Sonntag, 24. April 2022
Lon-Wa-Lha - 23
"Ihr findet in dem umfangreichen Schuhregal auf der Seite sicher ein Paar passende Pantoffel. Wechselt bitte euer Schuhwerk. Das hat den Sinn, dass je nach Witterung draußen der Boden im Inneren nicht zu schmutzig wird."

Das ist einzusehen, also schauen wir nach passenden Pantoffeln. Leider müssen wir mehrere anprobieren, da wir die Größenangaben nicht lesen können. Aber schließlich haben wir die Hürde genommen. Danach führt uns die Frau, die uns eingelassen hat, eine Treppe höher zu einem Zimmer und öffnet uns zwei weitere Türen. Ich erkenne ein Ankleide- und Schminkzimmer, sowie ein Bad mit Toilette.

Die Frau verlässt uns, nur um wenige Minuten später mit Kleidung, wie man sie hier trägt, wiederzukommen. Sie legt sie unter Verbeugungen auf dem Bett ab. Dann dreht sie sich um und verlässt das Zimmer. Patrick setzt gerade zum Sprechen an, als es wieder an die Tür klopft. Diesmal ist es Lea in Begleitung zweier Frauen in schlichter Kleidung. Sie tragen zwei Köfferchen mit sich und legen sie kurzerhand ebenfalls auf das Doppelbett im Raum.

Jetzt sagt Patrick endlich, was er eben schon loswerden wollte:

"Lea, hast du in Cork bei unserem Gespräch nicht gesagt, dass wir hier auch unsere europäische Kleidung tragen dürfen?"

Sie nickt und meint:
"Kleidet euch so, wie ihr euch wohlfühlt! Wenn ihr euch in landestypischer Kleidung kostümiert vorkommt, dann nehmt in europäischer Kleidung am Fest teil. Ich denke ja nicht, dass ihr in Jeans und Tshirt teilnehmen wollt?!"

"Nein!" sagt Patrick und lächelt. "Natürlich haben wir Kleid und Anzug mitgebracht. Wir wollen dich ja nicht blamieren! Ich frage, weil man uns eben dieses Outfit gebracht hat."

Dabei deutet er auf die Garnituren, die die erste Frau eben gebracht hat.

"Hm," macht Lea nun. "Ihr wisst natürlich nicht, wer euch die Kleidung gebracht hat?"

"Es war die Frau, die uns vorhin eingelassen und dann dieses Zimmer zugewiesen hat."

"Dann hat Wangpoo Loden Ngawang, der Herbergswirt von Lon-Wa-Lha, euch ein Gastgeschenk gemacht. Das kann man schlecht zurückweisen. Probiert doch einmal, wie ihr euch in der ungewohnten Kleidung fühlt.
Ich bin übrigens mit den Mägden Kri-Kri und Nima gekommen, um mich bei euch für das Fest zurechtmachen zu lassen."

"Okay," meint Patrick und zuckt mit den Schultern.

Er nimmt ein Outfit auf und reicht es mir. Anschließend greift er die zweite Garnitur und wir verschwinden nebenan im Ankleidezimmer, während Lea sich bis auf die Unterkleidung entkleidet und die jüngere der beiden Frauen einen der Koffer öffnet.

Nachdem wir uns umgezogen haben, gehe ich hinüber zu Lea und finde sie gerade nicht mehr vor. An den Stimmen höre ich aber, dass die Drei im Bad zugange sind. Ich klopfe an die Tür und frage, ob ich hereinkommen darf. Lea sagt etwas, woraufhin die junge Frau in ihrer Begleitung mir die Tür öffnet.

Ich mache große Augen, als ich Lea in ihrem Hochzeitsoutfit sehe. Sie sieht in ihrem weißen Outfit mit den goldfarbenen Borten aus wie eine orientalische Prinzessin. Die junge Frau, die mir die Badtür öffnet, lacht bei meinem Anblick über das ganze Gesicht. Schnell hebt sie die Hand vor den Mund und verbeugt sich tief. Lea hat steile Falten über der Nasenwurzel und sagt wieder etwas in der fremden Sprache.

Danach wendet sie sich an mich:
"Tut mir leid, Mama. So kannst du nicht zum Fest gehen! Zieh das nochmal aus und lass dir von Kri-kri helfen."

Zehn Minuten später bin ich perfekt gekleidet und die ältere der beiden Frauen hilft mir, mich dezent zu schminken. Papa ist im Hauptraum unseres Zimmers und lässt sich derweil dort von Kri-kri in sein Outfit helfen. Als wir fertig sind, schicke ich Kri-kri hinunter in die Halle, um zu schauen, wie weit dort die Vorbereitungen des Festes gediehen sind.

Wenige Minuten später kommt sie zurück und bittet uns, mitzukommen. Es geht den Gang zwischen den Zimmern entlang und die zweite Treppe zum Hinterausgang hinab. Dann führt sie uns zum Karawan-Serail. Dort hat man zwei Sänften zwischen je zwei Yaks befestigt und bunt geschmückt. Ich soll mit Patrick eine Sänfte besteigen. Lea steigt mit den beiden Frauen in die Zweite.

Zwei junge Männer führen nun die Yaks mit uns aus dem Karawan-Serail, im großen Bogen aus dem Ort heraus und wieder zurück zur Herberge. Dieser kleine Rundweg mit der Schaukelei dauert nach meinem Gefühl eine kleine Ewigkeit.

Beim Vordereingang der Herberge angekommen, werden wir von Tashi und seinem Sohn Lobsang in Empfang genommen. Ich habe den Eindruck, dass der ganze Ort auf den Beinen ist, vom Greis bis zum Baby. Dazwischen wuseln Männer in roten Roben herum.

Wir klettern aus den Sänften und werden ins Innere geleitet. Es geht direkt in die Namkha -Halle-, die in den Hauptfarben Gold und Rot geschmückt ist. An der Schmalseite gegenüber dem Eingang thront ein sitzender Buddha, dessen Kopf fast an die Decke stößt. Die Wände der Halle schmücken Wandteppiche mit mythologischen Motiven.

Seitlich und direkt vor dem Buddha stehen Pflanzschalen mit Pflanzen, die man draußen in der Natur antrifft. Die Leute haben sie vorsichtig ausgestochen, geteilt und in die Schalen gepflanzt. Nach dem Fest werden sie wieder an ihren Standort zurückgebracht.

Der Khenchen Lama -Abt- des Klosters am Rand von Lon-Wa-Lha leitet die Zeremonie. Leonie, die Frau von Tashi, dem Wandii -Herrscher/Bürgermeister- von Lon-Wa-Lha, übersetzt uns die Worte ins Englische.

Lea und Lobsang gehen auf den Abt des Klosters in der roten Robe zu. Darunter trägt er ein safrangelbes Gewand und auf dem Kopf hat er eine hohe rote Mütze. Der Mann rezitiert einige heilige Verse, die auf Buddha zurückgehen. Danach sagt er, während Leonie übersetzt:

"Lea O?Sullivan, wirst du den hier anwesenden Lobsang Tenzin Gonpo lieben und erfreuen, ihn und seinen Norbu, sowie eure gemeinsame Heimat ehren und schützen, solange du lebst? Willst du ihm als seine Gefährtin beistehen in guten und schlimmen Zeiten?"

"Ich will!"

"Lobsang Tenzin Gonpo aus Lon-Wa-Lha, wirst du die hier anwesende Lea O?Sullivan lieben, ehren und schützen solange du lebst? Willst du ihr als ihr Gefährte beistehen in guten und schlimmen Zeiten?"

"Ich will!"

"Damit sei der Bund im Beisein der Götter besiegelt!"

Der Abt legt beiden seine Hände auf die Schulter und tritt zurück. Der Wandii tut es dem Khenchen Lama gleich und sagt, während die Gäste klatschen:

"Glück und Segen euch beiden! Ich hoffe, dass sich diese Zeremonie viele Jahre wiederholt!"

Dann klappt der Wandii eine kleine Schatulle auf, aus der Lea und Lobsang die Eheringe entnehmen und ihrem Partner an den Finger stecken. Es sind die gleichen Ringe, die sie schon in Irland genommen haben. Für die Zeremonie haben sie sie kurz in die Schatulle zurückgetan.

Ich sehe Tränen in den Augen der beiden. Sie nicken nur. Lobsangs Vater dreht sie zueinander und sie liegen sich lange in den Armen.

Anschließend treten die Gäste des Festes mit weißen Schals in der Hand vor. Leonie drückt uns ebenfalls je zwei dieser 'Hadas' in die Hand, damit wir auch an der Zeremonie teilnehmen können. Wie es die anderen Gäste tun, legen auch wir dem Brautpaar je einen um den Hals. Danach werden wir an die Tafel geleitet, wo das Brautpaar die Hochzeitstorte anschneidet und jedem ein Stück auf einem Teller anreicht. Während die Gäste essen, geht der Wandii nach vorne und wünscht dem Brautpaar in einer kurzen Rede Glück für die gemeinsame Zukunft. Leonie fordert Patrick nun auf, ebenfalls ein paar Worte an das Brautpaar zu richten.

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