Sonntag, 12. Juni 2022
Die Gesellschafterin -08
Wenige Minuten später trifft die Haushälterin bei uns ein. Ich eröffne ihr, dass in Kürze in der Villa wieder eine große Veranstaltung stattfinden soll. Sie soll die Vorräte auffüllen lassen und sich bei der Organisation des Festes mit Watanabe-San kurzschließen. Ab jetzt wäre sie die Ushiro kara yuga -?Gnädige von hinten? (Hausfrau)-.

Unter vielen Verbeugungen lässt uns die Haushälterin nun rückwärtsgehend allein.

"Du lässt mir freie Hand?" fragt sie mit erstauntem Gesichtsausdruck.

Ich nicke und sage: "Hai, Watanabe-San -Ja, Watanabe-San-."

Sie umarmt mich, glücklich lächelnd. Bald darauf feiern wir unsere Shinto kekkonshiki -Shinto-Hochzeit-.

*

Mein Ansprechpartner für Geschäfte mit der Amatsuka Werft Corporation in Maizuru, etwa zwei Stunden von Kyoto entfernt, berichtet mir eines Tages, dass die Werft die Komponenten einer künstlichen Insel zusammengesetzt hat. Sie haben Erde und Pflanzen spärlich über die Insel verteilt und suchen nun eine Testbevölkerung.

Stellt sich heraus, dass die Insel nutzbar ist, soll sie den Menschen auf Fitschi und anderen Inselstaaten im Pazifik die Möglichkeit geben weiterhin in ihrer Heimat zu wohnen, statt emigrieren zu müssen, wenn der Wasserspiegel wegen des Klimawandels steigt. Berichten wir der Werft von Mängeln der Insel, kann die Werft diese vor der Auslieferung an die betroffenen Menschen beheben.

Hier sehe ich eine Chance, an einer technologischen Entwicklung mitzuwirken, die den Menschen des Pazifikraumes zugutekommt. Ich bespreche mich kurz mit Tanaka Hiko und melde bei dem Shachou -CEO/Geschäftsführer- der Werft Amatsuka-Sama mein Interesse an. Auch Amatsuka-Sama entstammt einem alten Samurai-Geschlecht.

Die folgenden Wochen sind mit Vertragsverhandlungen ausgefüllt. Gleichzeitig versuche ich einen Käufer für die Tanaka Automotive Group zu finden und spreche mit meinen Mitarbeitern über die Umwälzungen, die auf sie zukommen. Ich biete ihnen Hilfe bei Bewerbungen an, falls sie in anderen Firmen aussichtsreiche Arbeitsplätze entdecken. Andere Mitarbeiter werden auf meine Kosten umgeschult, um Arbeitsplätze an Bord der künstlichen Insel belegen zu können. Sekretärinnen und meinem Hauspersonal, das ich nun nicht mehr benötige, biete ich eine Schulung zur Meido an.

Das Wort bedeutet zwar 'Magd', aber sie ist nach meinem Verständnis keine niedere Dienerin, sondern eine Betreuerin, Unterhalterin und Beschützerin desjenigen, dem sie dient. Derjenige muss sie mit Respekt behandeln, sonst darf sie sich aus dem Dienst zurückziehen. Das bedeutet natürlich auch, dass ich den Männern aus meiner Belegschaft ins Gewissen rede, dass machohaftes Verhalten von mir sanktioniert wird.

Schließlich finde ich eine Investmentgesellschaft mit Interesse für meine Firma, die mir genügend Geld gibt, den Prototyp der Inseln zu kaufen und mit allem auszustatten, was zum Leben von über 600 Menschen benötigt wird. Einen großen Rest Finanzmittel lege ich auf ein Konto, um davon Ideen bezahlen zu können, von denen die Amatsuka Werft Corporation nicht unbedingt etwas zu wissen braucht.

Als ich dann davon erfahre, dass man in Europa damit beginnt, Passagiere mit Quadrokoptern vom Flughafen zu ihren Hotels zu bringen, kaufe ich einen solchen Shuttle und beauftrage ein Entwicklungsbüro, mir ein Kombigerät zu konzipieren, in dem vorne solch ein Quadrokopter steckt. Dieser soll die Passagierkabine des Kombigerätes darstellen und als Hubschrauber selbständig agieren können. Ist der Quadrokopter mit seinem Unterbau gekoppelt, soll er als Speedboot fahren können und mit einem Strahltriebwerk und ausklappbaren Flügeln soll das Gerät auch fliegen können. Gleichzeitig kann die Passagierkabine als Rettungskapsel dienen, falls es wider Erwarten zu einem Unglück kommen sollte.

Zuerst wird eine Machbarkeitsstudie entwickelt und durchgerechnet. Danach baut das Entwicklerbüro ein Modell, um seine Flugfähigkeit zu testen. Dabei bemerkt man, dass die Mantelschrauben abziehbar konzipiert werden müssen. Für die Antriebe müssen hinter der Kabine Staumöglichkeiten geschaffen werden. Dann wird ein erster Prototyp gebaut und ausgeliefert. Wir testen ihn im Alltagsbetrieb und geben die Testergebnisse an das Entwicklungsbüro genauso weiter wie wir die Beurteilungen aller technischen Details der Insel an die Amatsuka Werft Corporation weitergeben.

Was mich schon etwas traurig macht, ist dass die Investmentgesellschaft die ehemalige Tanaka Automotive Group in ihre Bestandteile zerschlägt und diese einzeln weiterverkauft. Aber so ist das nun einmal im Kapitalismus: Man will an einem Deal maximal verdienen. Wenn nun die Summe der Einzelteile mehr einbringt, als die Firma als Ganzes, dann kann man ihr ihr Handeln nicht verübeln.

Das Organigramm der Insel soll mehr einem Gemeinwesen, wie einem Dorf ähneln, als einer Firma. Also rufe ich die Abteilungsleiter zusammen und frage sie, ob wir diese Zusammenkunft nicht künftig als 'Rat' bezeichnen sollen. Sie dürfen sich dann Ratsherren nennen.

Der Vorschlag findet eine Mehrheit. Danach sage ich:
"So wir nun allesamt Ratsherren sind, die gemeinsam über die Geschicke der Insel beraten und entscheiden, sollten wir Einen unter uns als Bürgermeister oder Ortsvorsteher wählen, der die Beschlüsse des Rates umsetzen muss. Ich denke, jeder von euch schreibt den Namen des Mannes, den er für geeignet hält, auf einen Zettel, faltet ihn und legt ihn auf den Tisch in unserer Mitte."

So geschieht es dann. Ich rufe einen jungen Mann hinzu, der die Namen laut vorliest und stapelt. Schließlich werden die Stapel gezählt und die Männer, deren Namen die beiden größten Stapel bilden, müssen in einen zweiten Wahlgang. Das Ergebnis ist nun, dass meine bisherigen Abteilungsleiter mich mit der Leitung der Insel betrauen. Dieser Vertrauensbeweis macht mich stolz.

"Wir müssen zukunftsfähig sein," sage ich anschließend. "Wir haben Familien mit Kindern auf der Insel. Für sie müssen wir Schulen einrichten. Ich schlage vor, dass das Lernziel der Jungen der Verhaltenskodex der Samurai sein, während das Lernziel der Mädchen die Yamato Nadeshiko werden soll. Was das im Einzelnen bedeutet, werden wir noch ausarbeiten. Des Weiteren orientieren wir uns an den Schulen auf dem japanischen Festland."

"Was ist aber mit den Erwachsenen? Sollte man ihnen nicht auch Lehrgänge anbieten?" fragt einer der Ratsherren zurück.

Ich nicke.

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