Montag, 5. September 2022
Kaede, die Samurai -06
--Neunter Mond im Jahr der Schlange, Meiji--

Ich bin perfekt geschminkt, von der kirschroten Unterlippe bis zu dem weiß gepuderten Gesicht und Händen. Mein Haar ist geölt, aufgepolstert, zu einer kunstvollen Marumage-Frisur gebunden worden und mit seidenen Quasten behängt. Da hinein habe ich Haarnadeln und -kämme mit Schildpatt und Perlmuttornamenten gesteckt bekommen.

Meine Füße stecken in weißen Socken, bei denen der große Zeh separat steckt. So haben die Zehenriemen Halt. Die dazugehörigen Geta -hölzerne Zehensandalen- sehen aus wie glänzende schwarze Hufe und machen mich so groß, dass ich über fast alle Köpfe hinwegsehen kann. Probeweise hebe ich einen Fuß an. Bei dem Gewicht der Getas werde ich langsam und würdevoll schreiten müssen, wie es mir die One-San beigebracht hat.

Ich trage mehrere kostbare Kimonos übereinander. Darunter prickelt meine Haut vor Hitze. Aber etwas anderes beschäftigt mich mehr.

"Wird alles gut gehen?" flüstere ich unsicher und werfe Mamiko-San, meiner One-San -Mentorin-, einen ängstlichen Blick zu.

Die One-San ist in ebenso prächtige Kimonos gehüllt wie ich.

"Ja, natürlich!" ist sie überzeugt. "Konzentriere dich nur auf deine Schritte."

Sie lächelt mir aufmunternd zu und ergänzt: "Mach einfach genau das, was ich dir beigebracht habe."

Die Oka-San betritt das Zimmer und fragt nervös: "Was ist los?"

Auch sie trägt ihren besten Kimono, ein elegantes nachtblaues Seidengewand mit rotem Obi. Ihre Lippen sind nur ein roter Strich in dem kalkweißen Gesicht.

"Das Übliche vor einem solchen Auftritt," erwidert die One-San.

Die Oka-San lächelt milde und tätschelt sanft meinen Arm.

"Denk nicht an die vielen Menschen draußen, Kindchen," gurrt sie. "Konzentriere dich auf dich!"

Wir gehen Schritt für Schritt die knarzende Treppe hinab und durch den Korridor zum straßenseitigen Haupteingang. Zwei Dienstboten stehen dort und schieben die beiden Türflügel auf, während sie sich tief verbeugen.

Unterwegs sagt die Mutter, die direkt hinter mir geht:
"Vergiss nicht, lass dir Zeit! Halte den Kopf hoch. Lass sie zu dir aufschauen!"

Als wir auf die Hauptstraße vor die Okiya treten, höre ich schweres Atmen und Laute des Erstaunens. Die Männer starren mich verzückt an. Ich beobachte sie durch die langen Wimpern hindurch.

Draußen richte ich mich kerzengerade auf und sehe stur geradeaus. Jede Bewegung, jede Geste muss perfekt sein. Ich habe den speziellen Gang lange mit der One-San geübt. Das Gewicht der Getas darf nicht am Gang bemerkt werden. Jeder Schritt muss anmutig und verführerisch aussehen.

Ich kippe den rechten Fuß bis die Geta auf der vorderen Kante steht, bewege sie mit einem Stoß vorwärts und ziehe einen weiten Halbkreis durch den Staub. Die Röcke meiner Kimonos öffnen sich einen Spalt, zeigen den Zuschauern flüchtig meine schlanken Knöchel. Nun hole ich Luft, wiege mich anmutig vor und zurück und stoße mit dem Zurücknehmen der Schultern den linken Fuß in gleicher Art vor.

An meiner Seite bewegt sich die One-San in der gleichen Art und Weise. Zwei Dienstboten halten Sonnenschirme am langen Arm über unsere Köpfe. Vor uns teilt sich die Menge.

Ich atme die Luft ein, die für das Hanamachi so typisch ist. Aus der Menge höre ich ein Raunen:

"Das ist Moe-San! Moe-San! So schön wie ein Traum!"

Wir schreiten würdevoll daher. Unser Ziel ist das Kikka Ochaya -Chrysanthemen-Teehaus-. Normalerweise hätte ich den Weg in wenigen Minuten zurückgelegt, auch wenn die One-San mich stets durch die Gässchen abseits der Hauptstraße geführt hat. Heute brauche ich dafür eine ganze Stunde.

An der Tür des Chrysanthemen-Teehauses kniet die Besitzerin und ruft:

"Irasshaimaseeeeee -Willkommen-!"

Ich lächele sie an. In den vergangenen Monden habe ich viele Feste in ihrem Teehaus besucht und Herren den Abend versüßt. Inzwischen bin ich mit ihr in Freundschaft verbunden.

Die Besitzerin führt uns einen Korridor entlang und schiebt eine Tür auf. Die One-San rauscht auf ihren flachen Sandalen an mir vorbei. Drinnen höre ich die One-San sagen:

"Okyaku-Sama -Meine Herren-, bitte heißen Sie unsere neue Geisha Moe-San willkommen!"

Mit gesenktem Blick schlüpfe ich hinein. Ich befinde mich hier in einem Festsaal. Viel goldene Dekoration umgibt mich, in der sich das Licht vieler Öllampen bricht. Männer sitzen mit gekreuzten Beinen an niedrigen Tischen voller Speisen und Sake-Krügen. Dienstboten wuseln zwischen ihnen umher.

In der Mitte sitzt der Mann, der für diese ganze Feier bezahlt. Seine Augen sind mit einem Ausdruck nackten Verlangens auf mich gerichtet. Ich lächele mein geheimnisvolles Lächeln.

Schon komisch, dass ich ihn viel besser kenne, als ich meinen Herrn und Ehemann jemals kennengelernt habe. Wir haben im Vorfeld beim Sake zusammengesessen und uns unterhalten. Er hat mir Komplimente gemacht, ist freundlich gewesen und hat mir Geschenke gemacht. Er gibt sich intelligent und ehrgeizig. Er hat im Teehaus immer gut gezahlt, so dass die Besitzerin meinen Anteil an ihrem Umsatz erhöht hat.

Nur eins macht mir Sorgen. Dieser Mann hat die Absicht, diese Nacht neben mir liegen zu wollen. Ich hoffe, mich an alles zu erinnern, was die One-San mir in Bezug auf Männer beigebracht hat.

Auch wir erhalten eine Schale voll Sake gereicht. Die One-San erhebt ihre Schale und sagt mit kindlicher Stimme:

"Rippana Okyaku-Sama -ehrenwerte Herren-, heute ist ein glückverheißender Tag! Trinken wir auf Haruyama-Sama, unseren großzügigen Gastgeber, und auf Moe-San, die neue Geisha!"

Die anwesenden Frauen und Männer heben ihre Schalen und leeren sie mit einem Schluck. Glückwünsche werden laut. Einer der Gäste erhebt sich und hält eine Rede darüber, wie sehr die militärischen Erfolge des Gastgebers verblassen, wenn man sie mit der Eroberung Moe-Sans vergleicht, der liebreizensten Geisha, die Yoshicho je gesehen hätte. Er redet weiter, unterbrochen von Sake, der von den Dienstboten immer wieder nachgeschenkt wird, zunehmend schwankend und lallend.

Haruyama-Sama rutscht ungeduldig hin und her. Auch er ist vom Sake erhitzt.

'Vielleicht hat er so viel getrunken, dass er gleich nach dem Essen einschläft,' hoffe ich insgeheim.

Schließlich ist das Kaiseki -mehrgängiges Festmenü- beendet. Die Besitzerin des Chrysanthemen-Teehauses führt Haruyama-Sama und mich eine Etage höher. Bedienstete haben einen riesigen hölzernen Waschzuber mit heißem Wasser gefüllt. Darüber schwebt der Dampf in dem Raum. Haruyama-Sama entkleidet sich und steigt in das mit Badeölen aromatisierte Wasser. Er dreht sich nach mir um.

Aber statt mich nun ebenfalls zu entkleiden, rolle ich einen Tisch herbei mit flauschigen Tüchern, Naturschwämmen und vielen Fläschchen voll Badezutaten. Ich entblöße meine Unterarme, was ihn dazu veranlasst, tief einzuatmen. Anschließend lässt er sich von mir pflegen. Nebenbei fülle ich seinen Becher Sake immer wieder nach.

Bald erhebt er sich schwankend und ich trockne ihn ab. Mit Hilfe eines Hockers entsteigt er dem Waschzuber und ich führe ihn zum Futon in einem Nebenraum. Dort legt er sich nieder und zieht mich zu sich herab. Seine Augen sind nur noch Schlitze in seinem Gesicht. Ich lasse zu, dass er mich berührt, denn seine Bewegungen sind nicht mehr koordiniert. Er liegt noch nicht lange, als ich die ersten regelmäßigen Atemzüge vernehme.

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