Dienstag, 14. Juni 2022
Die Gesellschafterin -09
"Sind unter uns Ratsherren, die sich mit historischen Waffen auskennen, eine Selbstverteidigungstechnik beherrschen und die Tugenden der Samurai gleichzeitig vermitteln können? Jemand, der also den Beruf des Waffenmeisters ausüben und eine Waffenschule leiten möchte?"

Es melden sich drei Herren. Ich schaue Osawa-San an. Seine Position lässt sich am leichtesten durch Umorganisation auflösen, so dass er frei wird für die neue Tätigkeit. Er ist einverstanden und die Anderen in der Runde sprechen ihm Mut zu.

"Okay, das wäre die Waffenschule. Osawa-San, Sie werden sich die besten aus ihrem ersten Lehrgang aussuchen und mit deren Vorgesetzten eine Freistellung aushandeln. Eine Schule braucht ein Lehrerkollegium!"

Osawa-San nickt und bestätigt: "Hai! Hai!"

"Dann wäre da die Schule für Meidos," leite ich zum nächsten Thema der Sitzung über. "Eine Meido ist grob übersetzt eine Yamato Nadeshiko. Sie ist Hausfrau, Geisha und Samurai in einer Person. Auf diesen drei Säulen soll die Ausbildung unserer Frauen ruhen. Wer von Ihnen traut sich die Leitung einer solchen Schule zu?"

Nachdem ich mehrmals in die Runde geschaut und jeden Einzelnen aufmunternd angelächelt habe, meldet sich schließlich doch noch einer der Herren.

"Keine falsche Scheu!" sage ich. "Wie in der Waffenschule gilt auch hier: Eine Schule braucht ein Lehrerkollegium. Dem stehen Sie vor und tragen die Verantwortung. Aus den Besten Ihrer ersten Lehrgangsteilnehmer wählen Sie sich die Kandidatinnen dafür aus und fragen deren Männer, ob sie einverstanden sind... Übrigens: den Bereich Tanz, Musik, Konversation, also die 'Geisha' deckt Tanaka-San gerne ab. Sie wird Sie auch beraten, wer von den ersten Lehrgangsteilnehmerinnen als Mitglied Ihres Lehrerkollegiums geeignet wäre!"

Ein Raunen geht um den Tisch. Wir haben seit kurzem in jedem der drei Hochhäuser ein Varieté-Theater. Tanaka Hiko tritt dort in ihrer Freizeit gerne auf. Ihr und den Gästen machen die Vorstellungen großen Spaß.

In einer anderen Ratssitzung rege ich an, dass jeder Haushalt auf der Insel einen Bunrei beherbergen soll. Da wir uns dem Naturschutz verschrieben haben, wäre ein Verbindungselement zur Natur ganz hilfreich, ist mein Gedanke dahinter. Nacheinander besuchen wir den Fushimi Inari Taisha-Schrein in Kyoto, einen der größten Schreine des Landes und bitten den obersten Schreinpriester, gegen die Spende einer größeren Summe Yen, Steine vom Gelände des Schreins in einer mitternächtlichen Shintozeremonie magisch aufzuladen. Er bittet also den Kami des Schreins sich aufzusplitten und auch diese Steine als Wohnsitz zu nehmen.

Anschließend dürfen wir die Steine mit auf die Insel nehmen, um sie auf die Haushalte zu verteilen. Als Platz bietet sich der Esstisch an, um den sich die Familie mehrmals täglich versammelt. Beispielgebend lege ich einen Stein in eine Schale auf den Block im Ratssaal, um den wir uns zu den Sitzungen versammeln.

Infolge nenne ich die Insel Bunrei no Shima -Insel der beseelten Steine-. Der Bunrei ist unser Bindeglied zur Natur und den Kami, und Mittelpunkt verschiedener Zeremonien. So schwören wir in Gegenwart des Bunreis der Insel unserer Gemeinschaft die Treue. Wir ehren unsere Insel, indem wir sie für die nachfolgende Generation erhalten. Wir halten unserer Familie die Treue, indem wir dem Wort des Vaters folgen. Wir ehren den Gastgeber, wenn wir ein fremdes Heim betreten, indem wir in Frieden kommen. Der Bunrei in Form eines Steins nimmt eine herausragende Stellung in unserem Leben ein, aus Respekt vor der uns umgebenden Natur.

*

Als Tanaka-San seinen Abschluss im Internat gemacht hat und nach den Ferien ein Studium beginnen könnte, überlegt Tanaka-Sama ihn auf die Bunrei no Shima zu holen und ihn zu seinem Stellvertreter aufzubauen. Ich, Tanaka Hiko, seine ergebene Meido, bestärke ihn darin, denn dann hat er eine Person an seiner Seite, der er bei heiklen Aufträgen unbedingt vertrauen kann.

Nachdem die Schule ihm ein hervorragendes Abschlusszeugnis seines Sohnes übermittelt hat, ruft er dort an und erfährt vom Vertrauenslehrer, dass Tanaka-San zu einer Fahrradtour in die Rockies aufgebrochen ist. Am Trail liegen im Abstand von etwa zwanzig Meilen Motels, bei denen er sich mit allem versorgen kann, was ein Biker braucht.

Tanaka-Sama, mein Shujin -Herr-, lässt die erfahrensten Piloten des Meisai -Tarn- zu sich kommen. Während ich die Herren bewirte, sagt er:

"Meine Herren, ich habe einen heiklen Auftrag für Sie. Sie müssen den Pazifik überqueren und sich an der kanadischen Küste eine Felsenhöhle suchen. Von dort starten sie mit dem Quadrokopter einen Erkundungsflug in Richtung Edmonton. Es geht darum, meinen lieben Sohn wohlbehalten auf die Bunrei no Shima zu bringen! Unterwegs informiere ich Sie, welche Motels er besucht hat. Picken Sie ihn dort irgendwo auf und verschleiern Sie sein Verschwinden, so dass die Ranger vor ein unlösbares Rätsel gestellt werden.
Was sagen Sie dazu?"

"Ehrenwerter Kanrisha-Sama -Herr Ortsvorsteher-, das sind mehrere tausend Seemeilen dorthin. Es wäre gut, wenn wir unterwegs auftanken könnten."

"Daran habe ich auch schon gedacht," antwortet Tanaka-Sama und nickt beruhigend. "Zu zwei Koordinaten auf der Strecke sind Schiffe unterwegs. Darüber erhalten Sie noch genauere Informationen."

Die Herren brechen bald nach der Besprechung auf. Etwa sechzehn Stunden später erhält der Shujin die Nachricht, dass die Piloten den Meisai -Tarn- in einer Höhle an der kanadischen Küste verstecken konnten. Sie werden erst einmal schlafen und in sechs oder sieben Stunden ihren Erkundungsflug mit dem Quadrokopter starten.

Der Herr vereinbart mit ihnen ein kurzes Funksignal, das wie unsere Gespräche per Satellit zur Bunrei no Shima übertragen wird, wenn sie Tanaka-San aufgenommen haben und den Rückflug antreten. Zwölf Stunden nach dem Kontakt erreicht uns das automatische Signal, eine abgesprochene Buchstaben- und Zahlenkombination. Nun heißt es, in froher Erwartung ausharren.

Gegen Morgen erhalten wir über den Kommunikator von der Hangaraufsicht die Meldung, dass der Meisai wohlbehalten zurück ist und einen Passagier an Bord mitgebracht hat. Die Männer werden Tanaka-San sein Appartement zeigen.

Am Abend verlässt mich mein Herr, um seinen Sohn auf der Insel zu begrüßen. Die Beiden werden viel zu besprechen haben. Da dieser sich noch im Zeitrhythmus Kanadas befindet, hat Tanaka-Sama ihn über Tag in Ruhe schlafen gelassen. Zwei Stunden später ist mein Herr wieder zurück. Tanaka-San wird nun das Gehörte verarbeiten müssen und hier ist inzwischen die Nacht angebrochen.

Morgen früh wird für Tanaka-San der Unterricht beginnen.

*

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