Mittwoch, 5. Oktober 2022
Kaede, die Samurai -16
Meine Handflächen berühren den hölzernen Boden. Ich drücke mein Gesicht auf die Hände. Mein Herr ist stehengeblieben und streckt mir den Arm mit der Öllampe entgegen.

"Du bist das also," knurrt er. "Du warst auf Reisen? Das ist eine traurige Heimkehr für mich gewesen, ohne Ehefrau, die mich begrüßt und sich um mich kümmert!"

Ich zittere und kann nicht sprechen.

"Hast du deine Stimme verloren? Willst du mir nicht sagen, wie froh du bist, deinen Ehemann wiederzusehen?"

Ich hole tief Luft und schaue zu ihm auf.

"Soldaten kamen ins Haus... um mich zu töten... weil ich deine Frau bin. Ich... ich musste fliehen."

"Du bist eine Samurai und hast Angst vor dem Tod? Deine Pflicht war es, das Haus zu verteidigen!"

Ich spüre Schuldgefühle in mir aufsteigen.

Er stellt die Öllampe neben sich und lässt sich mir gegenüber nieder. Dann packt er mich so fest am Kinn, dass es mir weh tut und starrt mir ins Gesicht, während er meinen Kopf hin und her dreht. Es scheint, als durchdringe sein Blick meine Person bis zu ihrem Innersten. Meine Augen fest zusammenkneifend, muss ich daran denken, wie die Oka-San in Yoshicho es ebenso getan hat. Dann stößt er mich so hart von sich, dass ich hinterrücks auf die Bohlen falle.

"Etwas hat sich verändert," konstatiert er. "Du riechst sogar anders. Du bist ein dummes kleines Ding gewesen. Jetzt aber hast du Ungehorsam gelernt! Das kann man deutlich spüren."

Er macht eine Pause.

"Du hast zu denken gelernt!" fährt er fort. "Du machst Ausflüchte. Du neigst den Kopf und schaust mich durch deine Wimpern an. Du hast gelernt Spiele zu spielen, wie man Männer dazu bringt, dich zu mögen. Du bist nicht mehr meine züchtige Ehefrau, nicht wahr?"

Ich kann nichts dazu sagen. Stumm erwarte ich, was mit Sicherheit jetzt kommen wird.

"Du bist in Yoshicho gewesen. So war es doch? Wieviele Kerle aus dem Süden hast du empfangen? Dabei gehörst du mir! Du hast mir und diesem Haus Schande bereitet."

Vor Zorn dunkelrot im Gesicht wendet er sich ab. Seit das Wort 'Yoshicho' gefallen ist, weiß ich, dass ich verloren bin. Er wird mich töten, so steht es im Gesetz.

Ich presse die Hände zusammen und spüre mein Herz mit aller Macht von innen gegen die Rippen pochen. Wo ist bloß Ito-San? Was ist mit seinen Versprechungen?

Da trifft mich eine gewaltige Ohrfeige. Der Raum in dem Gang, in dem wir uns befinden, dreht sich. Eine weitere Ohrfeige trifft mich, lässt mich zurücktaumeln. Die Ohren dröhnen, der Kopf beginnt zu schmerzen. Ich fühle mich benommen, aber er hat mir in der Vergangenheit schon schlimmeres angetan - viel schlimmeres!

Ich drücke den Rücken durch, komme auf die Beine und starre ihn trotzig an. Ich werde mit Stolz sterben! Niemals werde ich um Gnade winseln!

"Sprich deine Gebete!" befiehlt er voller Verachtung.

Wieder gehe ich auf die Knie. In Yoshicho habe ich das Leben und die Liebe kennengelernt. Ich denke an Ito-San und bedauere nichts. Nie zuvor habe ich ein solches Glück verspürt.

*

Ich habe mich weggeduckt, als ich den Daimyo mit der Laterne in der Hand den Gang herunterkommen sehe. Seine Aufmerksamkeit ist von Kaede gefesselt und seine Flucht ist erst einmal gestoppt.

Ich öffne die Schnallen meiner Stiefel in einer Nische und streife sie ab. Auf Strümpfen bin ich fast unhörbar. Wenn der Daimyo seine Hand gegen Kaede erhebt, wird mein Schwert wie von selbst aus der Scheide sausen!

Ich werfe mich mit Gebrüll nach vorne. Der Daimyo fährt herum. Er lässt sein Katana fallen, um sich mit der Schwerthand abzustützen. Kaede erwacht aus der Starre, rafft den Kimono und läuft davon.

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