Donnerstag, 8. September 2022
Kaede, die Samurai -07
Nun nehme ich das Tüchlein, das die One-San mir gegeben hat. Meinen Dolch, den ich als Lebensversicherung immer bei mir trage, nutze ich nun, um mich zu stechen. Ich tupfe das Tuch auf die kleine Wunde und lege es neben Haruyama-Sama auf den Futon. Seinen Jadestab lasse ich in meiner Hand steif werden, dann entferne ich mich leise und gehe vorsichtig die Treppe hinab zum Hinterausgang, meine Getas in der Hand haltend. Draußen ziehe ich sie an, mache mich aber noch nicht auf den Heimweg ins Okiya, sondern lasse mich auf der Veranda nieder. Ich warte, bis der Mond zu sinken beginnt.

*

Ein weiterer Mond ist ins Land gegangen. Man behandelt mich anders und auch ich fühle mich anders. Meine ganze Haltung drückt Selbstbewusstsein aus. Ich bin zwar eine Gefangene mit Schulden, die ich der Mutter abarbeiten muss. Mit dem einen oder anderen Kunden ist es beinahe bis zur Kopulation gekommen, wie bei meinem Debüt. Aber immer habe ich es kurz vorher geschafft, das 'Spiel' zu beenden. Die Männer vertragen nicht viel Sake!

Mir kommt in den Sinn, was die One-San am Tag nach meinem Debüt gesagt hat.

"Oka-San ist stolz auf dich!" hat sie gesagt. "Dank dir ist das Leben wieder nach Yoshicho zurückgekehrt. Die Männer lieben dich! Als Ehefrau warst du bei deinem Talent völlig vergeudet."

Wenn die One-San und die Anderen wüssten, dass ich mich dank des Sake immer rechtzeitig aus der Affäre zu ziehen weiß. Ich möchte mich aufheben für den Richtigen!

Ich lächele in mich hinein. Auf der Straße verneigt sich jeder, an dem ich vorbeigehe. Ich weiß nun, dass mein Erfolg davon abhängt, meinen geheimnisvollen Nimbus aufrechtzuerhalten. Solange ich unerreichbar bleibe, kann ich ein Leben führen wie die One-San. Sobald jedoch meine Verführungskraft schwindet, ist dieses Leben vorbei.

Draußen, das ist die fließende Welt. Hier drinnen im Hanamachi steht die Zeit still. Deshalb kommen die Männer her. Sie möchten die raue Wirklichkeit für kurze Zeit vergessen.

Viele Männer sind begierig darauf, mindestens bis ein Räucherstäbchen niedergebrannt ist, mit 'Nippons schönster Geisha' zu verbringen, sich von mir unterhalten zu lassen, ganz gleich was es kostet.

Einige sind alt, haben vom Leben zerfurchte Gesichter und schlaffe Körper, aber sie sind so amüsant und umgänglich, dass ich mich immer wieder mit ihnen treffe. Andere wollen plaudern oder gehätschelt werden, als wäre ich ihre Mutter. Ein hoher Regierungsbeamter redet sich bei mir seinen Kummer von der Seele und weint wie ein Kleinkind in meinen Armen. Ich habe inzwischen soviel Zuspruch, dass ich auswählen kann.

Immer aber behalte ich One-Sans Worte im Gedächtnis, niemals mein Herz zu verlieren. Alles ist nur ein Spiel und der Austausch von Geld beeinflusst die Beziehung mit den Kunden.

Den älteren Kunden ist das stets ebenfalls klar. Einige der jüngeren Kunden jedoch sind so von der geheimnisvollen Aura geblendet, dass sie vollkommen in meinen Bann geraten und sich ruinieren, nur um mich so oft wie möglich besuchen zu können.

Die meisten Männer haben zuhause Ehefrauen. Bei mir können sie sich ganz anders verhalten. Ihre Ehefrauen sind ihnen von ihren Familien für sie ausgewählt worden. Ihre Eltern bestimmten selbst über die Familie der erwachsenen Söhne -Oyakoko-. Bei mir können die Männer sich entspannen, mich necken, mit mir lachen, schäkern und sich benehmen wie kleine Jungen. Sie müssen nicht mehr ihre Würde bewahren, und sich um ihre Außenwirkung Sorgen machen. Sie bezahlen für die Freiheit, alles zu sein, was ihnen vorschwebt.

*

Ich schiebe die Tür zu Umeko-San -Kind der Pflaumenblüte- auf. Sie ist unsere Haarkünstlerin. Der Rahmen kratzt in der Führung. Endlich ist die Öffnung groß genug, dass ich hindurchschlüpfen kann. Es ist Mittagszeit und kein Kunde befindet sich in Yoshicho. Umeko-San ist immer mit irgendetwas beschäftigt, doch heute ist es totenstill im Haus. Ich kenne mich aus und finde Umeko-San im Wohnraum. Sie kniet im Seiza und liegt mit dem Oberkörper auf dem Tisch.

"Was ist los, verehrte Umeko-San?" frage ich gedämpft und laufe in kleinen schnellen Trippelschritten zu ihr, um mich neben sie zu knien. Sie liegt halb auf einer Zeitung.

"Ein Schiff der Gaijin -Ausländer- ist in Kisarazu eingelaufen," flüstert sie und wischt sich Tränen aus den Augen.

Ich schaue sie erstaunt an.
"Heißt das, der Krieg ist vorbei?"

"Sie haben sich ergeben. Jetzt sollen sie nach Europa zurückgeschickt und vor Gericht gestellt werden. Vielleicht wird man ihnen befehlen Harakiri zu begehen, oder wie sie das in Europa machen."

Sie hat den Kopf gehoben und mich angeschaut. Nun legt sie ihn wieder auf ihre Arme zurück.

"Ich habe die Liste der Gefangenen immer wieder durchgelesen, aber ich kann seinen Namen nicht finden. Diese Namen sind so schwer zu entziffern. Es ist so schrecklich, nicht Bescheid zu wissen."

"Dein Danna -Gönner-..."

Ich begreife plötzlich, warum Umeko-San so verstört ist.

"Wenn er gefallen ist, will ich das wissen," schluchzt sie auf. "Dann sollte er hierhergebracht und begraben werden!"

"Dein Gönner war ein Gaijin?" frage ich noch einmal.

"Hai -Ja-."
Sie atmet schwer.

Ich habe manchmal hochgewachsene Matrosen in fremden Uniformen mit rosa Gesichtern gesehen. Sie stehen im Ruf, Ärger zu machen, und suchen die billigsten Häuser auf. Aber ich habe bisher noch nie von einer Frau gehört, die einen Gaijin als ihren Danna annimmt.

"Ich bin früher eine gefeierte Geisha gewesen, fast so wie du heute. Eines Tages kam ein Mann zu mir und starrte mich mit großen runden Augen an. Ich dachte, was will er von mir? Seine Kameraden waren hinter den jungen Mädchen her, aber er schien nur Augen für mich zu haben. Dann forderte er mich an. Ich nahm an. Er war freundlich und respektvoll. Er suchte Trost und Verständnis. Und er sprach unsere Sprache. Er benahm sich nicht wie ein Macho. Darum mochte ich ihn umso mehr.
Dann kaufte er mich frei. Er richtete mir dieses Haus ein. Doch dann wurde es hier schlimmer. Sein Schiff fuhr ab, um in die Kämpfe einzugreifen und damit ihre Niederlassung zu schützen. Er fehlt mir sehr! Seine großen Hände, seine komische Nase... Ich wünschte, ich könnte seinen Namen hier finden!"

Sie wendet sich ab, schnäuzt und macht sich an der Teekanne zu schaffen.

"Vielleicht ist er entkommen!" versuche ich sie zu trösten.

*

Ich stehe am großen Tor von Yoshicho, verbeuge mich tief und verabschiede mich vor dem jungen Mann. Er steigt in die Rikscha und wirft mir einen fast verzweifelten Blick zu. Er soll in der neuen Verwaltung eine wichtige Rolle spielen, heißt es. Bei mir benimmt er sich allerdings eher wie ein pubertärer Junge.

Eigentlich verabschiede ich mich dort von meinen Kunden, wo sie mich hinbestellt haben, da ich oft mehrere Termine hintereinander habe. Aber er ist am frühen Nachmittag gekommen und für eine Räucherstäbchenlänge geblieben. Danach hat er so herzzerreißend gebeten, ihn zum Tor zu begleiten, dass ich zugestimmt habe.

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