebensstil zu informieren, der – gefühlt – auch deinem entspricht.“

„Ja, deshalb bin ich gekommen,“ antworte ich.

Er nickt und meint:
„Meinen Namen kennst du sicher auch schon. Ich heiße Schmidt, Harold Schmidt – und dies ist meine Magd Ruri-chan. Du darfst dich auf das Kissen zu meiner Linken knien!“

„Vielen Dank,“ antworte ich und lasse mich auf das Kissen nieder.

Ruri und Gabi schenken nun ihren Herren Tee aus. Diese wollen die Tassen aber anscheinend nicht annehmen. Sie stellen sie vor ihre Mägde. Trotzdem schenken die Beiden zwei weitere Tassen Tee aus. Diesmal nehmen sie die Tassen an. Das verstehe ich nicht so ganz, stelle aber jetzt keine Frage dazu in die Runde, denn Herr Schmidt wendet sich gerade an Herrn Loose und fragt:

„Dein Cousin sollte auch bald hier sein?“

„Ich denke…“ gibt dieser zurück und nickt dabei.

Wenige Sekunden später öffnet sich die Tür des Speiseraumes und herein tritt…

Ich habe mich neugierig zu dem Eintretenden umgedreht und habe nun das Gefühl, in Ohnmacht zu fallen. Instinktiv kralle ich mich an der Tischplatte fest.

Der Mann kommt näher und setzt sich auf den Hocker neben mich, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Der Ortsvorsteher führt das Wort und stellt mir meinen Nebenmann kurz vor:

„Enie, das ist Herr Loose, Peter Loose! Peter, das ist Enie.“

Mein Nebenmann grinst fröhlich und sagt:

„Hallo Enie! Ich bin der Dachdecker hier im Ort. Darf ich auch eine Tasse Tee haben?“

„Natürlich, Herr!“ sage ich und fülle seine Tasse.

Ich reiche sie ihm, aber auch er setzt sie vor mich ab. Getreu dem Tun der Anderen, fülle ich eine weitere Tasse. Diesmal nimmt er sie und stellt sie neben seinen Teller.

Nun beginnt Herr Schmidt wieder und rezitiert einen Spruch:

„Nun lassen Sie uns die Schalen leeren! Auf eine gemeinsame Zukunft zum Wohle der Natur und der Erde!“

Die Männer wiederholen den Trinkspruch:
„Zum Wohl der Natur und der Erde!“

Dabei tunken die Herren zwei ihrer Finger in den Tee und benetzen damit einen Stein eine Armlänge von Herrn Schmidt entfernt. Danach heben sie alle ihre Tassen und trinken einen Schluck. Da das auch Ruri-chan und Gabi tun, nehme auch ich einen Schluck Tee.

Nach dem Essen erhebt sich mein Nebenmann, entschuldigt sich bei den anderen Herren und sagt zu mir:

„Enie! Auf! Folge mir!“

Schnell komme ich aus der knienden Position hoch und schaue, was der Herr von mir will. Er geht auf die Tür zu, ohne sich weiter nach mir umzuschauen. Erst, nachdem er die Haustür geöffnet hat, bleibt er stehen und wartet bis ich heran bin. Er lässt mich nach draußen treten und schließt danach die Tür.

„Du trägst den Halsreifen, wie ich sehe,“ stellt er lächelnd fest.

„Ja,“ bestätige ich und schaue ihn an.

„‚Ja, Herr!‘ heißt das hier,“ meint er lächelnd.

„Ja, Herr!“ wiederhole ich.

„Bist du eine moderne Frau?“ fragt er jetzt, wie damals, als wir uns im Geschäft getroffen haben.

„Nein, Herr,“ antworte ich diesmal. „Ich fühle mich seit Jahren nicht wohl in der Rolle der modernen Frau, die die Gesellschaft von mir erwartet.“

„Du möchtest dienen?“ fragt er weiter, während wir auf den großen Baum zugehen, der auf dem Dorfplatz steht.

„Ja, Herr,“ bestätige ich.

„Du wirst noch viel lernen müssen, Enie – wenn du dich nicht zwischendrin wieder umentscheidest. Willst du nur kurz in die Position einer Magd hineinriechen, reichen kurze Treffen wie zum Beispiel an Sonntagen. Du wirst einige Rituale bald kennen, aber das ist kein wirkliches Leben im Machtgefälle. Du kehrst ja immer in dein Leben als moderne Frau zurück. Anders ist es, wenn du dich für ein Leben als Magd entscheidest und dein bisheriges Leben hinter dir lässt!“

„Was muss ich dafür tun?“ frage ich den Herrn.

Wir haben inzwischen die Bank unter dem Baum erreicht. Herr Loose setzt sich und sagt:

„Du darfst an meiner Seite knien, Magd!“

Also gehe ich neben ihm auf die Knie und lege mein Kleid unter den Knien in Falten. Dann schaue ich wieder zu Herrn Loose auf.

„Du musst dir immer wieder vor Augen führen, dass die Männer Herren sind und ihnen deinen Respekt entgegenbringen. Ruri-chan, als geborene Japanerin, wird dir das japanische Frauenideal nahebringen und einige Besonderheiten, die hier im Freilichtmuseum authentisch sind. Sie ist Instrukteurin in einer Schule für Mägde, die aktuell noch einen Leiter sucht.“

*

Ich habe mit Peter ausgehandelt, dass ich in der nächsten Zeit an den Sonn- und Feiertagen und in meinem Urlaub nach Hagenholt komme und bei Ruri-chan, der japanischen Meido -Magd- meine Ausbildung absolviere. Die Abende nach den Unterweisungen würde ich gerne bei ihm verbringen. Damit will ich ‚zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen‘: Zum Einen kann ich das Gelernte sogleich praktisch anwenden, zum Anderen entwickelt sich auf diese Art mit der Zeit ein Vertrauensverhältnis, das ich für unabdingbar in einer Beziehung halte. Danach könnte ich auch zu ihm ziehen, verspreche ich ihm.

Er bringt mich nach dem Gespräch zum Haus des Ortsvorstehers. In einem Nebenraum dort erzähle ich Ruri-chan von meinen Sehnsüchten, die mich schließlich hierher nach Hagenholt geführt haben. Ich frage sie, welchen Hintergrund eine Magd aus ihrer Sicht braucht.

„Hm, das ist schwer zu beantworten, Enie-chan,“ antwortet sie. „Wir entstammen verschiedenen Kulturen. Gabi-chan hat es geholfen, sich mehr mit unserer Kultur zu beschäftigen, weißt du.“

„Wir haben doch alle Zeit der Welt!“ meine ich. „Dann erzähle mir zuerst gerne etwas über Japan.“

„Okay, wir Japaner glauben an Kamis. Davon gibt es unzählige, denn in jedem Lebewesen, jeder Pflanze, jedem Stein, jedem Naturereignis wohnt ein Kami. Übersetzt in das westliche Weltbild heißt das, wir selbst und alles Natürliche um uns herum sind beseelt. Wir müssen also unserem Gegenüber und darüber hinaus der ganzen Natur und ihren Geschöpfen unseren Respekt zollen.“

„Wir achten und schützen also die Natur, indem wir uns nicht als die Herren begreifen, sondern als deren Teil,“ resümiere ich.

„Ja,“ bestätigt sie. „Nun sind aber nicht alle Menschen gleich. Es gibt unterschiedliche Geschlechter. Die Frau bedarf des Schutzes durch den Mann. Da der Mann die Verantwortung zum Schutz der Natur hat und auch die Frau zur Natur gehört, trägt er auch die Verantwortung für die Frau – wenn er sich als würdig erweist, Verantwortung zu tragen -. Das lässt sich der Mann natürlich von der Frau durch Unterwerfung bezahlen.“

„Ah,“ sage ich und argumentiere: „Aber fördert das nicht die Objektifizierung? Wird dadurch nicht die Frau zum Spielzeug des Mannes?“

„So wie die Natur zum Spielzeug geworden ist, zur Sache, die man ausbeuten darf, meinst du?“

„Ja, genau!“ antworte ich.

„Die japanische Kultur beeinflusst nicht nur die Frauen und zeigt ihnen ihren Platz! Sie lehrt auch die Männer, mit der ihnen zugewiesenen Stellung respektvoll umzugehen! Natürlich… Ausnahmen gibt es immer und überall…“

„Was sagt denn die japanische Kultur zur Rolle der Frau?“ frage ich, um zum Thema zurückzufinden.

„Da gibt es den Begriff der Yamato Nadeshiko, auf Deutsch, der japanischen Prachtnelke. Sie ist das Symbol für das japanische Frauenideal: Es kann als eine Mischung aus Hausfrau, Geisha und Samurai charakterisiert werden.
Eine Yamato Nadeshiko führt also die Arbeiten im Haushalt durch und kauft im Auftrag des Herrn für den Haushalt ein. Sie macht sich schön für den Herrn, hält sich dabei aber im Hintergrund. Daher wird eine verheiratete Frau auch oft Ushiro madama -die Gnädige von hinten- genannt. Gegenüber der Außenwelt ist sie jedoch willensstark und kann sich im Auftrag ihres Vaters, Chefs, Ehemannes oder des Shi -Herrn- durchsetzen. Sie ist nicht selbständig, unabhängig, wie die westliche Frau, sondern findet unter einem verantwortungsbewussten, bestimmenden Mann ihre Erfüllung. Ihm ordnet sie sich bedingungslos unter und gibt sich ihm hin.“

„Ah,“ merke ich auf. „Und was lehrt man die Männer, damit sie Respekt vor dem Leben und der Natur zeigen, sowie die Frauen nicht als ihre Spielzeuge betrachten?“

„Zum Einen leben die Älteren schon den kleinen Kindern den Respekt in allen Lebenslagen vor. Es gibt einen umfangreichen Katalog von respektvollen Verhaltensweisen. Zum Anderen wird den Japanern schon ‚von Kindesbeinen an‘ beigebracht, Älteren respektvoll gegenüber zu treten, zum Beispiel die Schüler des nächsthöheren Jahrgangs in der Schule zu grüßen.
Dann gibt es da noch den Verhaltenskodex der alten Samurai. Zwar gibt es diesen Stand nicht mehr, aber die Nachfahren der alten Samurai halten ihre Vorfahren und deren Kodex in Ehren.“

„Was ist das für ein Verhaltenskodex?“ frage ich interessiert.

„Er ist sehr komplex. Aber er lässt sich auf eine kleine Menge Merksätze zusammenfassen, die verinnerlicht und die Wechselwirkungen erkannt werden müssen,“ antwortet sie mir.

... link (0 Kommentare)   ... comment