Samstag, 14. Januar 2023
Hao Ling -09
Der Premier schaut den Verantwortlichen der Palastwache an. Ich gehe schnellen Schrittes voraus und öffne Ihrer Majestät alle Türen unterwegs. In den Privaträumen Ihrer Hoheit angekommen, helfe ich ihr aus der offiziellen Robe. Anschließend darf ich hineinschlüpfen. Wir haben das schon mehrmals geübt und ich bin auch probeweise darin durch den Palast spaziert, um die Wirkung auszuprobieren. Nun haben wir einen Ernstfall.

Nachdem ich den Kopfputz Ihrer Majestät vor dem Spiegel in meinem Haar festgesteckt habe, wobei die Königin mir hilft, zieht ihre Hoheit die Zofenkleidung an, die für sie angefertigt wurde. Ich nähere mich neugierig dem Fenster mit den bunten Scheiben. Was ich dort sehe, lässt mich erschrecken.

„Yi Ni -die Charmante-,“ mache ich in der Rolle der Königin meine Herrin in der Rolle der Zofe auf die Geschehnisse aufmerksam. Dafür habe ich sie bei ihrem bürgerlichen Namen genannt.

Yi Ni kommt ebenfalls an das Fenster. Wir sehen, dass der Palast von einem Kreis entschlossener Männer in Waffen umstellt worden ist. Yi Ni schaut mich ernst an.

„Jetzt gilt es, Eure Hoheit! Lasst euch auf nichts ein!“ schärft sie mir ein und geht zur Tür, um sie mir zu öffnen.

Wir gehen zurück zum Thronsaal. Kein Mönch steht bereit, um Ihrer Majestät die Tür zu öffnen, also drückt Yi Ni die Klinke herunter und lächelt mich aufmunternd an. Während sie den Türflügel nach innen schwenkt, straffe ich meinen Körper und schreite hoheitsvoll in den Thronsaal. Ein fremder Mann steht dort neben dem Premier, der seine Schultern hängen lässt. Einige Mitglieder der Palastwache werden von drei seiner Männer mit der Waffe im Anschlag in Schach gehalten.

Der Mann lächelt siegessicher und begrüßt mich:
„Ich wünsche Euch einen sonnigen Tag, Eure Hoheit. Mein Name ist Wang Wei Wei. Meine Investmentfirma hat Geschäftsbeziehungen mit Euch. Eure Hoheit erinnern sich? Leider fehlt noch ein winziges Detail, bevor wir die Lieferungen aufnehmen können.“

„Wir werden nicht mit Euch kooperieren, verehrter Wang Wei Wei!“ antworte ich, nachdem ich einen kurzen Blick mit meiner Zofe gewechselt habe, die in der Zwischenzeit an der Innenwand entlang gegangen ist, so dass der Besucher nun zwischen uns steht.

Der Mann schnalzt mit der Zunge und macht ein gütiges Gesicht.

„Es freut mich, dass sich Eure Hoheit gesund im Palast aufhält, um meinen unterwürfigen Besuch zu empfangen. Ich denke, Eure Hoheit hat den Vertrag inzwischen wohlwollend geprüft. So wird die Unterschrift nur noch eine reine Formsache sein! Anderenfalls müssten wir Eure Hoheit darum bitten, mit uns eine kleine Reise zu unternehmen. Das Gästezimmer, das ich Euch anbieten kann, ist Euer Hoheit allerdings mehr als unangemessen. Auch müsste ich Eure Hoheit bitten, ein paar Armreife zu tragen.
Ich denke, dass dies alles nicht sein muss! Es sind doch nur ein paar Pinselstriche!“

Ich überschlage kurz die Lage. Der ehrenwerte Bu Men Chen ist nicht anwesend. Der Premier ist in Selbstverteidigung jahrelang nicht geübt. Die beiden Türwachen und die beiden Thronwachen werden von drei Männern mit vorgehaltenen Handfeuerwaffen bewacht. Sie warten auf einen Befehl Ihrer Hoheit oder Meister Chen, falls er auftaucht.

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