Montag, 18. Juli 2022
Aibou - Die Zofe -13
Nun streife ich meine Schuhe ab und stelle sie mit den Spitzen in Richtung Tür in das Schuhregal. Danach schlüpfe ich in ein Paar Pantoffeln und will der Hausherrin -Ushiro kara yuga- in die Küche folgen, um ihr zu helfen, die Speisen aufzutragen. Sie weist jedoch in Richtung Living-Room und meint:

"Gehen Sie schon einmal vor, Youki-San. Der Herr möchte vor dem Essen etwas mit Ihnen bereden."

Also gehe ich weiter und finde Tanaka-San im Schneidersitz vor der Schmalseite des Esstisches.

"Aisatsu, -Hallo-, Youki-San," begrüßt er mich freundlich und deutet auf den Platz an seiner linken Seite.

Ich lasse mich dort nieder und schaue ihn fragend an. Er kommt gleich zur Sache:

"Sie wissen, dass das japanische Frauenideal -Yamato Nadeshiko- propagiert, dass die Frau ihrem Mann Hausfrau, Geisha und Samurai sein soll. Das gilt in kleinen Haushalten. Wenn ein Haushalt nun viele repräsentative Aufgaben hat, stehen der Hausherrin viele Dienstboten zur Seite. Da werden dann die Aufgaben auf die Dienstboten aufgeteilt. Als direkte Ansprechpartnerin für die Herrschaft fungiert jetzt eine Haushälterin. Manchmal wird zusätzlich noch eine Zofe eingestellt. So haben Sie es im Haushalt Amatsuka kennengelernt. Hier auf der Insel ist solch ein großer Haushalt bisher nicht nötig gewesen. Dennoch kann man oft sehen, dass ein Mann sich einerseits emotional einer Frau zuwendet, andererseits aber gerne viele Frauen haben möchte. Das heißt, die Yamato Nadeshiko sollte ihm in vielen Rollen begegnen können."

Das ist nun eine lange Ansprache gewesen. Seine Frau bringt inzwischen das erste Tablett mit Speisen aus der Küche. Sie hat zugehört und ergänzt nun:

"Der Mann ist ein seltsames Wesen! Er wünscht sich sowohl eine einzige Frau, als auch viele verschiedene Frauen, oder anders ausgedrückt: Er wünscht sich eine Frau, die ihm in vielen Gestalten entgegenkommt und ihn auf vielerlei Arten erfreut.
Sie haben gelernt, die Rolle der Zofe auszufüllen, Youki-San. Ich habe mich erkundigt und festgestellt, dass eine Zofe von Berufs wegen eine Frau ist, die dem Mann in vielerlei Gestalten gegenübertreten kann. Sie ist einmal das Dienstmädchen, ein andermal eine gebildete junge Frau, dann wieder eine vornehme Dame, die den Herrn begleitet, und im nächsten Moment doch wieder das gehorsame Dienstmädchen. Sie ist alle Frauen, die sich ein Herr wünscht, vereint in einer Person."

Hier hakt der Hausherr wieder ein:
"Wir haben eine Schule, in der moderne, emanzipierte Frauen lernen eine Nadeshiko für ihren Herrn zu sein, ihm eine Hausfrau, Geisha und Samurai zu sein. Die Geisha hat sich bisher darin erschöpft, dass die Frau lernte, ihrem Mann Zerstreuung zu bieten, durch Tanz, Musik und Gesang. Auch ist sie ihm eine gebildete Begleiterin in Ausstellungen, Kino und Theater.
Würden Sie sich bereit erklären, bei uns auf der Insel als Lehrerin zu arbeiten, könnten Sie ihre Erfahrungen als Zofe weitergeben. Auch könnten Sie am Lehrplan unserer Mädchenschule mitarbeiten und ihn ergänzen!"

Ich bin von der Möglichkeit, die sich mir hier auftut, erst einmal erschlagen. Darum entgegne ich:

"Da gibt es aber einige Hürden zu nehmen, ehrenwerter Tanaka-San. Ich stehe im Dienst der verehrten Takahashi-San. Sie müsste mich freigeben. Außerdem ist da noch die Agentur Aibouejenshi Iwamatsu in Kyoto involviert. Dort müsste ich ebenfalls kündigen."

Tanaka-San nickt.

"Wenn ich Ihnen dabei behilflich bin, wären Sie bereit, die Stelle als Lehrerin anzunehmen?"

Ich verbeuge mich tief und sage, auch weil gerade meine Herrschaft eintrifft:

"Darf ich es mir bis morgen überlegen?"

Der Herr nickt und begrüßt nun die Eheleute Takahashi, um ihnen anschließend ebenfalls einen Platz am Tisch anzubieten. Die Ushiro kara yuga -Hausherrin- kniet sich dazu und beginnt Teeschalen zu füllen und sie an Tanaka-San weiter zu geben. Dieser verteilt sie in der Runde bis alle eine Schale mit grünem Tee vor sich stehen haben. Dann tunkt er zwei Finger in seinen Tee und benetzt damit den Stein im Esstisch. Dabei sagt er:

"Fumetsu no seishitsu, gesuto ni nagai shiawasena jinsei o -Unsterbliche Natur, schenke unseren Gästen ein langes, glückliches Leben-."

Takahashi-San macht es ihm nach. Anschließend wünscht Tanaka-San uns:

"Itadakimasu -Guten Appetit-!"

Ich wünsche gleiches auch meinem Gastgeber, um nach wenigen Bissen ein "Oishii -Lecker-!" hinterher zu schieben.

Tanaka-San wendet sich nun an meine Herrschaft. Er sagt:

"Sie haben im Alltag einen großen Haushalt mit vielen Dienstboten. Ihre ehrenwerte Frau braucht daher nicht zu wissen, wie man kocht, wäscht und reinigt. Sie kann Ihnen in der Freizeit Zerstreuung bieten, als gebildete Begleiterin in Ausstellungen, Kino und Theater. Haben Sie schon einmal von den Tugenden der Samurai gehört?"

Takahashi-San nickt und sagt:
"Mein ehrenwerter Sofu-San -Großvater- hat mir viel davon erzählt. Auch wir entstammen einem alten Samurai-Geschlecht."

"Ah, wunderbar!" antwortet Tanaka-San lächelnd. "Wissen Sie, wir hier auf der Insel sind der Meinung, dass das perfekte Gegenstück zu einer Yamato Nadeshiko ein Herr sein sollte, der nach den Tugenden der Samurai lebt und in der Lage ist, seine Nadeshiko in allen Lebenslagen zu beschützen."

Inzwischen haben wir die Mahlzeit beendet und die Ushiro kara yuga -Hausherrin- serviert noch einmal Tee und stellt eine Schale süßen Gebäckes auf den Tisch.

"Der Ehrenkodex der alten Samurai ist ja sehr komplex," ergänzt Tanaka-San. "Er lässt sich zwar auf eine kleine Menge Merksätze zusammenfassen, diese müssen aber verinnerlicht und die Wechselwirkungen erkannt werden. Dies erreicht man nicht durch auswendig lernen! Man muss sie leben, rund um die Uhr! Ich will sie Ihnen gerne noch einmal aufzählen."

Er macht eine kurze Pause, in die Takahashi-San ein "Hai -Ja-" einfließen lässt.

"Da wäre die Beständigkeit," beginnt Tanaka-San wieder. "Die Beständigkeit beeinflusst alle anderen Tugenden und bedeutet Berechenbarkeit in den Handlungen und das Festhalten am rechten Verhalten, aber auch Vertragstreue. Ein Herr steht zu dem, was er denkt und sagt. Man kann sich immer auf ihn verlassen. In unverschuldeten Fällen sorgt er unverzüglich für die bestmögliche Alternative.
Ihr entgegen steht die Unbeständigkeit! Es ist ein Verhalten, bei dem man 'seinen Wimpel nach dem Wind dreht', mit den Gedanken nur an sich und dem Handeln nur für sich. Zusagen werden nicht eingehalten, Verträge gebrochen und es wird gelogen, um persönliche Bereicherung zu erlangen und das Ego zu befriedigen."

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