Mittwoch, 14. September 2022
Kaede, die Samurai -09
Während meines Tanzes beobachte ich den Mann unter sittsam gesenkten Lidern. Vor mir sitzt ein älterer Mann, teuer gekleidet. Das Gewand ist mit Sake bekleckert und hat Schweißflecken unter den Achseln. Aus seinem Gehabe kann man eindeutig herauslesen, dass Fujimoto-Sensei gewohnt ist, seinen Willen durchzusetzen.

Mir ist jedoch klar, dass es ein schlechter Zug ist, ihm nachzugeben. Besser ist es, ihn warten zu lassen. So würde er immer wiederkommen und dem Teehaus und somit auch der Okiya, zu der ich gehöre, weiteren Umsatz bescheren. Daher muss ich ihn verzaubern.

Es ist Brauch, mit dem Kunden zu spielen, wie die Katze mit der Maus. In Erinnerung an die Lektionen der One-San wende ich mich etwas von ihm ab, so dass er meinen ungeschminkten Nacken erblicken kann. In einer Drehung erreiche ich den Tisch und gehe davor in die Knie. Mich vor ihm tief verbeugend, sage ich mit seidiger Stimme:

"Sie sind also Fujimoto-Sama. Lange haben Sie uns vernachlässigt. Fast schon unverzeihlich! Heute erscheinen Sie hier und vereinbaren ein Treffen, ausgerechnet mit mir, eine Geisha, die Sie nicht einmal kennen."

Eine der Dienerinnen, die die Sake-Becher ständig nachfüllt, ergänzt mit kindlicher Stimme und großen unschuldig blickenden Augen:

"Unsere ältere Schwester Mamiko-San ist vor Liebe zu Ihnen fast gestorben, wussten Sie das? Seit Sie fortgegangen sind, konnte sie überhaupt nicht mehr richtig schlafen. Nun, nachdem sie mondelang nur geweint hat, hat sie einen anderen Danna gefunden. Sie haben sicher in Osaka jemand anderen gefunden, die Ihnen mehr bedeutet, als wir!"

"Das stimmt nicht!" entgegnet der Mann. "Wie kann mir jemand anders mehr bedeuten, als ihr alle hier im Yoshicho?"

Sein Gesicht verzieht sich zu einem breiten Grinsen. Er redet weiter, zu mir gewandt:

"Als ich von der berühmten Moe-San hörte, bin ich sofort hierher geeilt. Und du bist sogar noch schöner, als alle sagen!"

Die Dienerin hat seinen Becher wieder gefüllt. Fujimoto-Sensei hebt den Becher und leert ihn in einem Zug. Er gibt einem der Lakaien einen Wink. Der Mann greift unter den Tisch und zieht ein Stoffbündel heraus. Das Bündel breitet er neben dem Tisch auf der Tatamimatte aus. Es entpuppt sich als feinster Damast.

Ich hebe den Fächer vor den Mund und sage:
"Wie kommen Sie darauf, dass ich käuflich bin?"

Ich tue beleidigt, während die Dienerin den Becher des Herrn wieder auffüllt.

"Moe-San verliert ihr Herz an niemanden," plappert die Dienerin in dem kindlichen Ton weiter. "Männer behaupten, sie habe ein Herz aus Eis, und niemand könne sie zum Schmelzen bringen. Jeder Mann, der ins Yoshicho kommt, ist begierig darauf ihr Danna zu werden, aber sie nimmt niemanden an!"

"Ich bin nicht 'jeder Mann'!" knurrt Fujimoto-Sensei.

Sein Mund und seine Augen sind nur noch schmale Schlitze. Wieder starrt er mich an. Die Besitzerin des Teehauses rutscht auf Knien näher, drückt ihr Gesicht an den Tatami und hebt dann ihren Kopf.

"Flußkarpfen aus dem Yodo!" kräht sie.

Eine Dienerin schreitet ehrfürchtig herein. In ihren ausgestreckten Händen hält sie ein Schneidbrett aus Zypressenholz. Darauf liegt ein ganzer Karpfen. Der Fisch ist in rosa Scheiben zerteilt, die auf das Skelett, an dem der Kopf noch hängt, zurückgelegt worden. Der Fisch liegt in einem Bett aus weißem Rettich und dunkelgrünem Tang. Die Dienerin geht auf die Knie und platziert den Karpfen direkt vor Fujimoto-Sensei. Dieser leckt sich die Lippen.

"Wo ist der Koch," ruft er laut. "Warum hat er ihn nicht vor unseren Augen zerteilt? Das wäre einmal eine Aktion gewesen!"

Nun wendet er sich wieder mir zu. Seine Miene ist versteinert.

"Du kannst mit mir spielen, soviel du willst, meine Schöne," meint er. "Am Ende bekomme ich dich doch! Du wirst nach meiner Pfeife tanzen."

Mir läuft ein Schauer über den Rücken.

"Ich sehe, Sie sind ein Mann, der weiß was er will," antworte ich leise.

Plötzlich läuft Fujimoto-Senseis Gesicht puterrot an. Ganz langsam, wie ein gefällter Baum, kippt er zur Seite, seufzt tief und beginnt zu schnarchen. Ich warte eine Weile und sehe zu, wie sich seine Brust bei jedem Atemzug hebt und senkt. Dann stehe ich langsam auf und schleiche mich nervös aus dem Raum. Die Besitzerin des Teehauses wird alles weitere veranlassen. Hinter mir folgen die One-San und die Dienerinnen unseres Okiya.

*

In Yoshicho ist es noch ruhig, als ich vor das Haus trete. Ich bin in aller Frühe unterwegs zu Umeko-San, meiner Freundin und Haarkünstlerin. Ihr möchte ich als Erste berichten, wie der Abend mit Fujimoto-Sensei gelaufen ist. Mich erschauert es, wenn ich daran denke.

Aus den Augenwinkeln erkenne ich eine Bewegung in der Dunkelheit einer Seitengasse. Da ist ein Mann. Ich wirbele herum und lege die Hand an meinen Dolch im Obi. Dieser Mann sieht nicht wie ein Kunde eines der Häuser hier aus. Ich weiche in den Schatten aus. Er kommt näher. Man kann sehen, dass er groß ist, viel größer als ich. An einem Stock über seiner Schulter hängt ein Bündel. Seine Kleidung ist verdreckt und durchlöchert.

Der Mann verneigt sich zackig wie ein Soldat.

"Sumimasen -Entschuldigung-, ich suche nach der Haarkünstlerin Umeko-San," sagt er in einem nördlichen Dialekt.

"Da haben Sie Glück," entgegne ich ihm erleichtert. "Ich bin gerade auf dem Weg zu ihr."

Ich gehe voraus, während er mir im Schatten der Häuser folgt. Bei Umeko-San angekommen, schiebe ich die Tür einen Spalt auf und rufe hinein:

"Ohayo, Umeko-San -Guten Morgen, Frau Umeko-, bist du wach?"

Statt ihrer kommt der Gaijin an die Tür, ihr Danna -Gönner-. Er schiebt sie weiter auf. Ich wende mich um und winke meinen Begleiter heran. Zu dem Gaijin sage ich:

"Dieser Mann hat mich unterwegs angesprochen und nach Umeko-San gefragt."

Der Gaijin schaut zuerst misstrauisch, dann erhellen sich seine Gesichtszüge und er breitet die Arme aus.

"Aisatsu, Isamu -Hallo, Isamu (unerschrocken)-, komm herein! Ich freue mich, dass du es ebenfalls geschafft hast, dich hierher durchzuschlagen!"

Mein Begleiter betritt das Haus und zieht sich an der Tür seine Sandalen aus. Er verneigt sich lächelnd und die beiden Männer schütteln sich die Hand, was mich irritiert Stirnrunzeln lässt. Umeko-San ist inzwischen hinzugetreten. Der Gaijin erklärt ihr:

"Das ist Isamu, mein Kampfgefährte."

Umeko-San bittet uns alle nun an den Tisch zum Frühstücken. Während wir still sind, haben die beiden Männer sich viel zu erzählen. Nach dem Frühstück bittet der Gaijin Umeko-San, dass sie seinem Tomodachi -Freund- die Haare schneidet und ihn rasiert. Anschließend erhält er Dienstboten-Kleidung im Austausch gegen die verschmutzte und verschlissene Uniform. Wir sind uns einig, dass der Soldat eine Arbeit braucht und ich biete ihm an, als mein Purotekuta -Beschützer- aufzutreten, wenn er das gegen Kost und Logis macht. Mehr kann ich ihm leider nicht bieten.

Der Gaijin hält das für eine gute Idee und auch Umeko-San redet ihm zu. Also begleitet er mich nach dem Frühstück hinaus. Ich will noch zum Teehaus, um die Besitzerin dort nach Fujimoto-Sensei, meinem gestrigen Kunden zu fragen. Je näher ich dem Haus komme, desto mehr Leute sind auf der Straße. Dann sehe ich den Mann aus dem Haus kommen und in eine Sänfte einsteigen. Seine Lakaien heben das Transportmittel an.

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