Freitag, 10. Juni 2022
Die Gesellschafterin -07
"Nun," sage ich reserviert lächelnd. "Hier in der Stadt gibt es auch ein japanisches Einrichtungshaus..."

Sie hebt das Kinn, als will sie "Ah" sagen, bleibt aber stumm. Dafür verabschiedet sie sich alsbald nach dem Essen. Dies ist wohl nicht die Umgebung, in der sie sich wohlfühlt. Na, das muss sie ja auch nicht! Ihr Freund dackelt ergeben hinter ihr her.

*

Hikos Semesterferien verbringt sie in einem Gästezimmer meiner Villa, die ich von meinem Vater ererbt habe. Dafür kommt sie jedesmal von Europa nach Japan zurück. Immer wieder stoße ich eine Konversation zu den unterschiedlichsten Themen an und freue mich über den intellektuellen Schlagabtausch mit ihr.

Einmal sind wir dabei abgeschweift, als sie beginnt über den Unterschied zwischen den Männern in der sogenannten westlichen Hemisphäre und denen hier in der Heimat zu philosophieren.

"Ich musste dort Hosen tragen und andere Kleidung, die mich kaum von den Männern auf der Straße unterscheidet," berichtet sie. "Aber das ist nicht das Entscheidende. Die Männer, denen ich dort begegnet bin, benahmen sich so merkwürdig. So asexuell, als wäre ich keine Frau und sie keine Männer - ich kann sie nur verachten! Bitte, entschuldigen Sie meine direkten Worte, Shachou-Sama!"

Ich lächele sie an.

"Keine Machos?" frage ich zurück.

"Doch, hier und da schon," meint sie. "Aber sie kennen die Tugenden der Samurai nicht und benehmen sich entsprechend daneben. Da heißt es dann, auf Abstand gehen!"

"Nun," meine ich. "Auch hier in der Heimat gibt es Machos, die sich daneben benehmen!"

Sie nickt, aber ihren Europa-Aufenthalt hat sie noch nicht ganz verarbeitet. Ich lasse sie sich weiter von der Seele reden, was schwer darauf zu lasten scheint.

"Es gibt unter ihnen so wenige richtige Männer," sagt sie mit enttäuschter Miene. "Ich kann das nicht verstehen. Ist das denn so schwer? Warum haben so viele männliche Europäer ihre Männlichkeit aufgegeben und genießen ihre Verstümmelung auch noch? Ganz sicher gibt es dafür komplexe historische Gründe. Es ist jedoch interessant, in welch groteske Form sich die Biologie durch die dortige Kultur zwängen lässt!"

"Bestimmt sind nicht alle Männer so!" gebe ich zu bedenken.

Sie zeichnet da ein ganz anderes Bild von 'Männlichkeit' als man es hier in Japan gewohnt ist. Das ist auch interessant zu wissen, wenn man mit Europa Geschäfte macht.

"Das stimmt natürlich!" relativiert sie. "Aber der Großteil, denen ich dort begegnet bin, sind geknechtet von Weltanschauungen, Propaganda und den Frauen. Ihre Ketten sind unsichtbar und so tun sie, als gäbe es sie nicht. Aber sie müssen trotzdem ihr Gewicht spüren. Ich kann es mir nicht anders vorstellen. Ihre Ketten dort sind ihre Abhängigkeit von der Gunst der Frauen, die sie ihnen gewähren oder auch nicht."

Hm, eine Geisha kennt sich auf diesem Gebiet aus! Von der Gunst der Frauen abhängige Männer, das ist qualitativ noch einmal anders.

"Statt, dass die Frauen um den Schutz durch die Männer buhlen, dürfen die Männer dort sich glücklich schätzen, wenn eine Frau ihnen die Gunst erweist, sie schützen zu dürfen. Oder es kommt sogar zu einer Umkehrung: Die Frau nimmt sich einen Mann, der ihr dann dient. Der europäische Mann hat die Bezeichnung 'Mann', die er im Munde führt, längst nicht mehr verdient! Ich verachte sie!" führt sie ihre Beschreibung weiter aus.

"Das sind harte Worte, Watanabe-San," sage ich daher.

"Das ist der Eindruck, den ich in Europa gewonnen habe, und den sollte ich Ihnen schildern, ehrenwerter Shachou-Sama. Haben Sie eine Ahnung, warum das so ist in Europa?" fragt sie mich.

Ich denke nach. Da hat es in Gesellschaftspolitik einmal einen Aufsatz gegeben. Also versuche ich eine Antwort auf ihre Frage:

"Es kam vor etwa fünfzig Jahren zu einem friedlichen Aufstand. Feministinnen propagierten Frauenrechte mit dem Ziel der Gleichberechtigung..."

"Mit dem vorgetäuschten Ziel der Gleichberechtigung, ehrenwerter Shachou-Sama!" gibt sie mir ihre Meinung preis. "Über die Erziehung wurden aus Jungen, die Männer werden sollten, Männlein. Bald besetzen die Frauen in Europa alle Schaltstellen der wirtschaftlichen und politischen Macht. Ist das erstrebenswert? Die Menschen werden zu Räderwerken in einer großen Maschinerie, die sich nivellierte Gesellschaft nennt. Diese Maschinerie ist zu ihrem Selbstzweck programmiert, nicht mit der Absicht, dass sie ihren menschlichen 'Bestandteilen' dient. Die Menschen werden gegen ihre Instinkte erzogen, damit sie der Maschinerie dienen..."

Ich nicke. Ihre Beobachtung kann mir bei Verhandlungen mit Europäern sicher einmal hilfreich sein.

*

Dann ist Watanabe-Sans Zeit in Europa zu Ende. Als sie wieder in ihr Gästezimmer in meiner Villa zurückkehren will, lade ich sie nach dem Essen, das wie immer vom Dienstpersonal aufgetragen worden ist, zu einem Spaziergang im Park ein.

Dort sage ich, nachdem wir ein Stück stumm nebeneinander her gegangen sind:

"Kimi no sensu ga suki da -Mir gefällt dein guter Geschmack."

Wir Japaner sprechen Gefühle zumeist indirekt aus. So auch hier.

Watanabe-San wendet sich mir lächelnd zu, schaut mich an und antwortet:

"Anata to issho ni iru to ochitsuku na -Ich fühle mich bei dir geborgen."

Nun fühle ich mich stark genug, Watanabe-San nach ihrem Vornamen zu fragen. Diese Aktion kommt in Japan einem Heiratsantrag gleich.

"Anata no namae wa nanidesu ka-Wie heißt du-?"

Wir sind etwas weitergegangen. Nun wendet sie sich wieder zu mir um und sagt mit weicher Stimme:

"Hiko to moshimasu -Ich heiße Hiko-."

"Watashi no namae wa Daisuke desu -Mein Name ist Daisuke-," antworte ich ihr darauf.

Anschließend nähert sie sich mir, berührt mich mit ihrer Hand an meiner Schulter und unsere Lippen berühren sich. Währenddessen umfasse ich mit meiner Hand ihren Hinterkopf. Danach gehen wir zur Villa zurück, wobei ich ihre Hand halte. Dort angekommen, beauftrage ich das erste Dienstmädchen, das ich sehe, nach der Otetsdai -Haushälterin- zu sehen und sie zu mir in den kleinen Salon zu schicken. Wir gehen auf dem geraden Weg dorthin.

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