Mittwoch, 20. Juli 2022
Aibou - Die Zofe -14
Nach einer kurzen Atempause redet er weiter:

"Der Beständigkeit folgt die Ehre! Ehre gewinnt man stets zuerst durch Ehrlichkeit. Sie bildet den Charakter. Ehrgefühl wird durch immer liebevolle, wenn nötig durch strengere Erziehung vermittelt. Der Herr soll immer bemüht sein, sich für soziale Zwecke einzusetzen, denn nur durch uneigennützigen Dienst in der Gesellschaft wird ihm Ehre und Respekt zuteil - Werte, die man sich immer verdienen muss und sie begründen keinerlei Verpflichtung der Gesellschaft, dem Herrn gegenüber. Der Herr ehrt auch seine Feinde und gibt immer eine zweite, falls nötig eine dritte Chance. Er verzichtet darauf, sich einen in seinen Augen unfairen Vorteil zu verschaffen. Er nutzt eine Notlage nicht aus und vermeidet es, andere zu übervorteilen.
Der Ehre steht die Schande gegenüber! Hier handelt es sich um einen Zustand des gesunkenen Ansehens und des beschädigten Rufes. Schändliches Handeln bedeutet das Verpassen keiner Gelegenheit, unehrenhafte Dinge zu tun, mit unehrenhaften Leuten oder mit Leuten zweifelhaften Rufes zusammen zu kommen, um korrupten Handel zu treiben, um sich alleine zu profilieren und zu bereichern."

Er macht wieder eine Pause zum Luftholen.

"Es folgt das Maßhalten. Es steht über allem. Es bedeutet 'rechtes Maß zu halten' und den Mittelweg zwischen Exzess, Übertreibung und Passivität zu finden. Nur durch Maßhalten wird richtiges, gutes Leben und Handeln erreicht. Dem entgegen steht die Maßlosigkeit, das ist mangelnde Selbstbeherrschung. Die Maßlosen raffen ständig und überall nach Sattheit, Geld und/oder Titeln. Sie sind die Ersten am Buffet und dort, wo es etwas umsonst gibt. Sie sind aber auch immer gerne bereit, jeden Preis zu bezahlen, wenn es der eigenen 'Erhöhung' dient.
Nun folgt die Zucht. Sie bedeutet Selbstbeherrschung und Moderation im eigenen Verhalten und ermöglicht erst das Zusammenleben mit Anderen in der Gesellschaft. Zucht hat in diesem Sinne nichts mit Züchtigen zu tun. Dem Herrn ist es untersagt, ihm Untergebene aus reiner Lust zu züchtigen. Die Unzucht nun, meint ungezogenes Verhalten und ist ein Kennzeichen antisozialer Handlungsweise. Durch ungezogene Gestik, unangemessen lautes Lachen oder unüberlegte Sprache disqualifizieren sich Unzüchtige stets selber. Man erkennt sie am ehesten daran, dass sie 'Wasser predigen und selber Wein saufen'."

Nach einer Gedankenpause redet er weiter:

"Dann komme ich zur Demut, das heißt 'Dienstwilligkeit, Dienstbereitschaft'. Sie ist völlig unabhängig von der eigenen Position. Sie bedeutet Loyalität gegenüber den Vorgesetzten, oder auch 'Mut zum Dienen' zum Schutz der Armen oder Machtlosen. Wir wenden uns immer tätig gegen geoffenbartes Unrecht und sagen offen unsere durchdachte Meinung. Dem gegenüber steht der Verrat, das bedeutet 'Verweigerung des Dienstes'."

Eine weitere bedeutungsvolle Pause folgt.

"Jetzt spreche ich die Höflichkeit an. Dieser Begriff bezeichnet das Verhalten bei jeder Begegnung mit einem Mitmenschen und bedeutet gesitteter Umgang untereinander. Besondere Ehrerbietung genießen Ältere und freie Frauen. Der Herr ist eher zurückhaltend. Das Gegenstück ist die Rüpelhaftigkeit. Das bedeutet unkontrolliertes Benehmen, Fresssucht, Ausschweifungen aller Art.
Als nächste Tugend folgt die Milde. Damit sind Großzügigkeit, Barmherzigkeit und Nächstenliebe gemeint. Ein Herr gibt freigiebig an in Not Geratene, was er geben kann. Die vielleicht schwierigste Gratwanderung hier liegt darin, dass er sich erstens nicht mit dem Armen gemein macht, sondern edle Distanz wahrt und zugleich zweitens nicht herablassend oder herrisch auftritt. Freundlicher Gleichmut, die in der Ausübung der Mildtätigkeit das eigene Selbstverständnis verwirklicht, ist der Grundton seiner barmherzigen Handlungen. Dagegen steht Geiz oder Egoismus. Er bezeichnet den Hang zum Raffen und Horten, um ganz alleine über den zusammen getragenen Reichtum zu verfügen. In der Folge lässt Geiz den Charakter allein dastehen! Der Herr erfährt selbst keine Unterstützung mehr.
Dann kommt die Treue. Sie beschreibt Loyalität und auch das Einhalten von Versprechungen und Hilfsverpflichtungen gegenseitiger Art oder gegenüber der übergeordneten Instanz. Der Herr ist sich in erster Linie selbst treu, steht treu zu seinen Überzeugungen, um so auch treu anderen gegenüber zu sein. Die Umkehrung ist die Untreue. Sie ist ein mieses Übel, denn dazu zählen auch Eifersucht, Missgunst und Neid, die allesamt das menschliche Zusammenleben gefährden. Man sollte sich stets aufeinander 'blind' verlassen können."

Tanaka-San holt einmal kurz Atem und schaut sein Gegenüber an. Dieser nickt wieder höflich.

"Nun kommt die Arbeitsamkeit," redet er anschließend weiter. "Sie beinhaltet die ständige Bereitschaft zu lebenslangem Lernen, zur Weiterbildung und Verbesserung der Qualifikationen. Dagegen steht die Trägheit, Faulheit, Unfähigkeit - fehlende Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung und tätiger Mitarbeit.
Dann komme ich zum Guten Mut. Er beschreibt das Selbstbewusstsein, den Stolz auf seine persönliche Tüchtigkeit, die Liebe zum Leben. Dagegen wirkt die Trauer oder Depression, ein Zustand des Klagens, sowie das Zeigen schlechter Befindlichkeiten, aber auch der Zustand der verletzten Ehre. Die Trauer um einen verstorbenen Menschen ist damit nicht gemeint!
Jetzt folgt die Mannhaftigkeit. Sie beschreibt Tüchtigkeit und Kühnheit, wenn es sein muss unter Einsatz des eigenen Lebens. Der Herr hat natürlich Respekt vor Gefahren und verachtet die Angst. Ihr entgegen steht die Zaghaftigkeit, Feigheit im Leben und vor dem Leben, aber auch Angst vor materiellem Verlust, Angst vor Verletzung, Angst generell.
Ihr folgt die Schönheit. Gemeint ist damit ausschließlich die innere Schönheit des Herzens. Sie wird durch ein ehrliches Lächeln zum Ausdruck gebracht. Ein Herr ist authentisch. Er handelt, wie er redet und denkt. Die Umkehrung ist die Hässlichkeit. Sie bedeutet analog eine meist anfangs unsichtbare Verunstaltung als Zeichen von Lasterhaftigkeit, daraus resultierender unfairer Handlungsweise, sowie Ausdruck von Falschheit durch Missachtung der Menschlichkeit."

Wieder macht er eine Pause, bevor er weiterredet.

"Dann komme ich zum Verstand. Er bezieht sich auch auf die Kontrolle von Emotionen, was nicht immer leichtfällt. Dagegen wirkt die Torheit, Dummheit. Sie ist der Feind aller anderen Tugenden. Sie bedeutet Verlust der Selbstkontrolle, aber auch mangelnde Reife.
Nun folgt der Reichtum. Gemeint ist innerer Reichtum und Wohlstand. Er ist die Grundlage für gesellschaftliches Ansehen. Er wird durch die Einhaltung der vorgenannten Tugenden erreicht."

"Das ist eine Menge," antwortet Takahashi-San nun. "Mein ehrenwerter Sofu-San -Großvater- war, glaube ich, nie so ausführlich gewesen. Dennoch muss ich zugeben, diese Tugenden haben etwas faszinierendes!"

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