Samstag, 25. Februar 2023
Hao Ling -23
Er trägt einen Antrag bezüglich des Güterverkehrs innerhalb der Grenzen Chinas vor. Anschließend lässt der Sprecher über den Antrag abstimmen. Lai Yi Ni überlegt, welche der Tasten ihres Abstimmungsgeräts sie drücken soll. Auf dem Bildschirm, der jetzt geteilt ist und den Sprecher, sowie den Vorsitzenden des federführenden Ausschusses zeigt, laufen Zahlen. Schließlich bleiben sie stehen und der Sprecher verkündet das Ergebnis der Abstimmung.

Den ganzen Sitzungstag geht es so weiter. Anträge werden vorgetragen und zur Abstimmung gestellt.

Bei klarer Zustimmung wird der Antrag zur weiteren Bearbeitung an das Politbüro weitergeleitet. Bei knapper Zustimmung oder Ablehnung wird eine Aussprache angesetzt. Hier kann jeder Delegierte, seine Für- oder Wider-Argumente vortragen.

Anschließend geht der Antrag an den federführenden Ausschuss zurück, wo er neu beraten wird. Bei klarer Ablehnung ist der Antrag gescheitert.

Die Zeit verfliegt und irgendwann ertönt wieder ein Gong und der Sprecher erklärt den Sitzungstag für beendet. Zwischendurch sind immer wieder Delegierte aufgestanden und haben sich entfernt. Andere sind hinzugekommen, um an der Sitzung des Volkskongresses teilzunehmen. Auch der Sprecher hat zwischendurch gewechselt.

Genauso hat es die ehrenwerte Lai Yi Ni gemacht: Sie ist zwischendurch aufgestanden und hat mich aufgefordert, mit ihr zum Restaurant zu gehen, um etwas zu essen. Zehn Minuten später betreten wir das Restaurant auf der Ebene ihres Delegiertenbüros. Wir wählen etwas aus und gehen damit zu einem freien Tisch.

"Es ist schwierig, sich zu all den Anträgen eine eigene Meinung zu bilden, um dann angemessen abstimmen zu können," seufzt Lai Yi Ni. "Es sind effektiv zu viele und alles ist straff durchorganisiert - folgt einem zu schnellen Takt... Jedenfalls aus der Sicht eines Anfängers, wie mir!"

Ich nicke ihr zustimmend zu.

"Und dann ist der Inhalt all der Anträge so trocken, wenig emotionsgeladen," ergänze ich.

"Politiker dürfen sich nicht von Emotionen leiten lassen," erklärt sie. "Die Fakten müssen sprechen."

"Okay," meine ich, "aber Ihr Auftritt vor dem Kongress damals basierte zwar auf Fakten, war aber dennoch sehr emotionsgeladen und hat womöglich deshalb Stimmen gebracht."

Die Delegierte Lai Yi Ni nickt.

"Das war aber auch eine Ausnahmesituation gewesen! Formal muss ich es so halten, wie mein ehrenwerter Vorgänger He An Jing: Ich muss Koalitionen schmieden, um für den Fall gerüstet zu sein, dass Ihre Majestät sich mit einem ähnlichen Hilferuf an mich wendet. Daneben sollte ich mir einen Ausschuss suchen, der Themen bearbeitet, die mir liegen. Dort kann ich mich besser einbringen, als in Sitzungen des Volkskongresses. Die Arbeit ist ehrlicher."

Nachdem wir unser Mittagessen beendet haben, gehen wir wieder in den Plenarsaal zurück. Dort verfolgen wir den weiteren Tagesablauf, bis der Sprecher den Sitzungstag schließt.

Lai Yi Ni lässt sich in ihren Sitz zurücksinken, während ich pflichtbewusst die Umgebung beobachte. Sie schaut geschafft und erledigt aus. Um uns herum erheben sich die Delegierten und streben den Ausgängen zu. Gerade noch rechtzeitig sehe ich, wie sich eine Kamera in unsere Richtung dreht. Ich hüstele zweimal.

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