Freitag, 12. August 2022
Aibou - Die Zofe -23
Am nächsten Morgen mache ich mich nach dem Frühstück auf den Weg zu der Mädchenschule, an der ich bis zu meinem Heimflug gewirkt habe. Tanaka-San ist zu uns gekommen und hat Papa zu einer Besichtigungstour über die Insel abgeholt, bei der es um die Nahrungsmittelproduktion und -lagerung geht. Dabei beginnt er unter der Meeresoberfläche bei der Fischreuse und erklärt das Aussortieren und die Schlachtung.

Anschließend zeigt er Papa die Hühnerzucht und den Schlachtbetrieb. Dabei zeigt er auch die Landwirtschaft und die Verarbeitung der landwirtschaftlichen Produkte, und kommt auf die Aquakulturen, in denen Meerespflanzen kultiviert werden.

Beiläufig erwähnt Tanaka-San beim Mittagessen in einem Restaurant die Vakas der Polynesier, die ab und zu zum Handeltreiben am Hangar anlegen. Dort erhalten wir viele Südfrüchte und Gewürze her.

Am späten Nachmittag zeigt er Papa sein Büro auf der Insel. Dann ist der Tag vorbei und Papa kommt zum Abendessen zu Mama zurück.

*

Am gleichen Tag habe ich mich zur Mädchenschule aufgemacht und bin dort freudig begrüßt worden. Ich habe jetzt natürlich weder eine feste Klasse noch ein festes Fach. Wir wollen uns im Kollegium in den nächsten Tagen und Wochen etwas überlegen, wie ich wieder eingesetzt werden kann. In der Pause spricht mich ein älterer Kollege an:

"Youki-San, Sie haben jahrelang als Zofe im Haushalt des ehrenwerten Amatsuka-Sama gearbeitet und sich um die Tochter des Hauses gekümmert. Können sie mir aus ihrer Sicht eine Yamato Nadeshiko erklären?"

Ich schaue ihn erstaunt an. Hier auf der Schule wird den Mädchen beigebracht, was das japanische Frauenideal ist. Da müsste er es doch wissen! Will er mich etwa testen?

Höflich gebe ich ihm die gewünschte Auskunft:
"Eine Yamato Nadeshiko ist nicht unabhängig oder selbständig, findet ihre Erfüllung nicht in der Arbeit, sondern an der Seite eines Mannes, der sie zu führen und zu beschützen versteht. Ihm ist sie eine Hausfrau, Geisha und Samurai.
Als Hausfrau sorgt sie für das leibliche Wohl des Herrn und der Gäste des Hauses.
Als Geisha sorgt sie für das seelische Wohl des Herrn und der Gäste.
Als Samurai ist sie nach außen willensstark und kann sich durchsetzen. Sie erträgt Schicksalsschläge unbewegt. Die Yamato Nadeshiko bringt alle nötigen Opfer zum Wohlergehen und Schutz ihrer Familie.
Ihrem Ehemann ordnet sie sich bedingungslos unter, folgt ihm nach und gibt sich ihm hin."

"So kenne ich das auch, verehrte Kollegin. Sie sind nun aber weit in den Dreißigern, haben noch keinen Mann und lehren, wie man den Mann bei gesellschaftlichen Anlässen angemessen begleitet, zum Beispiel."

Ich schaue ihm in die Augen. 'Was will der Mann damit sagen?' frage ich mich in Gedanken, antworte aber höflich:

"Ich war jahrelang die Zofe einer wakai Josei -jungen Lady-. Es ist recht einfach, den Dienst für eine Lady auf den Dienst für einen Herrn zu übertragen, wenn man einige Besonderheiten beachtet und den Fokus auf den Dienst an sich legt, werter Herr!"

Mein Gegenüber nickt und entgegnet:
"Da gebe ich Ihnen vollkommen Recht, werte Youki-San. Ich bitte Sie um Entschuldigung, wenn meine Rede so verstanden wurde, als würde ich an Ihrer Kompetenz zweifeln. Mögen Sie mich nach Arbeitsende in den Park begleiten? Ich hätte Sie gerne unter vier Augen gesprochen."

Ihn anlächelnd erkläre ich mich zu dem Spaziergang bereit. Am Nachmittag schlendere ich langsam über den Außenbereich der Mädchenschule, dorthin wo der Park beginnt. Es ist Anfang April und die Blüten der Kirschbäume tauchen den Park in rosa Farben.

Hinter mir höre ich schnelle Schritte und drehe mich langsam um. Mein Kollege, der den Mädchen die Kunst der Selbstverteidigung beibringt, kommt schnell näher und stoppt bei mir.

"Aisatsu, Tsukino-San -Hallo, Herr Tsukino-," sage ich und verbeuge mich leicht.

Auch mein Kollege verbeugt sich kurz und meint:
"Hi wa hana ga tokuni utsukushiku kagayakimasu -die Blüten leuchten dieses Jahr besonders schön-."

Ich lächele ihn an und lasse einen Zweig durch meine Hand streichen. Worauf will Tsukino-San hinaus?

"Ich weiß nicht, ob Sie sich über mich erkundigt haben und wie weit Sie über mein Privatleben informiert sind..." beginnt er.

Ich hebe die rechte Hand, wedele damit in der Luft und sage:

"Wenn ich einen Herrn hätte, der Informationen vor dem Abschluss eines Geschäftes braucht, hätte ich mich sicher diskret informiert. Das gehörte dann zu meinen Aufgaben. Sonst wäre es aber höchst unhöflich, Tsukino-San!"

"Dann darf ich vielleicht in dieser Angelegenheit selbst aktiv werden, verehrte Kollegin Youki-San:
Sie wissen sicher von früher, dass ich verheiratet bin..."

Ich nicke und schaue ihn an. Er präzisiert:
"...oder besser gesagt, ich war mit einer sehr lieben Frau verheiratet. Als Sie uns damals verlassen haben, um zu ihren verehrten Eltern zurückzukehren, wurde Tsukino-San krank. Der Inselarzt ordnete eine Verlegung in das Hospital nach Maizuru an. Tanaka-San war so nett, den Meisai -Tarn- bereitzustellen. Ich bin mitgeflogen, weil ich Tsukino-San nicht alleinlassen konnte.
Sie wissen vielleicht, dass dieses Fluggerät die Entfernung in wenigen Minuten schafft, und das schien hier geboten zu sein. In der Amatsuka Werft Corporation kam bei unserem Eintreffen schon der Krankenwagen an. Tsukino-San wurde im Hospital untersucht und eine Volvulus -Darmverschlingung- diagnostiziert. Eine Notoperation wurde in Windeseile angesetzt. Leider hat mir der Chef des OP-Teams im Verlauf der Operation den Tod meiner lieben Frau mitteilen müssen."

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