Samstag, 17. September 2022
Kaede, die Samurai -10
Von der erhöhten Sitzposition heraus erhasche ich einen Blick von ihm und schaue sofort züchtig zu Boden. Als die Männer ihn in der Sänfte davontragen, schlägt er den hinteren Vorhang zur Seite und schaut noch einmal zurück. Dabei macht er eine Miene, als hätte er jemand erkannt.

Nun will ich aber so schnell wie möglich zu meinem Okiya zurück. Unterwegs frage ich meinen Begleiter nach seinem Namen. Er nennt mir "Ito Isamu". Nachdem wir das Okiya erreicht haben, gehe ich über die seitliche Veranda bis zum Büro der Mutter, schiebe die Regentür auf und verneige mich vor ihr. Ich grüße sie:

"Ohayo gozaimasu, Oka-San -Guten Morgen, Mutter-. Ich komme gerade von Umeko-San, nachdem ich im Kikka Ochaya -Chrysanthemen-Teehaus- nach Fujimoto-Sama geschaut habe. Umeko-San bittet mich auf ihren Itoko -Cousin- Ito-San zu achten. Ich habe ihr versprochen, dass er mich abends als mein Purotekuta -Beschützer- begleiten dürfe, gegen Kost und Logis. Wenn der Mutter über Tag noch weitere Arbeit einfällt, ist das sicher gut."

"Hai -Ja-," meint sie. "Arbeit findet sich hier immer genug!"

Ich danke der Mutter und wir durchqueren das Büro, gehen in den Korridor und steigen die Treppe zu meinem Zimmer hinauf. Nachdem ich die Tür zu meinem Zimmer aufgeschoben habe, trete ich zur Seite, um ihn eintreten zu lassen. Er schaut in den Raum und bleibt unwillkürlich stehen. Man sieht ihm an, dass ihm unbehaglich zumute ist.

*

Mein Name ist Ito Isamu. Ich habe einer japanischen Delegation angehört, die in Europa in diplomatischer Mission unterwegs gewesen ist. Mein Onkel ist der Ministerpräsident Ito Hirobumi. Ich bin nach der Samurai-Tradition erzogen worden. Als wir von den Unruhen erfahren haben, hat der Delegationsleiter mich mit ein paar Getreuen auf einem europäischen Kanonenboot in die Heimat zurückgeschickt.

Während der langen Wochen unterwegs habe ich mich mit dem 1.Offizier angefreundet. Dieser Mann ist schon einmal in Japan gewesen und kann unsere Sprache ein wenig sprechen. Genauso ist es umgekehrt. Wir haben viel voneinander gelernt.

In Nihon angekommen, sind wir alsbald in die Kämpfe verwickelt worden. Obwohl wir uns zumeist nur selbstverteidigend betätigt haben, wurde unser Schiff wohl als Bedrohung angesehen und ist unter starkes Feuer geraten. Dann haben es japanische Soldaten aufgebracht. Der 1.Offizier hat sich durch einen Sprung über Bord der Gefangennahme entzogen. Ich habe es ihm gleich getan.

An Land meinte er, wir müssten uns getrennt nach Edo durchschlagen, das erhöht die Chance, dass wir unser Ziel erreichen. Hierbei muss ich ihm Recht geben. Auf die Frage, wo wir uns denn treffen würden, schlägt er das Hanamachi Yoshicho vor den Toren der Stadt vor. Dort soll ich nach der Haarkünstlerin Umeko-San fragen. Sollte er noch nicht dort sein, soll ich bei ihr auf ihn warten.

Nun habe ich den beschwerlichen Marsch hinter mir. Wir haben uns wiedergetroffen und müssen bald unsere nächsten Schritte beraten. Im Haus der Umeko-San erfahre ich, dass mein Freund der Danna dieser Frau ist, die einmal eine Geisha gewesen ist. Währenddessen lerne ich eine junge Geisha kennen, über die hier an allen Ecken gemunkelt wird. Sie gibt mir eine Tarn-Existenz und nun sitze ich ihr in ihrem Zimmer gegenüber.

Mir ist unterwegs in ihr Okiya eingefallen, wo ich ihren letzten Kunden schon einmal gesehen habe. Darauf spreche ich sie jetzt an:

"Dein letzter Kunde, Moe-San, kennst du ihn?"

"Jeder hier im Yoshicho kennt Fujimoto-Sama. Er ist sehr reich."

"Weißt du, womit der Herr seinen Reichtum erworben hat?" frage ich und blicke finster drein.

"Er ist ehrbarer Kaufmann und besitzt ein riesiges Handelsimperium," antwortet sie mir mit schwankender Stimme und schaut mich unsicher an.

"Ich bin ihm schon einmal begegnet. Ja, ich bin sicher, dass er es gewesen ist! Es war in Batavia, als wir dort landeten, um unsere Vorräte aufzufüllen. Wir sind danach durch die Stadt geschlendert, um sie uns anzuschauen. Plötzlich öffnete sich eine Tür vor uns und eine junge Frau stürzte heraus. Sie prallte direkt mit mir zusammen und hat sich an mir festgekrallt. Ihr Gesicht vergesse ich so schnell nicht. Geschockt, voller Angst. Männer kamen hinterher und rissen sie von mir fort, um sie schreiend und um sich tretend wieder hinein zu schleppen. Ich habe meine Begleiter angeschaut und wollte zu ihrer Rettung hinterher stürmen, als dieser Mann in der Tür erschien und sagte: 'Das hier ist eine Privatangelegenheit! Kein Grund sich Sorgen zu machen! Danke für Ihre Hilfe, meine Herren.' Daraufhin zieht er die Tür zu. Penetranter süßlicher Geruch lag danach in der Luft, der Duft von Opium! Dieser Herr macht Geschäfte mit Rauschgift und jungen Frauen! Er ist gefährlich, Moe-San!"

Sie schaut mich erschrocken an. Dann zieht sie einen Fächer aus ihrem Obi und wedelt sich damit Luft zu. Sie scheint sich etwas zu beruhigen. Mit immer noch ernstem Gesicht antwortet sie:

"Das war Fujimoto-Samas erster Besuch. Ich habe Glück gehabt: Er hat wie ein Baby geschlafen. Aber hab Dank für deine Sorge um mein Wohl!"

Beim letzten Satz berührt sie meinen Unterarm mit ihrer Hand.

*

Was mir Ito-San da berichtet, lässt in mir alle Feuerglocken schellen. Nun sieht er mich durchdringend an.

"Du hast mich der Oka-San als Beschützer vorgestellt. Das könnte ich tatsächlich sein für dich - und noch mehr, wenn ich dein Danna werden darf, Moe-San."

Ich schaue den Mann durchdringend an. An ihm ist etwas, dass ihn von anderen Männern unterscheidet. Sein Gesicht ist gebräunt, wie das eines Bauern, aber dennoch hat seine Körperhaltung etwas von einem Prinzen.

"Wo meinst du, Fujimoto-Sama begegnet zu sein?" frage ich zurück.

"Das tut nichts zur Sache!" bügelt er mich barsch ab.

"Batavia ist ein Ort außerhalb Japans, das stimmt doch? Bist du... außerhalb Japans gewesen?"

Ich blicke mein Gegenüber an und begreife plötzlich, dass es das ist, was ihn so anders macht. Ito-San besitzt die Eigenschaft Dinge zu kennen, die ich nicht kenne, und Teil einer Welt zu sein, die ich mir bisher nicht einmal vorstellen kann.

"Du sagtest, du würdest mir alles erzählen," lasse ich nicht locker.

Ito-San schaut ins Leere. Er flüstert:
"Die Leute denken, wir sind unrein, weil wir im Ausland waren und uns mit Menschen, wie dem Danna von Umeko-San abgegeben haben."

"Ich glaube das nicht!" behaupte ich mit fester Stimme. "Ich würde gerne wissen, wie es in dem Land ist, aus dem Umeko-Sans Danna kommt."

Ito-San wendet sich mir zu. Er seufzt.

"Es ist wunderschön. Die Hauptstadt ist fast so groß wie Edo. Die Gebäude sind aus Stein, nicht aus Holz, und sie sind hoch."

"Und die Menschen?" frage ich. "Haben sie schwarze Haare oder eher wie Umeko-Sans Danna?"

Ito-Sans Blick verliert sich abermals in der Unendlichkeit. Er flüstert:

"Doch! Sie haben irgendwie Recht. Ich bin kein echter Japaner. Dafür war ich zu lange fort. Japan ist eine in sich geschlossene Welt. Ich dagegen habe zuviel gesehen, habe zuviel erfahren und stelle zuviele Fragen."

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