Montag, 7. November 2022
Aino sasayaki -Flüstern der Liebe- 10
Kleine Papierschnipsel regnen auf mich herab, während ich zur Mitte der Bühne gehe. Dabei schwinge ich den Schirm, als befände ich mich in einem Sturm. In der Bühnenmitte schlüpfe ich aus den Geta und laufe einen Kreis. Schließlich falle ich auf die Knie, hebe die Arme zum Himmel und beuge mich hintenüber.

Die Scheinwerfer verfolgen mich und wechseln ihre Farbe bei der letzten Tanzfigur hin zu Rot. Anschließend erhebe ich mich wieder und verbeuge mich tief vor dem Publikum, das aufgestanden ist und klatscht. Immer wieder mich verbeugend, gehe ich gemessenen Schrittes zu den Geta, schlüpfe hinein und verlasse die Bühne. Die Musik, die mich in ihrer Dramaturgie begleitet hat, klingt aus.

In meiner Garderobe angekommen wird es auf einmal draußen laut. Dann wird die Tür aufgestoßen. Herein tritt mein lieber Papa -aisuru chichi-. Zuerst bin ich erschrocken. Dann sehe ich, wie er an der Tür auf die Knie geht und sich vorbeugt bis seine Nase fast den Boden berührt.

"Yurushite saiai no musume -Verzeih mir, liebste Tochter-," sagt er. "Ich habe Falsches von dir gedacht!"

Ich erhebe mich, gehe die zwei Schritte auf ihn zu und vor ihm in die Hocke.

"Ach, Papa," sage ich. "Ich kenne das Vorurteil vieler Leute. Es ist alles wieder gut, mein liebster Papa!"

Die One-San tritt hinzu und fragt, ob wir nicht gemeinsam im Restaurant des Theaters auf das Ende der Versteigerung warten sollen. Papa erhebt sich und entschuldigt sich bei der One-San. Ich nicke und meine:

"Ich möchte mich vorher gerne umziehen und die Frisur richten."

One-San ist einverstanden und ruft zwei Stylisten herbei.

Sie lädt Papa nun ebenfalls in das Restaurant ein. Auf dem Weg dorthin gesellt sich auch Mama hinzu. Im Restaurant treffe ich auf die Drei, die sich im angeregten Gespräch miteinander befinden. Ich habe neben der korrekten Frisur auch einen mehrlagigen Seidenkimono aus der Kollektion der One-San angelegt und gehe zwischen ihr und meinen ehrenwerten Eltern -rippana Oya-San- in den Seiza.

Die Szene überblickend greife ich sofort zur Teekanne und will meinen Eltern nachschenken. Leider kommen aus ihr nur noch wenige Tropfen. Die One-San lächelt und meint:

"Wenn es möglich wäre, würde Emi-San die Kanne für ihre lieben Eltern auswringen."

Sie hebt die Hand und ruft eine Kellnerin herbei.

"Sumimasen -Entschuldigung-!"

"Hoka no mono o chumon shimasu ka -Sie möchten noch etwas bestellen-?" fragt sie.

"Hai, ureshidesu. Watashitchi hitorihitori no tame no ocha no betsu no potto -Ja, gerne. Noch ein Kännchen Tee für jeden von uns," antwortet die One-San.

"Kashikomaimashita, Okyaku-Sama -Verstanden, meine Dame," bestätigt sie und holt die Bestellung.

Ich weiß, dass nach mir die Vorgruppe wieder ihre Tänze aufführt, gewissermaßen als Rahmenprogramm zu meinem Auftritt. Wir warten auf das Ergebnis der amerikanischen Versteigerung, die auch von der örtlichen Presse beobachtet wird. Irgendwann beendet der Moderator der Veranstaltung die Versteigerung, weil kein Angebot mehr hereinkommt. Ein Junge kommt ins Restaurant und verbeugt sich mehrmals vor der One-San, um ihr dann mit vorgestreckten Armen einen Zettel zu überreichen.

Die One-San liest und lächelt. Sie übergibt mir den Zettel. Nun lese ich die Zahl darauf und kann es nicht fassen.

"Na," meint die One-San. "Lies laut! Deine ehrenwerten Eltern möchten sicher auch wissen, wie hoch du in der Gunst des Publikums stehst."

Mit dünner zittriger Stimme lese ich:
"Fünfundzwanzig Millionen Yen..."

Die One-San neigt ihren Kopf und antwortet:
"Ich habe mich vor vielen Jahren mit 17 Millionen aus meinem Okiya -Geisha-Haus- freigekauft. Du kannst diese Summe für eigene Kosmetika und Kimonos ausgeben. Nun darfst du 50.000 Yen pro Stunde für einen Auftritt verlangen! Damit kannst du eine vergleichbare Wohnung wie die meine anmieten, ausstatten und weitere Kimonos für viele Gelegenheiten kaufen."

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