Donnerstag, 5. Januar 2023
Hao Ling -06
Daneben studiere ich, wie befohlen, die Körpersprache Ihrer Hoheit, um gegebenenfalls einmal selbst diese Rolle auszufüllen, wenn es für Ihre Majestät persönlich zu gefährlich wird. Zweimal am Tag erhalte ich ein Training in den Grundzügen des Kungfu, der waffenlosen Verteidigungstechnik der Mönche. Ihre Hoheit hat darauf bestanden, selbst auch an diesem Training teilzunehmen. Sie begründet das gegenüber dem verehrten Bu Men Chen mit:

"Wenn Wu Hao Ling in meine Rolle schlüpft, möchte ich mich in ihrer Nähe befinden! Ich bin dann die Zofe der Königin, die sie beschützt!"

Grummelnd hat Bu Men -Meister- Chen dem Wunsch Ihrer Majestät entsprochen. Entsprechend strukturiert der Palast nun unseren Tagesablauf.

In der Folgezeit bin ich mehrfach in die Rolle Ihrer Hoheit geschlüpft, auch um zu schauen, ob ich Akzeptanz als Königin finde. Die echte Königin hat mit mir Gesten als 'Geheimsprache' vereinbart, die eine Verständigung zusätzlich zum Lesen des Tablets möglich macht.

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Zwei Jahre bin ich inzwischen die Zofe Ihrer Hoheit. Ich habe im Palast in der königlichen Suite einen privaten Raum als Wohnung. Diese große Nähe zu Ihrer Majestät und das Erleben ihres privaten Charakters haben uns mit der Zeit zu Freundinnen werden lassen, die alles füreinander tun würden.

Natürlich ist dies Teil meiner Aufgabe, aber ich erlebe immer wieder, dass auch Ihre Hoheit alles für mich tun würde. Ganz besonders deutlich ist mir das geworden, als wir einmal außerhalb der Hauptstadt einen Parcours im Rahmen unserer Ausbildung in Selbstverteidigung bewältigt haben.

Das Gebiet, das unser Volk bewohnt, liegt nahe der Millionenstadt Hongkong. Unsere Produkte, wie Kunstgegenstände und künstlerische Gebrauchsgegenstände, aber in der Hauptsache Reis und Tee, verkaufen unsere Leute dort und haben dadurch einen kleinen Wohlstand erlangt.

Im zweiten Jahr der ersten Amtszeit unserer Königin haben wir nach mehreren Dürrejahren eine starke Regenzeit. Während der Amtszeit der vorigen Königin hat man den großen Fluss aufgestaut, um dem Reis seine regelmäßige Trocken- und Feuchtperiode zu geben, die er braucht.

Da geschieht die Katastrophe. Der Damm bricht und überflutet unsere Felder. Nun können wir zunächst nicht mehr unseren Lieferverpflichtungen nachkommen, die eine vormalige Königin vor vielen Jahren eingegangen ist. Der Premier versucht mit seinem Stab Reis aus dem Umland hinzu zu kaufen, aber diese Maßnahme reicht gerade, unsere eigenen Leute nicht verhungern zu lassen. Wir müssen ja weitere Finanzmittel bereithalten, um einen neuen Damm zu bauen. Ein Damm soll es werden, der einer ähnlichen Regenzeit widersteht.

In dieser Zeit bietet uns ein Milliardär aus Hongkong seine Hilfe an. Sein Abgesandter unterbreitet Ihrer Majestät einen Vertrag über Finanzhilfe, der sich bei näherer Betrachtung durch den Sekretär für Finanzen als Knebelvertrag herausstellt, bei dem unser Volk in den nächsten fünfzig Jahren verschuldet wäre.

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