Freitag, 30. Dezember 2022
Hao Ling -04
"Das will ich gerne tun, ehrenwerter Bu Men -Meister- Chen!"

"Gut, dann folge mir jetzt zu Ihrer Majestät!"

Wir verlassen den Raum und gehen einige Gänge entlang und Treppen hinauf. Als wir vor einer reichverzierten Tür stehenbleiben, schaut er mich noch einmal aufmunternd an. Dann öffnet er die Tür.

An der gegenüberliegenden Wand steht der Thron ihrer Hoheit. Zu ihm führen weitere Stufen hinauf. Auf dem Thron sitzt sie, unsere neugewählte Königin, meine neue Dienstherrin! In diesem Augenblick weiß ich nicht, wie ich mich richtig verhalte. Soll ich mich knien, oder stehenbleiben? Ich senke den Blick und bleibe neben dem Abt des Klosters am Rande der Stadt und Chefs der Palastwache stehen.

"Ihre Majestät," beginnt Bu Men Chen. "Darf ich Euch Wu Hao Ling vorstellen? Sie ist ausgesucht worden, um Ihrer Majestät in Zukunft als Zofe zu dienen."

Die neue Königin neigt huldvoll ihren Kopf. Ihr Kopfputz beginnt dabei zu klimpern. Sie lächelt Bu Men Chen an und meint:

"Habt Dank, ehrenwerter Bu Men Chen. Das wäre im Moment alles!"

Meister Chen schaut überrascht, lächelt dann aber, und zieht sich diskret zurück, um mich mit Ihrer Majestät allein zu lassen. Die vier jungen Mönche, etwa in meinem Alter, die den Thron und die Tür zum Thronsaal flankieren, vermittelnden Eindruck, als wären sie nicht anwesend. Ihre Hoheit erhebt sich unter Knistern ihres offiziellen Gewandes und schreitet langsam die Stufen des Throns herunter.

Sie steuert auf mich zu, hebt ihren rechten Arm und fragt:

"Gehen wir ein Stück, verehrte Wu Hao Ling?"

Ich nicke zustimmend, wage aber nicht, meine Hand auf ihren Arm zu legen. Ihre Majestät geht langsam auf die Tür des Thronsaales zu, während ich neben ihr hergehe. Die Mönche an der Tür öffnen sie uns, so dass wir ohne anzuhalten hindurchschreiten können.

Wir gehen durch die Gänge bis wir wieder vor einer bewachten Tür ankommen. Hier sitzen junge Novizen im Schneidersitz, die sich bei unserer Annäherung erheben. Ihre Majestät macht keine Anstalten stehenzubleiben. Aber das ist auch nicht nötig. Die Tür wird geöffnet, bevor sie dagegen stößt. Wir betreten einen geschmackvoll eingerichteten Wohnraum. Hinter uns schließt sich die Tür.

"Bitte, nimm Platz!" lässt sich die Königin vernehmen.

Ich setze mich in den Schneidersitz. Bisher bin ich vollkommen fügsam gewesen und habe meine Gefühle nicht nach außen getragen. Ihre Majestät lehnt sich an einen dieser Stehsitze, der nur deshalb nicht umstürzt, weil man seinen Fuß auf den runden Fuß des Möbels stellt. Es ist sicher unmöglich, sich mit dem offiziellen Kleid auf einem Sitzkissen niederzulassen.

"Der Tradition folgend, hat die Königin eine Zofe, die ständig um sie ist und ihr zur Hand geht. Sie ist ihr in ihrem privaten Haushalt zu Diensten. Ich weiß nicht, ob der ehrenwerte Meister Chen dir die gleichen Dinge erzählt hat wie mir, aber ich suche eigentlich etwas anderes..."

Es entsteht eine kleine Pause. Ich denke, ich soll jetzt von der Unterredung mit Bu Men Chen berichten. Also beginne ich:

"Der ehrenwerte Bu Men Chen hat mir gesagt, dass dies das ist, was die Öffentlichkeit darüber weiß!
Er sagt, dass die Leute mich bei gleichzeitiger Anwesenheit Ihrer Hoheit kaum beachten. Alle Augen sind dann auf Ihre Majestät gerichtet! Also bin ich in dem Moment so eine Art Spionin. Ich halte Augen und Ohren auf und informiere Ihre Hoheit über das, was die Leute hinter vorgehaltener Hand tuscheln. Außerdem werde ich Botengänge durchführen und Ihre Majestät beschützen, falls das einmal notwendig sein wird.
Natürlich werde ich Ihrer Hoheit beim Ankleiden helfen und bei Frisur und Schminke zur Seite stehen!"

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