Montag, 17. Oktober 2022
Aino sasayaki -Flüstern der Liebe- 03
Sie wedelt mit der erhobenen Hand und erklärt mir:
"Ich habe lange gespart, um einmal zu einem Machikon -Speeddating-Event- zu gehen. Nächste Woche ist es soweit. Möchtest du es nicht auch dort versuchen?"

Diese Veranstaltungen kosten um die 10.000 Yen pro Teilnehmer, weil sie in einem teuren Hotel stattfinden. Ein Friseurtermin, Stilberatung und der Besuch eines Modegeschäftes gehören auch zu den Leistungen der Veranstalter. Durchschnittlich 75 junge Männer und Frauen treffen dort in gelöster Atmosphäre aufeinander.

"Vielleicht später einmal," antworte ich. "Momentan habe ich nicht das Geld dafür."

"Okay, aber du könntest dich schon einmal vorbereiten. Denn Geld ist nicht alles."

Ich schaue sie interessiert an.

"Nun ja," meint sie. "Männer sind ja so einfach gestrickt! Sie wollen zwar eine Frau. Aber gleichzeitig wollen sie viele verschiedene Frauen. Also musst du ihnen in den verschiedensten Rollen gegenübertreten: Manchmal sind sie wie kleine Jungs und wollen Bemuttert werden. Dann wieder brauchen sie eine Frau, die ihnen zuhört und mit der sie auf intellektuell der gleichen Ebene diskutieren können. Dann wiederum muss es eine Frau sein, die sie beschützen können... Und vieles dazwischen."

"Hm, du meinst, sie möchten einmal bedient werden, ein andermal hätten sie gern jemand, die bei ihnen Halt sucht, und schließlich eine Frau, die ihre Aufmerksamkeit fesselt, die sie unterhält?"

"Ja, so kann man es auch ausdrücken... Und das ist das Schwierige daran!"

Wir sind inzwischen bei dem Wohnblock angekommen, in dem ich wohne. Ich hebe die Hand und sage lächelnd:

"Bai, Bai! Wir texten miteinander. Auf jeden Fall bin ich neugierig, wie das Machikon ausgegangen ist und welchen Eindruck du von der Veranstaltung bekommen hast!"

Dann laufe ich über die Straße und winke ihr vom Hauseingang noch einmal zu.

*

In meinem Zimmer gebe ich die Informationen von Takeda Shoko, meiner Freundin, in die Suchmaschine meines Tablets ein und rufe die angezeigten Internetseiten nacheinander auf.

Bei einer Seite bleibe ich länger hängen und markiere sie mir als Favourit, um sie später wiederzufinden. Schließlich rufe ich die markierte Seite wieder auf. Es ist die Seite einer selbständigen Geisha, die dort schreibt:

'Eine Geisha ist ein lebendes Kunstwerk. Rollen und Masken ersetzen das wahre Ich. Sie überlagern wie die Häute einer Zwiebel das, was man im tiefsten Inneren seiner Seele ist. Ihre Augen sind so tief wie der Ozean. Eine Geisha will nichts, fühlt nichts. Sie ist eine Künstlerin der dahinströmenden Welt. Sie tanzt und singt, sie unterhält die Männer, wie sie es mögen. Der Rest ist Schatten, ist Geheimnis. Was sie nicht ist: Sie ist keine Prostituierte! Sie verkauft kein Fleisch, sondern nur eine Illusion.
Manchmal kann es geschehen, dass sie nicht nur eine Veranstaltung verschönern soll, sondern auch einem besonderen Gast Gesellschaft leisten und so Gastgeber und Gast einen unvergesslichen Abend bereiten soll. Hierzu ist es notwendig, dass sie die Shadou -Teezeremonie- formvollendet beherrscht, eine interessante Konversation zu führen versteht, dezent und zurückhaltend zu flirten versteht, den besonderen Gast durch abwechslungsreiche Ideen zerstreuen kann. Sie muss auf ihr Tun achten, denn sie hat einen Ruf zu verlieren. Dazu braucht sie viel Takt und Einsicht in den menschlichen Charakter. Geduldiges Zuhören und Verschwiegenheit sind wichtige Tugenden.'

Ich fühle, dass ich diese Frau unbedingt kontaktieren muss. Entweder kann sie mir wertvolle Informationen für einen eventuell späteren Besuch einer Machikon geben oder ich erhalte Unterricht von ihr.

Ich sende ihr also eine E-Mail, in der ich ihr meine jetzige Situation schildere und mein Anliegen benenne. Zuerst kommt tagelang keine Antwort. Dann schickt sie mir einen Termin für ein Gespräch in einem Ochaya -Teehaus-. Beigefügt ist ein Foto von ihr in einem Kimono. Oberhalb des Obi -Gürtel- ist der Kimono cremeweiß. Der Obi ist braun mit Mustern. Ärmelenden und der Rock des Kimonos haben ein Muster, dass an ein japanisches Gemälde erinnert. Das Kleidungsstück muss bestimmt sehr wertvoll sein. Ob ich jemals ein ähnliches Kleidungsstück tragen darf?

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