Sonntag, 4. August 2024
Eine neue Hoffnung -28
Ich erhebe mich und schaue ihn gequält an. Ashok ist ebenfalls aufgestanden. Er nähert sich mir und umfasst meine Schultern. Dabei flüstert er mir ins Ohr:

"Du fühlst genauso wie ich. Die gesellschaftlichen Konventionen lassen dich deine Gefühle in einen Käfig sperren. Doch sie wollen frei sein. Sie quälen dich und machen dich mit der Zeit seelig krank. Das darfst du nicht zulassen, Leni! Steh' zu deinen Gefühlen!"

Der nächste Tag ist ein Sonntag. Wir liegen dann normalerweise länger im Bett. Dennoch kommt Frau Meyer zur üblichen Uhrzeit in die Wohnung. Ich erhebe mich, ziehe den flauschigen Bademantel über mein Nachthemd und gehe auf leisen Sohlen in die Küche. Frau Meyer ist schon damit beschäftigt, den heutigen Tag kulinarisch vorzubereiten.

"Einen schönen guten Morgen, Frau Mrachartz," begrüßt sie mich.

"Guten Morgen, Frau Meyer," grüße ich zurück, verlegen lächelnd.

"Sie sind schon sehr früh auf den Beinen heute!" wundert sie sich. "Können Sie nicht gut schlafen?"

"Nein, leider," bestätige ich ihre Vermutung. "Ich denke, ich habe momentan zu viele Dinge im Kopf."

Ich bin froh, jetzt gerade jemanden zu haben, dem ich mein Herz ausschütten kann.

"Machen Sie sich Sorgen um Ihre Arbeit?" fragt sie mitfühlend.

"Ich mache mir Sorgen um Ashok," erkläre ich ihr. "Ich fürchte, ich habe ihn verletzt. So richtig weiß ich es nicht. Vielleicht habe ich mich durch meine Worte aber auch selbst verletzt. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich verwirrt."

"Ich bin mir nicht sicher, ob Sie sich dadurch besser fühlen werden, Frau Mrachartz, aber ich bin auch oft verwirrt, wenn es um andere Menschen geht," meint sie.

"Ich möchte, dass er weiß, dass er mir wichtig ist. Ich sorge mich um ihn," sage ich leise, wie im Selbstgespräch.

"Machen Sie sich keine Sorgen um Herrn Gurun, Frau Mrachartz. Er macht auf mich den Eindruck, dass er sehr gut auf sich selbst aufpassen kann."

Ich bedanke mich für die Aufmunterung und lasse mir das Sonntags-Frühstück auf einem Tablett fertig machen, das ich danach in Ashoks Zimmer trage. Nachdem ich die Tür geöffnet habe, finde ich ihn meditierend auf seinem Bett. Soll ich wirklich alle Konventionen über Bord werfen und mich meinen Gefühlen hingeben?

Bei meinem Näherkommen öffnet Ashok die Augen und schaut mich prüfend an.

"Ich habe hier etwas für dich," sage ich mit sanfter Stimme und frage ihn: "Hast du Hunger?"

"Gern, danke dir," antwortet Ashok und lächelt mich an.

Ich setze mich zu ihm auf das Bett, zwischen uns das Tablett.

"Ich habe es mir überlegt," beginne ich. "Wir sind erwachsen und können über unseren Lebensweg selbst entscheiden. Wenn ich in mich hineinhorche, fühle auch ich tiefe Zuneigung für dich. Ja, auch ich sehne mich inzwischen nach deiner Nähe."

Er schaut mich von der anderen Seite des Tabletts an, als wäre ich ein Geist. Seine Augen beginnen zu strahlen, heller als die Sonne, die durch die Gardine ins Zimmer scheint. Unvermittelt schnellt er mit dem Oberkörper über das Tablett auf mich zu. Er kommt auf dem Tablett zu liegen und wirft mich dabei um.

"Ashok!" rufe ich erschrocken aus und lache.

Er umfasst meinen Nacken und verhindert, dass ich vom Bett herunterrutsche. Es folgt ein langer und inniger Kuss. Etwas atemlos in seinen Armen liegend, fordere ich:

"Versprich mir, dass du die buddhistischen Tugenden weiterhin lebst! Sonst würdest du unsere Liebe zerstören!"

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