Dienstag, 28. November 2023
Studentin hilft altem Mann -05-
Ich zögere einen Moment, aber dann willige ich ein. Es ist mir eine besondere Ehre, den Mann zu begleiten und ihm Gesellschaft zu leisten.

'Gleichzeitig kann ich als Kunststudentin davon sicher etwas lernen,' denke ich mir.

Wir steigen in den nächsten Zug der U-Bahn, wobei ich ihm wieder helfe. Drinnen setzen wir uns nebeneinander. Schweigend fahren wir zu unserem Ziel. Als wir die U-Bahn schließlich verlassen, führt mich der Mann in das Gebäude einer nahen Bank. Der alte Mann lässt sich zum Bankdirektor führen. Mit einem Nicken begrüßt er den Manager und dieser führt seine Gäste wortlos hinunter in den großen Tresorraum.

Nachdem uns der Bankdirektor alleingelassen hat, öffnet der alte Mann mit zitternden Händen einen Tresor. Ich helfe ihm, die schwere Tresortür aufschwingen zu lassen. Meine Augen weiten sich und ich keuche auf, als ich den Innenraum überblicken kann.

So etwas habe ich bisher nur auf Bildern in meinen Schulbüchern gesehen, noch nie real. Der Tresor ist mit Gegenständen aus Gold, Silber, Edelsteinen und alten Kisten gefüllt. Meine Aufmerksamkeit erregt jedoch eine wunderschöne kleine Statuette, die auf einem Sockel in der Ecke des Tresorraumes steht.

Der alte Mann beobachtet wohl, dass ich die Statuette länger mustere. Er nähert sich ihr und hebt sie von ihrem Sockel. Danach wendet er sich zu mir um, verbeugt sich und streckt mit die Statuette mit beiden Händen entgegen.

"Sore wa anata nodesu -Das ist für dich-," erklärt er ernsthaft. "Dafür, dass du mir heute einen so großen Dienst erwiesen hast."

Ich bin verblüfft. Habe ich doch nur das getan, was ich für richtig halte, und nun werde ich dafür mit einem wertvollen Erbstück belohnt. Ich spüre, wie mich ein Gefühl der Dankbarkeit überkommt. Ich weiß, dass die Statue viel wert sein muss, aber ihr wahrer Wert liegt in dem Akt der Freundlichkeit. Mich tief verbeugend flüstere ich ergriffen:

"Dômo arigatô gozaimasu -Vielen Dank-. Es ist wunderschön."

"Es ist seit Generationen in meiner Familie," antwortet der alte Mann lächelnd. "Und jetzt gehört es dir."

Nun helfe ich dem alten Mann, den Tresor wieder zu schließen. Danach gehen wir in den Kundenraum der Bank zurück und der alte Mann verabschiedet sich von dem Mitarbeiter. Auf dem Weg zurück zur U-Bahn-Station erkläre ich dem Mann an meiner Seite, dass ich Kunststudentin bin und frage ihn nach seiner Handy-Nummer.

"Vielleicht können Sie mein Mentor während des Studiums sein?" begründe ich meinen Wunsch.

Der Mann ist einverstanden. Also tauschen wir unsere Handy-Nummern. Danach verabschieden wir uns höflich voneinander.

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