Freitag, 2. September 2022
Kaede, die Samurai -05
Dann ist der Begleiter des älteren Herrn an der Reihe. Auch jetzt beginnt das Spiel langsam und gewinnt schnell an Geschwindigkeit. Sicher ist es die One-San leid, das Lied das den Rhythmus vorgibt, nicht in der normalen Geschwindigkeit zu singen. Die Laune am Tisch steigt, je mehr Sake fließt. Ich habe das Nachfüllen der Becher übernommen.

Bald summe ich das Lied mit:
"Konpira Funefune -Konpira-Boot-Boot-
Oite ni hokakete -Hisse das Segel auf dem Schiff-
Shura shu shu shu -La, La, La, La-
Mawareba Shikoku ha -um Shikoku herumfahren-
Sanshuu Nakanogori -alter Präfekturname-
Zouzusan Konpira Daigonken -Zouzu-Berg Konpira-Schrein Daigongen-Gottheit-
Ichido mawareba -Geh noch einmal herum-?

Zum Schluss ist der Begleiter des älteren Herrn wesentlich lustiger. Bevor die Emotionen eskalieren können, verbeugt sich die One-San tief und sagt:

"Mata ne -Auf Wiedersehen-. Es tut mir leid, Okyaku-Sama -meine Herren-, aber wir müssen leider gehen."

Ich habe die One-San beobachtet und mich darum synchron mit ihr verbeugt. Die One-San geht zum Tresen und erhält dort nach kurzer Wartezeit einen Umschlag, den sie sich in ihren Kimono steckt. Danach verlassen wir das Ochaya -Teehaus- und gehen zur Okiya -Geisha-Haus- wieder zurück. Dort gibt sie den Umschlag an die Oka-San weiter. Auch diesmal klopft kurze Zeit später eine junge Dienstbotin an die Tür und reicht heute zwei Umschläge herein. In meinem Umschlag steckt eine Lederschnur, auf dem ein Oban aufgefädelt ist. Ich verstecke das Geld sofort in meinem Bündel.

*

"Du hattest einen Ehemann? Hast du dich je mit ihm niedergelegt?"

Die One-San fragt unvermittelt in einer Trainingspause, die wir bei Tee im Seiza an einem Tisch verbringen. Ich wiege meinen Oberkörper unbehaglich hin und her, schlage die Augen nieder und flüstere:

"Ich... Ich kannte ihn kaum, bevor er in den Krieg musste. Alles, was er je zu mir sagte, war 'Lass mein Bad ein', 'Bring mir Tee'."

Vor meinem inneren Auge entsteht das Bild von ihm. Seinem düsteren, verärgerten Gesicht. Wie er kommandiert: 'Tee!', 'Bad!', 'Essen!', 'Was? Noch nichts bereit?' Ich erinnere mich an den Geruch seiner Haarpommade und wie mir ständig Angst wurde, wenn ich einen Hauch davon in die Nase bekommen habe. In seinem Haus bin ich nur eine bessere Dienstbotin gewesen.

"Er hat nicht viel für mich übriggehabt," flüstere ich, mit Wasser in den Augen.

"Meiner schon."

Die One-San nimmt eine Haarspange aus ihrem Haar und streichelt sie zärtlich. Ich bin verblüfft, bei ihr Gefühle zu sehen. Die One-San hält sonst seelischen Abstand zu den Männern. Einmal hat sie mir gesagt:

"Eine Geisha will nichts, fühlt nichts. Sie ist eine Künstlerin der dahinströmenden Welt. Sie tanzt und singt, sie unterhält die Männer, wie sie es mögen. Der Rest ist Schatten, ist Geheimnis."

Nie lässt sie jemand in ihr Innerstes blicken.

"Ihr Ehemann, ehrenwerte One-San?" platzt es aus mir heraus, um sogleich zu wissen, wie töricht diese Frage ist.

Meine Mentorin lächelt und wedelt mit der erhobenen Hand.

"Mein Danna -Gönner-!" korrigiert sie mich.

Ich hebe den Kopf bestätigend an und seufze tief. Mir fallen die Geschichten über die Kurtisanen reicher Männer ein, die ich bewundert habe, ihre Liebesaffären, ihre Mode und Haarstile. Ich denke an meinen Lieblingsroman, der sich mit meinen Kimonos in meinem Bündel befindet, an diese Welt heftiger Gefühle, und wie ich mich früher danach gesehnt habe.

"Zur Ehefrau bist du bestimmt nicht geschaffen," sagt die One-San nun.

Sie hat sich wieder gefangen. Ihre Stimme klingt wieder beherrscht.

"Das habe ich gleich bei unserem ersten Zusammentreffen gespürt," redet sie weiter. "Du siehst wie ein zahmes Kätzchen aus, aber du hast Krallen, die du ausfahren kannst, wenn es nötig ist. Genau wie ich. Das wird dich zu einer guten Geisha machen!"

Nach einer Gedankenpause meint sie:
"Einer unserer Kunden kann irgendwann den Wunsch äußern, dein Danna -Gönner- zu werden. Gehst du darauf ein, hast du von diesem Moment an einen Freund, der dich unterstützt. Die fleischliche Liebe, der Sex, bleibt außenvor. Vielleicht bleibt aus Zeitgründen auch gar keine andere Möglichkeit. Es kann passieren, dass er dich freikauft. Vielleicht richtet er dir auch ein Geschäft ein, von dem du leben kannst."

"So wie das Chrysanthemen-Teehaus?" frage ich.

Die One-San nickt und bestätigt:
"So wie das Chrysanthemen-Teehaus! Aber auch andere Selbständige waren früher einmal berühmte Geishas mit einem vermögenden Gönner. Überlege dir, was du gut kannst. Das übe dann später gegen Geld aus."

Mir kommt spontan eine Schreibstube in den Sinn. Aber dazu muss ich zuerst einmal einen Danna finden, der sich um mich kümmert, meine Schulden bei der Oka-San begleicht und mir anschließend ein Geschäft einrichtet.

"Wenn man sich zu seinem Gönner legt, was geschieht dann?" frage ich.

"Du warst doch schon einmal eine Ehefrau!" hält mir die One-San vor. "Also kannst du dir diese Frage auch selbst beantworten. Wenn die Geisha ihren Gönner heiratet, gibt es kein Zurück mehr!
In wieweit sich die Geisha auf die fleischliche Liebe zu ihrem Gönner einlässt... Das ist ein Tanz auf des Messers Schneide, Moe-San! Überlege dir so etwas gut."

"Sie reden mit den Männern, scherzen und entfernen sich danach wieder. So wie in dem Teehaus, wohin Sie mich mitgenommen haben. Sie tanzen, singen, rezitieren Gedichte, bedanken sich und verschwinden hinter einem Vorhang, One-San. Wie machen das die Männer mit?"

"Die Männer wollen vordergründig ihren Jadeschaft zwischen die Saiten der Laute schieben. Sie verzehren sich nach der Geisha. Aber eigentlich wollen sie nur träumen. Sie möchten sich jung und begehrenswert fühlen, ganz gleich wie alt und hässlich sie in Wirklichkeit sind. Sie möchten glauben, dass sie geistreich und witzig sind. Sie möchten Sehnsucht nach ihnen in deinen Augen sehen. Wenn du einem Mann dieses Gefühl gibst, ist er für immer dein! Auch wenn er seinen Jadeschaft selbst in die Hand nehmen muss."

*

Schritte nähern sich dem Zimmer der One-San. Als die Tür zur Seite geschoben wird, sinken die One-San und ich auf die Knie, die Nase auf den Boden gedrückt.

Die Mutter steht in der Tür. Sie sagt:
"Es wird allmählich Zeit, Moe-San, dass du richtig Geld verdienst! Die Geschäfte gehen schlecht."

Die One-San setzt sich auf ihre Fersen zurück. Ihr Gesicht nimmt eine trotzige Miene an.

"Moe-San ist mein Schützling! Sie haben sie in meine Obhut gegeben und ich habe gerade erst so richtig mit der Ausbildung begonnen, nachdem sie sich bisher eingewöhnen konnte. Wir können mit den Teehäusern ein viel höheres Entgelt vereinbaren, wenn wir noch eine Weile warten. Außerdem haben wir schon mit dem besten Teehaus des Hanamachi Kontakt aufgenommen!"

Ich habe den Eindruck, dass ich mit der One-San an meiner Seite jedem entgegentreten kann. Selbst der Mutter! Daran denkend, was die One-San mir über die Männer erzählt hat, die träumen wollen, sage ich aus meiner Position am Boden heraus:

"Lassen Sie mich die Herren unterhalten! Lassen Sie mich mit ihnen trinken und reden, für sie tanzen, singen, musizieren und die Teezeremonie durchführen. Ich kann den Männern das Gefühl vermitteln, dass ich sie wirklich kennenlernen möchte. Sollte ich mich dazu entschließen, mit Einem das Kissen zu teilen, wird er sich viel eher als etwas Besonderes fühlen. Wenn ihnen das nicht gleich beim ersten Mal möglich ist, werden sie immer wiederkommen und für Umsatz sorgen!"

"Du hast Temperament!" Die Stimme der Oka-San hört sich bewundernd an. "Mit noch ein bisschen Übung könntest du tatsächlich die berühmteste Geisha Nihons -Japans- werden. Dann werden wir einen hervorragenden Gönner für sie finden, der ein Vermögen für sie bezahlen wird. Mamiko-San, du hast freie Hand! Aber das darf nicht mehr zu lange dauern!"

Ich nicke, dankbar für die Galgenfrist. In den nächsten Monden begleite ich die One-San zu ihren Verabredungen in verschiedene Ochaya -Teehäuser- des Hanamachi -Blumenviertel- Yoshicho und achte darauf, wie sie mit den Männern umgeht. Oft hat sie drei oder vier Termine hintereinander und wir sind erst um Mitternacht im Okiya zurück.

*

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