Mittwoch, 20. Januar 2021
Yamato Nadeshiko -14-
Nachdem der Empfang vorüber ist, zieht sich Moe-chan noch einmal um. Diese häufigen Outfitwechsel nennt der Japaner o-ironaoshi -Farbwechsel-. Nun tragen wir bequeme Kleidung und es geht zu einer anderen Location für die After-Party -Nijikai-, die nach Altersgruppen getrennt gefeiert wird. Hier gibt es wieder Essen. Hinzu kommen Spiele, Musik, Tanz und einige Drinks – das perfekte Umfeld für die Gäste, sich näher kennenzulernen.

Ist diese Party beendet, trifft sich das Brautpaar mit den Eltern und engsten Freunden zum zwanglosen Ausklang, der After-After-Party -Sanjikai-. Erst jetzt können wir in Ruhe und in der Gesellschaft der besten Freunde essen, mit denen wir den ganzen Tag kaum ein persönliches Wort wechseln konnten.

Danach ziehen wir uns auf unsere Zimmer auf Amatsuka-Sans Yacht zurück, die gleich darauf ablegt, damit wir zwei Tage später auf der Insel ankommen. Dort gibt mein Otou-San -Vater- noch ein Abschiedsessen für Moe-chans Eltern und den engsten Familien- und Freundeskreis, die die Reise auf der Yacht mitgemacht haben.

*

Mein Vater fragt mich einige Tage nach der Hochzeit:
„Willst du keine Hochzeitsreise machen? Damit würdest du deiner Nadeshiko -Prachtnelke- sicher eine große Freude machen…“

„Das stimmt, ehrenwerter Vater! Aber wohin sollen wir uns wenden? Hawaii ist von japanischen Hochzeitsreisenden überlaufen.“

„Was hältst du von einem Ort, abseits der touristischen Pfade? Nur ihr Beide, eine ursprüngliche Landschaft, Tiere, ursprüngliche Menschen… Natürlich gibt es dort auch geführte Touren. Ein Guide würde euch die Pflanzen- und Tierwelt von der vergitterten Ladefläche eines LKWs aus erklären, wo ihr mit zehn anderen Touristen aus aller Welt sitzt und durchgeschüttelt werdet.“

„Von welchem Ort sprichst du?“ frage ich, neugierig geworden.

„Von Namibia und Botswana, dem Siedlungsgebiet der Khoisan, dem vielleicht ältesten Volk der Erde.“

„Okay! Ich hole mir im Internet alle Informationen und spreche dich dann noch einmal darauf an. Wie kommen wir dorthin?“

„Ihr könntet den Tarn nehmen, wenn es dort eine Höhle am Wasser gibt, um ihn zu verbergen. Außerdem hast du dann eine Rückversicherung. Die Männer können dich anpeilen und dir zu Hilfe kommen, wenn du ihnen eine entsprechende Nachricht sendest. Du solltest also ein Handy dabei haben!“

*

Es ist heiß in diesen Ebenen. Nur wenige Bäume spenden Schatten.

Wir gehen zügig durch eine Art Wüstensteppe. Ein paar Büsche und vereinzelte Grasinseln mit braunem Gras stehen an unserem Weg. Der Quadrocopter hat uns im Grenzgebiet von Namibia und Botswana abgesetzt. Wohin wir gehen, ist uns gleich – der Weg ist das Ziel.

Seitlich von uns tauchen in der flirrenden Mittagshitze Luftspiegelungen von Tieren mit langen Hörnern auf. Oder sind sie Wirklichkeit? Ich will mich nicht auf eine mögliche Täuschung einlassen. Lieber schaue ich mich nach einem Schattenspender um. Da steht ein einzelner Baum mit ausladender Krone. Ich mache Moe-chan, meine Meido, darauf aufmerksam und wir gehen darauf zu.

Dort angekommen, schaue ich in die Krone hoch. Eine auf einem Ast dösende Raubkatze wäre keine schöne Überraschung. Doch wir sind alleine hier. Also setzen wir uns im Schatten auf den Boden und nehmen jeder einen Schluck warmes Wasser aus der Flasche.

Plötzlich erschrickt Moe-chan vor einer sich nähernden Schlange. Mit einer Bewegung bin ich auf und habe das Wakizashi -Kurzschwert- aus der Scheide auf meinem Rücken gezogen. Ein Hieb und der Kopf der Schlange liegt neben ihrem Rumpf.

„Hier möchte ich jetzt aber nicht mehr bleiben,“ meint Moe-chan.

„Du hast Recht!“ pflichte ich, Tanaka Masao, ihr bei. „Überlassen wir den Kadaver den Aasfressern und entfernen uns, bevor sie uns ebenfalls für lohnende Beute halten.“

Wir erheben uns und gehen in der eingeschlagenen Richtung weiter. Da hören wir Menschen. Eine lange Reihe Gnus kommt aus einer Senke empor. Afrikaner gehen nebenher und treiben sie mit Rufen und Stockschlägen vorwärts. Viele der Tiere tragen Lasten. Auf einigen wenigen reiten Menschen.

Als man uns bemerkt, kommt ein Lanzenträger auf uns zu. Er fragt auf Englisch:
„Who are you?“

Ich antworte:
„Mein Name ist Tanaka Masao.“

„Was suchst du hier?“

„Ich gehe meiner Wege,“ sage ich einfach. „Aber vielleicht könnte ich mich euch anschließen. Das ist bestimmt sicherer hier.“

Der Mann zeigt mit seiner Lanze auf Moe-chan und fragt:

„Und wer ist das?“

„Das ist Tanaka Moe. Sie steht unter meinem Schutz,“ antworte ich.

„Und du denkst, du könntest sie in dieser wilden Landschaft beschützen? Oder seid ihr doch nicht alleine und in der Nähe lauern Viehdiebe?“

„Sehen wir so aus?“ frage ich zurück.

„Nein, ihr seht eher aus wie unbedarfte Whites, Tourists, aber das ist auch nicht viel besser! Wo ist euer Landrover?“

„Wir haben keinen!“ erkläre ich. „Alles was wir besitzen, siehst du vor dir.“

„Überlass mir die Frau!“

„Wenn du denkst, dass du eine Raubkatze zähmen kannst…“ gebe ich zu bedenken. „Wenn du sie willst, musst du mich allerdings herausfordern und mir die Wahl der Waffen überlassen!“

Die Miene meines Gegenübers wird für einen Moment ärgerlich, dann lacht er aus vollem Hals.

„Womit willst du denn kämpfen? Mit den Stöcken auf deinem Rücken? – Einverstanden, ich habe die Lanze! Und du?“

Ich ziehe das Katana -Langschwert-. Seine Augen weiten sich. Aber gleichzeitig ist sein Stolz herausgefordert. Zu Moe-chan gewandt, sage ich:

„Geh auf Abstand und mische dich nicht ein!“

Das Wakizashi -Kurzschwert- übergebe ich ihr mit den Worten:

„Hier! Damit du dich gegen eventuelle Angriffe von Tieren verteidigen kannst.“

Ich mache ein paar Wendungen und schneide mit schnellen Schlägen die Luft vor ihm. Er schaut, als ob er an meinem Verstand zweifelt. Dabei senkt der die Lanze. Plötzlich stürmt er brüllend auf mich zu, die Lanze im Anschlag. Ich lasse ihn näherkommen, führe einen Schlag und haue ihm dann den Griff des Katana auf den Schädel.

Seine Lanze ist mitten entzwei und er sinkt getroffen zu Boden. Sofort stecke ich das Katana wieder zurück in die Scheide und knie mich neben den Mann. Er hat eine weiche Stelle an der Schläfe, die sich bald zu einer ausgewachsenen Beule entwickeln wird.

Ich wende mich zu Moe-chan um und sage:
„Die Flasche und ein Tuch!“

Ich kühle dem Mann nun die schmerzende Schläfe. Ächzend versucht er sich wiederaufzurichten. Ihn freundlich anlächelnd meine ich:

„Begehre nie eines Anderen Besitz. Freunde dich lieber an. Davon hast du mehr!“

Plötzlich treten andere Männer mit ihren Lanzen im Anschlag hinter einem Busch hervor. Sie müssen uns unbemerkt umgangen haben. Moe-chan stößt einen spitzen Schrei aus und hält, sich drehend, das Wakizashi vor sich.

„Tut ihm nichts,“ sagt der Afrikaner laut. „Er ist kein Feind!“

Die Wand von Lanzen teilt sich und lässt einen Mann durch, mit weißem Kraushaar und ebensolchen kurzen Bart.

„So,“ sagt der Mann, „Autshumao hat also seinen Meister gefunden.“

„Ich bin bisher noch nie besiegt worden,“ erwidert der Mann neben mir stolz.

„Wer bist du?“ wendet sich der Anführer an mich.

„Tanaka Masao,“ wiederhole ich. „Und diese Frau beanspruche ich durch das Recht des Schwertes für mich.“

Der Mann wendet sich dann an die anderen Bewaffneten, die mich umgeben.

„Möchte noch jemand um die Frau des Tanaka Masao kämpfen?“ fragt er.

Die Männer ziehen sich langsam zurück und lassen die Lanzen sinken. Der alte Mann zeigt grinsend eine unvollständige Zahnreihe, dann meint er:

„Tanaka Masao, du hast meinen besten Mann außer Gefecht gesetzt. Du bist mir etwas schuldig! Trittst du in meine Dienste?“

„Du bist sehr großzügig!“ antworte ich. „Ich werde dich nicht enttäuschen.“

Die nächsten Tage gehören zu den glücklichsten meines bisherigen Lebens. Moe-chan und ich werden ein Teil dieses Clans auf der Suche nach neuen Weideflächen. Jeden Morgen vor Sonnenaufgang brechen wir auf und wandern bis die Sonne am höchsten steht. Anschließend wird das Lager aufgeschlagen. Die Gnus erhalten zu trinken und zu fressen. Danach werden die Kochfeuer entzündet.

Am Abend vergnügen sich die Männer und Frauen mit Geschichten und Liedern.

Wir wohnen zusammen mit Autshumao in einer gemeinsamen Hütte. Moe-chan zeigt sich aufgeschlossen und fröhlich. Sie interessiert sich für den Treck und läuft stundenlang neben den Gnus her, immer auf Abstand zu den Hufen und den Hörnern bedacht. Sie spricht mit den Leuten und erbettelt hier und da eine Frucht.

An den Nachmittagen, wenn das Lager aufgeschlagen wird, hilft sie Autshumao und mir beim Hüttenbau und sammelt anschließend Feuerholz. Sie kocht auch für uns, kniet dabei neben dem Feuer, die Haare zurückgebunden, das Gesicht schweißüberströmt, den Blick starr auf das Stück Fleisch gerichtet, das dann zumeist doch noch anbrennt. Nach dem Essen säubert sie unsere Sachen, sitzt auf der Matte zwischen uns und erzählt von den angenehmen Kleinigkeiten während des vormittäglichen Trecks.

„Das Leben hier scheint ihr gut zu bekommen,“ meint mein Freund lächelnd.

Ich nicke und lächele zurück. Moe-chan errötet, senkt den Kopf und poliert mit heftigen Bewegungen meine Schuhe.

Als wir nach etwa einem Monat die neuen Weidegründe - eine grüne Landschaft - erreicht haben, verabschiede ich mich von lieben Freunden. Gerne würde ich immer wieder einmal zurückkehren. Zum Abschied erhalte ich vom Clanchef einen Gepard-Welpen. Ich werde das junge Tier erziehen und trainieren. Bei uns auf der Insel geht es ihm besser als hier in der freien Natur. Wir haben miterlebt, wie eine Gepardin sechs Junge geboren hat, von denen drei in den ersten Lebenswochen gestorben sind. Als die Gepardin ihr erstes Junges verloren hat, hat man sie richtig trauern gesehen.

Ich schalte, zum ersten Mal seit wir in der Wildnis abgesetzt worden sind, mein Handy ein und nehme Verbindung zu unseren Leuten auf. Wir vereinbaren, dass sie uns am nächsten Tag abholen. Der Quadrokopter wird wohl zehn bis zwölf Stunden Flugzeit brauchen, sagt man mir.

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