Montag, 15. August 2022
Aibou - Die Zofe -24
Wir gehen eine Weile stumm nebeneinander her. Er trocknet verstohlen seine feuchten Augen. Schließlich höre ich ihn einen Seufzer ausstoßen.

"Ich war nie besonders romantisch veranlagt, wissen Sie, Youki San. Darum kämpfe ich gerade mit den richtigen Worten. Ich bin eher ein Mann der Tat. Deshalb lehre ich auch die Selbstverteidigung..."

Mich ihm zuwendend, bleibe ich stehen und zwinge ihn so, sich zu mir umzudrehen. Wieder lasse ich einen Kirschblütenzweig durch meine Hand gleiten.

"Sie sprechen mich an, weil wir beide ohne Partner sind, werter Kollege. Sie haben die Trauer um ihre liebe Frau weitestgehend verarbeitet und fühlen sich nun bereit für eine neue Beziehung?"

"Hai -Ja-, so kann man sagen," antwortet Tsukino-San, erleichtert lächelnd. Man fühlt geradezu, wie ihm ein Stein vom Herzen plumpst.

"Ich schlage vor, dass wir Freunde werden, Tsukino-San. Die Leute dürfen keinen falschen Eindruck gewinnen. Gehen Sie in die Schulbibliothek und leihen Sie sich Bücher zum Thema Kennenlernen und Verlieben. Es dürfen gerne zuerst wissenschaftlich-psychologische Abhandlungen sein. Bald sollten Sie aber zu Romanen umschwenken, in denen Paarbeziehungen beschrieben werden, oder Sie sollten Waka -Gedichte- lesen!
Schlagen Sie mir hin und wieder solche Zeiten unter vier Augen vor, wie diesen Spaziergang jetzt, und stellen Sie mir Fragen zu dem, was Sie dort lesen. Ich werde Sie beraten, als ginge es um die Anbahnung einer Affaire zu einer dritten Person..."

Ich unterbreche mich, als ich seine abwehrende Reaktion bemerke.

"Stören Sie sich nicht an dem Begriff 'Affaire', Tsukino-San! Ich weiß ja, welches ihr eigentliches Ziel ist. Das müssen Sie jedoch selbst anzusteuern wissen. Lassen Sie das alles in jedem Fall langsam angehen und lernen Sie sich romantisch auszudrücken."

Er schließt den Mund, nickt und geht langsam neben mir den Rundkurs, um sich am Schulgelände dankend von mir für heute zu verabschieden.

*

In der Folgezeit schaue ich seinem Training zu, wenn er den Schülerinnen Ju-Jutsu beibringt. Anfangs ist Tsukino-San noch sehr hart mit den Schülerinnen. Ich sehe manch eine Schülerin mit Tränen in den Augen die Halle nach der Sportstunde verlassen.

Meine gelegentliche Anwesenheit und sicherlich auch mein Rat, sich mehr mit Romantik und Emotionen zu befassen, scheint allmählich Wunder zu bewirken. Er nimmt nun alle Schülerinnen im Training mit. Keine bleibt im Unterricht auf der Strecke.

Darüber vergehen einige Monate. Ich helfe Mama gerade beim Putzen der Wohnung vor Neujahr, als ich eine Einladung für ein Essen in einem der Baraetishiata -Varieté-Theater- von ihm erhalte. Hilfesuchend schaue ich Mama an. Sie nickt mir zu und meint:

"Nimm die Einladung gerne an, Airi -Liebes-. Ich schaffe das auch alleine."

Freudig verbeuge ich mich und gehe auf mein Zimmer. Dort kleide ich mich in einen roten Furisode mit bunten Mustern, forme mein Haar zu einem Dutt und schminke mich dezent. Im Schuhregal am Eingang wähle ich die passenden Schuhe und schlendere durch die Gänge des Hochhauses in Richtung des Baraetishiata.

Dort sehe ich Tsukino-San vor dem Eingang warten. Kurz darauf hat er mich entdeckt und ein Lächeln überzieht sein Gesicht und gefriert.

Tsukino-Sans Augen werden größer, je näher ich ihm komme. Sein Mund öffnet sich, als wolle er etwas zu mir sagen, aber er bekommt keinen Ton heraus. Es braucht einen langen Moment, bevor er sich vor mir verbeugt. Ich habe ihn schon erreicht, als er sich endlich gefangen hat.

Am Eingang lese ich den Titel des heutigen Theaterstückes "Mimiwosumaseba -Wenn du zuhörst-."

Nun begrüßt er mich zuvorkommend und öffnet die Eingangstür, um sie mir aufzuhalten, damit ich eintreten kann. Sogleich werden wir von einer Kellnerin 'angeflötet':

"Irasshaimaaaaase -Willkommeeeeen-!"

Wir verbeugen uns leicht. Da kommt schon ihre nächste Frage:

"Nan mei sama desu ka -Wieviele Personen-?"

Tsukino-San übernimmt:
"Futari desu -Zwei Personen-."

Nun verbeugt sie sich lächelnd und dreht sich um. Wir folgen ihr und sie führt uns zu der Treppe, die zu den Zuschauerrängen führt. Dort führt sie uns bis an einen freien Tisch und sagt:

"Kochira e douzo -Bitte setzen Sie sich hier."

Während wir hinter dem niedrigen Tisch mit Blick zur Bühne Platz nehmen, überreicht sie Tsukino-San die Menükarte.

"Menyuu ni narimasu -Hier ist die Menükarte!"

"Arigatou gozaimasu -Vielen Dank-," antwortet mein Tischherr und breitet die Karte zwischen uns aus, damit auch ich hineinsehen kann.

Die Bedienung hat uns alleingelassen, um weitere Gäste an leere Tische zu führen. Nachdem wir uns dafür entschieden haben, was wir bestellen wollen, drückt Tsukino-San einen Rufknopf am Tisch. Wenige Sekunden darauf steht wieder eine Bedienung vor unserem Tisch und fragt:

"Gochuumon wa okimari desu ka -Möchten Sie bestellen-?"

"Sumimasen -Entschuldigung-," antwortet mein Tischherr und zeigt auf ein abgebildetes Menü.

"Kore wo futatsu onegai shimasu -Könnte ich dieses zweimal haben, bitte-?"

Die Bedienung wiederholt die Bestellung mit Angabe der Nummer des Menüs in der Speisekarte. Tsukino-San nickt und bestätigt mit "Hai -Ja-."

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