Mittwoch, 8. Juni 2022
Die Gesellschafterin -06
Nun steige ich die Treppe hinauf. Oben empfängt mich Sabine an der Wohnungstür und umarmt mich. Ich lasse diese Nähe über mich ergehen. Das ist in Europa also eine 'herzliche Begrüßung'. Danach bittet sie mich herein.

Drinnen läuft uns als erstes ein junger Mann neugierig über den Weg. Sabine kommentiert das:

"Das ist Herbert, mein Freund. Er ist Verkäufer in einem Autohaus. So bekomme ich bei Problemen mit der 'Schüssel' Mitarbeiterrabatt. Herby kann ganz gut kochen. Sag Hiko 'Guten Tag', Herby!"

"Hi, Hiko!" sagt der Mann brav und verschwindet in der Küche, aus der es schon verführerisch riecht.

Sabine führt mich an den Couchtisch und stellt ein Glas Cola vor mich. Sie selbst füllt sich ebenfalls ein Glas. Wir haben noch nicht viel miteinander reden können, bis Herbert hinzukommt und erklärt:

"Das Essen ist fertig!"

Wir nehmen unsere Gläser und Sabine führt mich an den Esstisch in der Küche. Es stehen schon einige Schüsseln und drei Teller darauf. Herbert hat auf jeden Teller eine Portion Reis gegeben und stellt nun auch für sich ein Glas Cola dazu, bevor er sich setzt. Anschließend reicht er eine Platte mit in Streifen geschnittenem, paniertem Hähnchen herum. Nachdem sich jeder etwas genommen hat, reicht er die Schüssel mit Gemüse und Pilzen in süßsaurer Soße herum.
Dann beginnen wir mit essen. Ich nehme die bereitliegende Gabel dafür und schaue Sabine an.

"So wie ich das letztens verstanden habe," beginnt sie, "sind eure Männer ganz anders..."

"Japan ist ein fernes Land," versuche ich mich in Diplomatie.

"Das stimmt wohl," meint sie, "will aber nichts heißen. Schau mal, ich habe mir Herby so hingebogen. Wir kommen wunderbar miteinander klar. Das solltest du bei einem Mann auch tun!"

Ich lächele höflich und wedele mit der erhobenen Hand.

"Jeder so, wie er es mag, Sabine. Ich bin auch liiert. So sagt man hier doch, glaube ich. Ich mag meinen Freund so wie er ist. Für ihn sind Verpflichtungen und Verantwortung etwas ganz Normales. Probleme im Alltag sind für ihn eine Herausforderung. Ganz besonders aber achtet und wertschätzt er mich als Person. Ich vertraue ihm völlig."

"Und du bist sicher, dass er nicht schauspielert - irgendwann die Maske fallen lässt, dich nimmt und dann fallen lässt wie eine heiße Kartoffel?"

"Du, da bin ich mir absolut sicher! Ich kann mich vertrauensvoll in seine Arme sinken lassen. Insoweit ist er sogar berechenbar."

"Wenn das stimmt, dann hast du ihn schnell in der Hand. Dann kannst du ihn lenken..." resümiert Sabine.

"...wie du Herbert lenkst über Gefühlsausbrüche und das Äußern von Wünschen?" antworte ich, freundlich lächelnd.

Herbert sitzt dabei und beschäftigt sich intensiv mit dem Essen. Er tut so, als versteht er uns nicht.

"Ja, warum denn nicht. Man muss schließlich sehen, wo man bleibt im Leben!" sagt mir Sabine daraufhin.

"Da sind wir doch grundverschieden, Sabine! Vielleicht rührt das von unserer verschiedenen Erziehung her."

Sie nickt und lässt das Thema auf sich beruhen. Wir reden noch über einige studentische Probleme, dann verabschiede ich mich von ihnen. Beim Weggehen lade ich beide aus Höflichkeit zu einem Gegenbesuch in mein Appartement ein.

Eine Woche später ist es an mir, meine Gäste zu bewirten. Pünktlich klingeln Sabine und Herbert an der Tür. Ich lasse sie ein und empfange sie in einem Yukata, einem leichten Hauskimono mit einem Druck, der aussieht wie ein japanisches Gemälde und mit ein paar Stickereien.

Beide sagen "Hallo!" und zeigen sich beeindruckt von meiner Einrichtung. Ich erkläre ihnen das mit einfachen Worten:

"Dies ist für mich ein Rückzugsort, an dem ich Kraft schöpfen kann für den Alltag."

Dann bitte ich sie:
"Zieht bitte eure Straßenschuhe aus. Im Regal findet ihr sicher passende Hausschuhe... Ah, und wenn ihr zur Toilette müsst, wechselt an der Tür bitte in Badschuhe."

Sabine kann nur mit dem Kopf nicken. Sie entledigen sich beide ihrer Straßenschuhe und probieren ein paar Pantoffeln an, bis sie passende gefunden haben. Dann zeige ich ihnen das Bad mit Toilette und führe sie in den Wohnraum. Sabine schaut sich um und stellt lächelnd fest:

"Hübsch hast du es hier. Du hast dir Asien nach Europa geholt!"

Ich nicke dazu und meine:
"Wenn mein Freund nicht in meiner Nähe sein kann, will ich wenigstens in einer solchen Umgebung zur Ruhe kommen können."

Sie sieht ein großes Foto an der Wand und fragt:
"Ist er das?"

Ich nicke und frage sie:
"Welchen Eindruck macht er vom Foto her auf dich?"

"Hm," meint sie nachdenklich. "Er zeigt eine energische Miene. Er bestimmt sicher gerne, wo es lang geht."

"Ja, das macht er," bestätige ich.

Sie schaut sich weiter um und fragt nun:
"Da steht ein Couchtisch, aber weder Sessel, noch Couch oder Stühle. Wo kann man sich denn hier setzen?"

Ich gehe demonstrativ in einer fließenden Bewegung in den Seiza -Kniesitz- am Tisch und stehe sofort wieder auf.

"So sitzt man in Japan am Tisch, Sabine," sage ich lächelnd. "Aber nehmt euch dort an der Wand zwei von den Sitzen und legt ein Kissen unter. Dann geht in den Schneidersitz. Das geht auch."

Während ich rede bin ich zur Wand gegangen, wo sechs Cocktailsessel ohne Beine aufeinandergestapelt stehen. Die obersten Zwei hebe ich ab und gebe jedem der Beiden einen in die Hand. Dann nehme ich aus der Truhe daneben drei Kissen.

Nachdem Beide sitzen, gehe ich an die Küchenzeile und stelle die vorbereiteten Sushi-Rollen auf ein Tablett. Anschließend bringe ich das Tablett und danach grünen Tee auf den Tisch. Ich gehe in den Seiza und serviere jedem eine Schale Tee aus der Teekanne.

Im Anschluss herrscht erst einmal Ruhe. Die Gäste genießen das Essen. Irgendwann meint Sabine:

"Sag mal, Hiko, ich möchte ja nicht indiskret sein. Wenn die Frage dir dennoch zu indiskret erscheint, brauchst du sie nicht beantworten:
Dein Freund ist nicht zufällig reich? Ich meine, wenn man sich hier umschaut, das muss doch ein Vermögen gekostet haben und dann der Transport rund um die halbe Erde. So eine Containerfracht kostet sicher Tausende Euro. Und für das Einrichten braucht man sicher mehrere Männer..."

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