Dienstag, 20. September 2022
Kaede, die Samurai -11
Ich denke, ich kann Ito-San verstehen. Auch ich fühle mich hier in Yoshicho wie eine Außenseiterin. Nun frage ich ihn:

"Wo bist du zuhause und wo lebt deine Familie?"

"In Kyoto."

Erschreckt zucke ich zurück.

"Ist es nicht gleich, woher wir stammen, Moe-San. Das Jetzt gilt! Du hast deine Familie verloren. Ich werde ausgegrenzt, weil sie denken, ich gehöre nicht mehr zu ihnen. Wir beide müssen schauen, was die Zukunft für uns bereithält!"

Einige Monde sind inzwischen ins Land gegangen. Die heimlichen Treffen mit Ito-San sind voller Wonne. Wir halten uns an den Händen, liegen eng beieinander, streicheln uns zärtlich und flüstern uns Zärtlichkeiten ins Ohr. Miteinander das Kissen geteilt haben wir in all der Zeit nicht.

Der Herr des Südens, tenno heika Mutsuhito -seine kaiserliche Majestät Mutsuhito- hat begonnen, seine Hauptstadt von Kyoto nach Edo zu verlegen. Die Stadt wird dann Tokyo heißen.

Ich liege auf der Seite und lächele Ito-San an. Gerade habe ich ihm berichtet, was die Oka-San von Fujimoto-Sama erzählt hat.

"Ja, die Mutter hat von ihm eine Nachricht erhalten, dass er geschäftlich nach Osaka muss. Natürlich habe ich ihr betrübt geantwortet, wie enttäuscht ich darüber sei," antworte ich und lächele verschmitzt.

"Er wird zurückkommen! Aber darum kümmern wir uns dann," antwortet er.

*

Wieder sind ein paar Monde ins Land gegangen, als die Oka-San zu mir kommt und mir eröffnet, dass Fujimoto-Sama bald zurückkommen wird. Ganz Yoshicho wird kopfstehen, prophezeit sie mir.

"Es wird mir sicher leidtun, dich gehen zu sehen," sagt sie, "und ich weiß, dass du uns auch vermissen wirst!"

Jemand muss angeboten haben, mich freizukaufen, fährt mir durch den Kopf.

"Fujimoto-Sama wird Yoshicho für eine ganze Nacht schließen und alle Umsatzausfälle bezahlen. Es wird das größte Fest geben, von dem man je gehört hat!"

"Aber... aber, das können Sie doch nicht machen, Mutter."

In meinem Kopf dreht sich alles. Oka-San hat mich an Fujimoto-Sama verkauft!

"Ich kann alles machen!" sagt sie eisig. "Ich habe bereits eine Anzahlung bekommen. Du gehörst nun Fujimoto-Sama! Und bilde dir nicht ein, dich wegschleichen zu können. Auch dieser Ito-San wird von dir ferngehalten!"

Als die Schritte der Oka-San verklungen sind, vergrabe ich mein Gesicht in meinen Futon. An Fujimoto-Sama verkauft! Kein entsetzlicheres Schicksal hätte ich mir jemals vorstellen können. Selbst Ito-San kann mich jetzt nicht mehr retten.

*

"Umeko-San sagt, sie halten Moe-San stärker unter Bewachung," meint der Gaijin beiläufig beim Frühstück. "Für mich bedeutet das, dass ihre Oka-San etwas im Schilde führt."

"Ich bin täglich in ihrem Okiya und rede mit dem Küchenpersonal," entgegnet ihm Ito-San. "Es scheint, dass Fujimoto-Sensei bald wiederkommt. Das kann nur bedeuten, dass sie ihm versprochen wurde."

"Es wird ein gewaltiges Festmahl geben. Jedes Haus darf Kunden bedienen auf Fujimoto-Senseis Kosten," pflichtet Umeko-San bei.

"Wir müssen genug Chaos veranstalten. Dann hat Moe-San eine kleine Chance zu entfliehen!" sagt Ito-San. "Wie weit ist der Umzug der Regierung nach Edo gediehen?"

Der Gaijin meint: "Es kann nicht mehr lange dauern."

Ito-San wendet sich an Umeko-San:
"Kennst du jemand, der einen Brief nach Edo bringen kann? Es sollte jemand aus dem Süden sein, damit er nicht gleich verhaftet wird! Der Brief muss Akimoto-San bei der Polizeibehörde persönlich erreichen."

Umeko-San nickt: "Ich bringe Ihnen jemanden, dem Sie den Auftrag persönlich geben können!"

Als Ito-San gegen Mittag zurück ist, sitzt ein anderer Mann am Mittagstisch. Der Gaijin hat sich in ein Zimmer zurückgezogen.

"Konnichiwa -Guten Tag-," begrüßt Ito-San den Fremden und setzt sich dazu.

Nach dem Essen, bei dem sie sich nähergekommen sind, bietet er dem Mann ein Geschäft an. Er soll einen Brief an einen gewissen Akimoto-San persönlich bringen. Dort würde er eine Summe als Belohnung erhalten.

Ito-San hat sich nach dem Frühstück hingesetzt und geschrieben:

"Ehrenwerter Akimoto-San, diese bescheidene Person möchte Ihnen anzeigen, dass der gesuchte Verbrecher Fujimoto-San in Kürze im Yoshicho auftauchen wird, um ein großes Fest zu geben. Sie kennen ihn als Oyabun, der mit Opium und Frauen handelt. Ich wünsche, dass der Mann in Gewahrsam genommen wird, wenn er sich selbst am sichersten fühlt!
Ito Isamu, Mitglied der Familie des Shusho tenno heika -des Ministerpräsidenten seiner kaiserlichen Majestät-."

Der Mann verneigt sich und verlässt danach das Hanamachi Yoshicho.

*

In der Morgendämmerung höre ich das Schrammen von Leitern und das Hämmern der Männer, die überall in Yoshicho rote Laternen an den Fassaden der Häuser anbringen. Ich brauche keine große Phantasie, um mir vorstellen zu können, dass jede Laterne mit den Schriftzeichen des Namens von Fujimoto-Sama beschrieben worden ist.

Ich schließe meine Augen und stelle mir Ito-Sans Gesicht vor. Gestern hat er sich durch die Wachen hindurch zu mir geschlichen. Inzwischen kennt er den Rhythmus des Okiya ganz gut.

"Hab keine Angst," hat er mir zugeflüstert. "Ich habe dir doch versprochen, dich zu beschützen und ich werde mein Wort halten! Vertraue dem Wort eines Samurai!"

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