Sonntag, 27. Dezember 2020
Yamato Nadeshiko -2-
Langsam wird es dunkel, als ich unter uns einen Strand erblicke. Der Pilot orientiert sich nun an der Wasserlinie und bugsiert des Quadrocopter Zentimeter für Zentimeter rückwärts in eine halb unter Wasser stehende Höhle am Fuß einer Felswand hinein. Ein Scheinwerfer am Fluggerät leuchtet die Höhle aus und ein Monitor zwischen den Armaturen weist ihm den Weg.

Ein oben offenes schnittiges Boot ist unser Ziel. Der Pilot versenkt den Quadrokopter passgenau in der Öffnung an der Oberseite des Bootes. Danach steigen beide Männer aus und schrauben die Mantelschrauben des Fluggerätes ab. Sie werden hinter dem Fluggerät in Stauräumen des Bootes untergebracht.

Nachdem beide Männer das Cockpit wieder betreten haben, tippt der Pilot einige Passwörter auf ein Display. Der Monitor zeigt nun einen Punkt, der schnell größer wird, zu einem Kreis wird und die Grenzen des Monitors erreicht. Dies wiederholt sich mehrfach. Dann piepst es. Nach einem weiteren Tastendruck zeigt der Monitor den Ausgang der Höhle vor uns. Wir bewegen uns nun langsam aus der Höhle hinaus. Mein Gesprächspartner sagt lächelnd:

„Schnallen Sie sich an, kudasai -bitte-! Den Kommunikationshelm haben Sie zum Glück nicht abgelegt. Den brauchen Sie gerade jetzt!“

Draußen beschleunigt der Pilot, so dass ich meine, wir befinden uns nun in einem Speedboot. Er nimmt Kurs auf den Pazifik hinaus. Als das Boot eine gewisse Geschwindigkeit erreicht zu haben scheint, zieht er das Steuer an sich heran. Sofort zieht das Boot in einem irren Winkel nach oben. Nach wenigen Minuten kippt er das Fluggerät in die Waagerechte zurück.

Während des Aufstieges bin ich in den Sitz gedrückt worden und zu überrascht gewesen, nachzufragen. Das hole ich jetzt nach:

„Was ist das hier überhaupt? Womit fliegen wir? Ist das wirklich keine Entführung?“

„Eine Entführung, hm…“ meint der Sprecher der beiden Männer, verschmitzt lächelnd. „Das dürfen die kanadischen Behörden gerne denken. Wir fliegen mit – wir nennen es einen Meisai -Tarn-. Sie haben ja erlebt, wie diskret wir operieren konnten.“

„Und unser Ziel ist eine Insel, die meinem Vater gehört?“ setze ich nach.

„Genau, wie ich heute schon sagte!“ lässt er sich vernehmen.

„Wie lange dauert der Flug?“

„Sumimasen -Entschuldigung-, das ist der wunde Punkt,“ lächelt der Mann. „Richten Sie sich auf eine Reisedauer von etwa neun Stunden ein.“

Ich nicke und antworte mit gekräuselter Stirn: „Okay.“

Meine Laune hebt sich durch die Eröffnung nicht gerade. Neun Stunden sind doch eine lange Zeit. Natürlich dürfte die Entfernung bis zur Westseite des Pazifiks etwa 8.000 Kilometer betragen.

„Versuchen Sie etwas zu schlafen,“ rät er mir. „Ich werde meinen Kollegen etwa auf der Hälfte der Strecke ablösen.“

Also schließe ich die Augen und versuche mich zu entspannen, was mir lange nicht gelingen will.
Irgendwann döse ich ein und als ich wieder wach werde, haben meine beiden Begleiter die Plätze getauscht. Nachdem ich auf meine Uhr gesehen habe, stelle ich fest, dass wir sicher noch etwa drei Stunden in der Luft sein werden. Ich versuche also noch etwas vor mich hin zu dösen.

Irgendwann ändert sich das Fluggeräusch. Ich öffne die Augen und bemerke, dass der zweite Pilot den Meisai -Tarn- sinken lässt. Wir kommen der Wasseroberfläche immer näher. Unten angekommen zieht er die Schnauze hoch, so dass er mit dem Heck zuerst auf der Wasseroberfläche aufkommt. Hinter uns steigt Gischt auf. Je langsamer wir werden, desto waagrechter wird die Lage des Tarn. Schließlich fahren wir als Speedboot auf eine grün-weiße Halbkugel im Wasser zu.

Je näher wir der Insel kommen, desto langsamer werden wir. Vor einem offenen Tor kommen wir zum Stillstand und der Pilot dreht den Meisai -Tarn- um 180 Grad. Danach bugsiert er ihn langsam rückwärts an seinen Platz hinter einem Tor, das sich danach langsam schließt. Endlich wird das Cockpit wieder geöffnet und wir steigen aus.

Ich habe schwankende Knie und fühle mich übermüdet.

„Kommen Sie, Tanaka-San,“ fordert mich der Wortführer mit einer leichten Verbeugung auf. „Ich denke, wir haben alle Drei eine Portion Schlaf nötig. Ich zeige Ihnen ihr Quartier. Wenn Sie erfrischt erwachen, wird sich Ihr ehrenwerter Otou-San -Vater- um Sie kümmern!“

Die beiden Männer trennen sich und ich folge dem Sprecher durch Gänge und Aufzüge. Schließlich haben wir eine Zimmertür erreicht. Er öffnet sie für mich und macht eine einladende Geste.

„Na, hereinspaziert! Oyasumi nasai -gute Nacht-, Tanaka-San!“

Ich schalte das Licht ein und erkenne ein japanisch eingerichtetes Schlafzimmer. Ein niedriges Sideboard mit einem Bildschirm darüber, ein niedriger Tisch mit zwei Kissen und ein breiter Futon ist alles, was ich im Augenblick erkenne. An der Wand hängen zwei unterschiedlich lange Schwerter in einem hölzernen Träger und mehrere Reispapiere mit japanischen Schriftzeichen und Tuschezeichnungen. Hinter dem großen Fenster herrscht noch Dunkelheit.

Also wünsche ich meinem Führer ebenfalls „Oyasumi nasai -gute Nacht-!“ und gehe tiefer in den Raum hinein. Die Wand hinter dem Futon scheint aus Schiebetüren zu bestehen. Dahinter verbirgt sich sicher der Kleiderschrank. Auf dem Futon liegen eine Decke und ein japanisches Nachtgewand. Ich beginne nun mich für das Bett umzuziehen, lege mich auf den Futon und decke mich zu. Bald bin ich eingeschlafen.

Als ich ausgeruht erwache, öffne ich die Augen und schaue mich aus meiner Position im Raum um. Hier herrscht im Moment Dämmerlicht, da eine Jalousie zwischen den Doppelscheiben des Fensters heruntergelassen ist. Durch die halbgeöffneten Luftschlitze weht eine leichte Brise salziger Luft in den Raum, genauso wie man es erwartet, wenn man Urlaub an der Küste macht.

In einer Raumecke steht eine lebensgroße Puppe, angetan der Rüstung eines Samurai, hinter Glas. Eine strenge Würde geht davon aus.

Neugierig richte ich mich auf. Auf der gegenüberliegenden Seite des Futons, sehe ich ein Paar Pantoffeln stehen und einen Gürtel. Nun erhebe ich mich richte meine Kleidung und gürte mich. Danach schlüpfe ich in die Pantoffel und nähere mich dem Fenster. Auf Brusthöhe neben dem Fenster erkenne ich drei Knöpfe mit Pfeilen. Damit lasse ich die Jalousie hochfahren und schaue hinaus. Ich blicke auf einen gepflegten Zen-Garten gleich gegenüber der Wand bis zu einem Geländer. Dahinter recken Bäume ihre Krone von einer unteren Ebene in mein Sichtfeld.

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