Samstag, 27. August 2022
Kaede, die Samurai -03
"Gomeiwaku o okake shi moshiwakegozaimasen -Entschuldigen Sie vielmals die Störung-," flüstert Yamaguchi-San.

"Nicht du schon wieder!" stellt die Frau fest. "Dauernd bringst du mir Frauen, die doch nur essen und schlafen. Wenn du mir wenigstens ein Kind bringen würdest, dass man ausbilden kann. Dann könnten wir miteinander ins Geschäft kommen. Aber eine Erwachsene? Die machen mehr Ärger als sie wert sind!"

Damit wendet sie sich wieder ihrem Kontobuch zu und greift zum Pinsel. Dieses Verhalten weckt Zorn in mir. Ich komme aus der Verbeugung hoch und entgegne ihr hitzig, ohne auf etwaige Konsequenzen zu achten:

"Ich bin vielleicht dreckig, aber ich habe eine Ausbildung erhalten! Ich stamme aus einer guten Familie und kann lesen und schreiben. Ich hatte vor, hier um eine Zuflucht zu bitten. Wenn Sie mir keine Arbeit anbieten können, die mich nicht entehrt, werde ich gehen und mein Glück in einem anderen Haus versuchen!"

Die Frau starrt mich sprachlos an. Nach einer Gedankenpause sagt sie in erstauntem Ton:

"Sie hat ja eine Stimme! Und Schneid hat sie auch!"

Die Frau beugt sich vor und fasst in mein Haar.

"Gutes Haar!" kommentiert sie ihr Tun. "Gut und schwarz! Natürlich ist sie keine klassische Schönheit."

"So eine bekommen Sie nicht wieder," sagt Yamaguchi-San. Ihre Stimme klingt jetzt hart und geschäftsmäßig. "Bei einem Kind weiß man nicht, wie es sich entwickelt. Bei einer Erwachsenen weiß man, was man bekommt. Ich möchte Ihnen nicht widersprechen, Tantchen, aber Sie sehen ja selbst. Sie ist eine Schönheit!"

"Ihr Dialekt... Singen und tanzen kann jede, aber lesen und schreiben? Das sind seltene Fähigkeiten! Lass uns etwas sehen, Mädchen! Komm rüber, gib uns ein Beispiel."

Yamaguchi-San hat sich erhoben.

"Ich werde woanders hingehen," eröffnet sie der Oka-San -Mutter des Geisha-Hauses-. "Sie ist ein hervorragendes Mädchen! Mit Leichtigkeit finde ich jemand anders für sie."

"Reden wir draußen," antwortet die Oka-San.

Yamaguchi-San und die Oka-San verlassen das Zimmer und schieben die Regentür zu.

Ich knie auf der Matte und lausche auf die Geräusche um mich herum. Gesang ist zu hören, das Klimpern von Shamisen, Gelächter. Alles ist gedämpft durch die Wände. Nach einer ganzen Weile wird eine der Türen ins Innere des Hauses aufgeschoben. Eine Frau mit einer kunstvollen Marumage-Frisur und weiß geschminktem Gesicht mit kirschroten Lippen tritt herein. Die Schminke verwandelt sie in eine geheimnisvolle Erscheinung, wie ein Wesen aus einer anderen Welt.

Sie nimmt mich ohne Umschweife am Ellbogen und führt mich in einen Korridor hinein, vorbei an papierbespannten Schiebetüren. Durch deren Spalten erhasche ich flüchtige Blicke auf Festlichkeiten. Ich höre Gesang und Tanzschritte, nehme Gerüche wahr, bei denen mir die Spucke im Mund zusammenläuft.

Eine Gruppe junger Frauen in prächtigen Kimonos kommt auf uns zu. Ihre weißgeschminkten Gesichter leuchten im Licht der Lampen. Sie streifen mich ohne mich wirklich wahrzunehmen. Plötzlich schäme ich mich für mein schmutziges Gewand. Dann ist die Gruppe schnatternd um eine Ecke verschwunden.

Meine Führerin strebt auf eine Treppe zu. Wir klettern die knarzenden Stufen hinauf und betreten ein Zimmer. Nun wendet sie sich mir zu.

"Mein Name ist Mamiko. Das ist nicht mein richtiger Name, sondern ein Künstlername. Wir Geishas sind lebende Kunstwerke. Du wirst bald eine von uns werden und deine frühere Identität hinter dir lassen!
Ich bin die One-San -Lehrerin/Mentorin-. Du wirst tun, was ich sage! Dann meistern wir diese schwierige Zeit."

"Hai, rippana One-San -Ja, ehrenwerte Mentorin-," antworte ich. "Wo bin ich hier? Was ist das für ein Haus?"

"Es ist ein Okiya -Geisha-Haus-," antwortet sie. "Du sprichst wie eine Samurai. Du musst von deinem hohen Sockel herunterkommen! Du kannst vor Glück sagen, dass du hier bist. Dies ist ein gutes Haus."

*

--Zweiter Mond im Jahr der Schlange, Meiji--

Vier Monde sind inzwischen vergangen. Die Sonne strahlt warm vom Himmel. Die Natur ist erwacht und hat Knospen und Blüten hervorgebracht. Die One-San bringt mir Tanzschritte bei und anderes. Das Shadou -Teezeremonie- ist mir schon bekannt, aber die Bewegungen einer Geisha sind unterschiedlich.

Heute zeigt sie mir einen indigoblauen Kimono. Sie hebt einen Ärmel an, um mir das Muster vorzuführen.

"Seidenkrepp aus der Tenmei-Ära! Ist schon seit Generationen hier im Haus," erklärt sie.

Das erlesene Kleidungsstück besitzt Stickereien von Pflaumenzweigen, an denen Blüten sprießen. Sie sehen so naturgetreu aus, als wären sie echt. Die One-San reicht mir das Gewand, das zusammengelegt in einer flachen geflochtenen Kiste gelegen hat. Ich spüre das Gewicht des Gewandes mit einem Futter, das aus Saum und Ärmeln hervorblitzt. Nie zuvor habe ich ein solch verschwenderisches Gewand gesehen. Abgesehen von meinem geliebten Hochzeitsgewand habe ich immer Baumwollkimonos angezogen gehabt, die natürlich auch wunderschöne Muster tragen.

Ich helfe der One-San, sich zu schminken und ihre Frisur zu richten, ein paar widerspenstige Strähnen an ihren Platz zu bringen. Anschließend helfe ich ihr in den Kimono und unten am Eingang in die glänzend schwarzen, eine Handbreit hohen Getas -Holzsandalen-. Ich öffne den Schirm und halte ihm über uns. So gehen wir über die Gassen in ein nahes Ryotai -Restaurant-, wo die One-San für eine Tanzvorführung gebucht worden ist, für das der Offizier dort ein kleines Vermögen zahlt.

Ich soll mich derweil im Hintergrund halten und schauen, hat die One-San mir eingeschärft. Ein Hauch von Sandelholz und Ambra umweht uns. Im Restaurant halte ich mich vorwiegend im Schatten, den die Öllampen lassen, um den männlichen Gästen nicht aufzufallen. Von meinem Platz folge ich der Vorführung der One-San und präge mir die Bewegungsfolgen ein. Später verbeugt sich die One-San und strebt in kleinen Trippelschritten dem Ausgang zu, nachdem ein Mann ihr einen Umschlag überreicht hat.

Ich gehe an der Wand entlang und treffe die One-San, als sie vor das Ryotai -Restaurant- tritt. Wieder öffne ich den Schirm und geleite sie in das Okiya zurück. Die Oka-San -Mutter- des Okiya erhält den Umschlag und die One-San erklimmt mit mir die hölzerne Treppe mit den knarzenden Stufen zu ihrem Zimmer. Wenig später, während die One-San sich abschminkt, klopft eine junge Dienstbotin und überreicht mir den Umschlag, um ihn weiterzugeben.

Die One-San hat Tee aufgesetzt. Nun sitzen wir uns im Seiza gegenüber. Sie hebt ihre Tasse an, hält eine Hand darunter und führt die Tasse zu ihrem Mund. Während sie mich über den Tassenrand anschaut, erzählt sie:

"Als ich hierhergekommen bin, war ich noch ein kleines Mädchen. Meine Eltern waren arm und ich war hübsch. Ich habe mit der Zeit alles gelernt, was eine Geisha wissen muss. Von Zeit zu Zeit besuche ich sie und gebe ihnen Geld. Inzwischen geht es ihnen gut. Sie haben ein schönes Haus und ein großes Reisfeld. Meine Geschwister sind gut verheiratet worden, und das verdanken sie mir. Du siehst also, ich bin eine gute Tochter und erfülle ihnen gegenüber meine Pflicht."

Ich will entgegnen, dass das bei mir anders sei. Ich bin keine Bäuerin, sondern eine Samurai. Doch da fällt mir ein, dass sich durch den Krieg alles geändert hat. Eltern und Schwiegereltern sind tot und mein Herr, der Daimyo, ist im Krieg.

"Auch ich habe eine One-San an die Seite bekommen, die mir alles beigebracht hat."

Sie macht eine Pause und neigt den Kopf schräg.

"Und wie ist das jetzt mit dem Schreiben?" fragt sie. "Mutter -Oka-San- sagte, du hättest damit geprahlt."

Ich will schon aufbegehren, besinne mich aber und antworte demütig:

"Um die Wahrheit zu sagen, ich kann schreiben. Ein bisschen jedenfalls."

"Kannst du einen Liebesbrief schreiben?" fragt die One-San lauernd.

"Einen Liebesbrief?"

Einen Moment bin ich ratlos. Dann fallen mir die Gedichte aus dem Buch ein, das ich zuletzt bei Kerzenschein in der Residenz gelesen habe. Ich kenne es fast auswendig. Pinsel und Papier liegen auf der Tatami-Matte neben dem Tisch. Auch ein Tuscheriegel liegt daneben. Ich denke nach, während ich mit dem Tuscheriegel über den bereitliegenden Reibstein fahre.

"Wie wäre es damit?" frage ich.
"'Werde ich heute Nacht
Ganz alleine schlafen müssen
Auf meiner schmalen Matte
Ohne den Mann wiederzusehen
Nach dem ich mich verzehre?'"

"Du meine Güte!" meint die One-San mit sarkastischem Ton. "Ein Mädchen mit klassischer Bildung! Das ist ein bisschen zu schwülstig für Danno. Schreib lieber solches:
'Ich träumte von dir gestern Nacht.
Als ich erwachte, warst du fort
Und jetzt ist mein Kissen nass vor Tränen.
Ich sehne mich danach, dich wiederzusehen'."

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