Mittwoch, 26. Oktober 2022
Aino sasayaki -Flüstern der Liebe- 06
"Das ist aber eine große Aufgabe, die viel Zeit in Anspruch nimmt," resümiert Shoko nachdenklich. "Ich weiß nicht, ob mir noch soviel Lebenszeit bleibt."

"Das stimmt wohl," gebe ich zu. "Die Geisha hat sich bereit erklärt, mich zu unterrichten. Das bedeutet ein hartes Training in Tanzperformance, traditionell und modern, ein Instrument erlernen. Singen traue ich mir nicht zu, aber Gedichte und Fabeln zur selbstgemachten Musik vortragen, das geht! Ich lerne die Feinheiten einer traditionellen Teezeremonie und der Konversation auf vielen Ebenen.
Die Geisha kann ihre Verbindungen spielen lassen und so treffe ich mit vielen Männern zusammen, die ich in Ruhe prüfen kann bis ich 'den Richtigen' finde."

"Wer ist denn in deinen Augen der Richtige?" fragt sie mit gerunzelter Stirn.

"Das habe ich dir doch eben erst skizziert," meine ich. "Dessen Yamato Nadeshiko -japanische Prachtnelke (Symbol für das japanische Frauenideal)- zu sein, ihm gleichzeitig Hausfrau, Gesellschafterin, Tänzerin, Unterhalterin, und wenn es sein muss auch Samurai zu sein, würde mich stolz machen!"

Shoko nickt. Man sieht ihr an, dass sie mich einerseits bewundert, meinen Weg für sich aber wohl ausschließt.

*

"Geishas verkaufen nicht ihren Körper, sondern ihre Gesellschaft, ihre Konversation, ihren Tanz. Sie schaffen eine andere, eine geheime Welt, einen Ort reiner Schönheit. Das Wort 'Geisha' bedeutet 'Künstlerin' und eine Geisha ist ein lebendes Kunstwerk.
Du darfst dich erst als Geisha bezeichnen, wenn du einen Mann mit einem einzigen Blick aus dem Gleichgewicht bringen kannst. Aber das ist fast unmöglich bei den Machos da draußen," sagt Sakamoto-Sama einmal zu mir, während meines Trainings in ihren Räumen.

Zuerst üben wir das Schminken und legen der kunstvollen Frisur. Ich als Maiko -Geisha in Ausbildung- bin nicht so stark geschminkt wie sie, dafür trage ich auffälligeren Haarschmuck und meine Kimonos sind bunter.

Sie macht mir alles vor und ich muss es nachmachen bis sie zufrieden ist. Sie übt mit mir den Gang einer Geisha, die Bewegungen beim Setzen und Aufstehen. Sie zeigt mir, wie man elegant bedient und dem Mann subtile Botschaften sendet, wie das Entblößen des normalerweise bedeckten Handgelenkes, und andere.

Das virtuose Bewegen des Kamoku -Fächers-, genauso wie das des Kasa -Schirms- und anderer Gegenstände beim Tanz lerne ich von ihr. Es ihr recht zu machen ist eine schweißtreibende Angelegenheit.

Wir üben viele alte Instrumente in den kommenden Jahren während ihres Trainings. Ich muss dafür eine Menge Gedichte lernen und Fabeln aus unserer Shinto-Mythologie. Das ist etwas, das mir viel Spaß macht! Schon in der Schule früher habe ich viel gelesen und oft versucht, eigene Gedichte zu schreiben.

Zur Konversation meint Sakamoto-Sama, dass man dazu einzig diplomatisches Geschick und einen wachen Verstand braucht. Eine geschickte Geisha versucht nun, Angemessenes zu einer Diskussion beizusteuern, ohne dabei durch eine kontroverse Meinung aufzufallen. Auch dies übt sie mit mir, während wir teetrinkend am Tisch sitzen und meinen Trainingsstand besprechen.

Eines Tages fordert sie mich auf, ihre Wohnung zu verlassen und mit ihr im Kimono auf die Straße zu gehen. Langsam und bedächtig folge ich ihr, immer darauf bedacht, alles so zu machen, wie sie es mir beigebracht hat. Draußen auf dem belebten Bürgersteig gibt sie mir plötzlich den Auftrag:

"Suche jemanden für mich."

Ich schaue mich suchend um und meine schulterzuckend:

"Der Herr dort in dem grauen Mantel."

Sakamoto-Sama schwebt in kurzen Trippelschritten auf den älteren Herrn zu und nahe an ihm vorbei. Dieser dreht sich nach ihr um und übersieht dabei einen anderen Passanten, mit dem er zusammenstößt. Wortreich entschuldigt sich der Herr vor dem Anderen. Man könnte Mitleid mit ihm haben.

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