Dienstag, 1. März 2022
Cuiraraill -57-
Sie schreibt mir, dass es Ansichten ihrer neuen Heimat sind, einem Ort namens Cuiraraill. Beim Betrachten der Bilder fällt mir ein, dass solche Häuser in einem Star Wars Film als Kulisse gedient haben. Ich frage Google und erfahre, dass diese Häuser seit elfhundert Jahren auf einer kleinen Insel vor Irlands Küste stehen. Bis vor vierhundert Jahren haben dort Mönche in einer Einsiedelei gelebt.

Lara bietet mir an, bei ihnen zur Ruhe zu kommen und mich gerne einmal umzuschauen. Also suche ich einen Flug von Hamburg nach Dublin heraus, der nicht zu teuer ist, kaufe das Ticket und gebe Lara Bescheid.

In Kerry Airport angekommen treffe ich Lara und ihren irischen Mann hinter dem Sicherheitsbereich. Wir begrüßen uns herzlich und ich muss gleich zu Beginn feststellen, einerseits wie innig das Verhältnis der Beiden zueinander ist, andererseits wie aufmerksam und hilfsbereit ihr Mann ist.

Er schlägt vor, dass wir uns erst einmal im Flughafen-Restaurant stärken. Eamon, wie ihr Mann - typisch irisch - heißt, hält sich beim Essen zurück und lässt Lara und mich in der Vergangenheit schwelgen. Nebenbei stelle ich fest, dass Laras Mann sie immer mit Alainn anspricht. Auf meine neugierige Frage hin, erklärt sie mir, dass 'Alainn' in Irisch die gleiche Bedeutung hat wie 'Lara', nämlich 'schön'. Als wir das Restaurant verlassen ist es kurz vor zwanzig Uhr.

Alainn schaut ihren Mann an, und der schlägt nun einen Kinobesuch vor. Ich wundere mich zwar, dass beide es nicht so eilig haben zu diesem Cuiraraill aufzubrechen, aber ich lasse mich gern treiben. Schließlich will ich mich hier in Irland erholen. Alainns Mann kauft Kinokarten und wir schauen uns einen Film an, der gerade beginnt, als wir uns setzen. Werbung und Vorfilm haben wir durch das Essen erfreulicherweise verpasst.

Nach dem Film, draußen ist es schon stockdunkel, bestellt Eamon ein Taxi. Damit fahren wir vor die Stadt. Alainns Mann lässt das Taxi an einer Viehweide stoppen. Wir steigen aus und ich schaue mich um. Wir gehen ein Stück, während Eamon mit einer Taschenlampe leuchtet. Dann öffnet er ein Gatter und lässt uns auf das feuchte Gras treten.

Ich schaue die Beiden fragend an, aber Eamon lächelt nur wissend, und Alainn fasst mich leicht am Oberarm. Sie meint:

"Gleich werden wir von hier abgeholt."

Wir warten nur wenige Minuten auf der Wiese, dann erfüllt ein Brausen die Luft. Es hört sich an, als nähere sich ein Hubschrauber. Alainns Mann ist zwar Bürgermeister von Cuiraraill, aber dass so ein kleiner Verwaltungsmensch und Politiker sich einen Hubschrauber leisten kann - und dann noch für Privatflüge - ist mir neu...

Das Fluggerät kommt senkrecht herunter, leuchtet die Wiese aus und landet ein Stück neben uns. Ein Hubschrauber sieht eigentlich anders aus. Was ist das hier? Mein Gesicht drückt großes Erstaunen aus. Ich frage:

"Wir fliegen das restliche Stück mit diesem... diesem Hubschrauber?"

Alainn nickt mir lächelnd zu. Sie sagt:
"Wir sind zwar weltweit vernetzt, dennoch immer noch eine Subkultur."

Ich komme gerade noch dazu, ihre mysteriöse Erklärung mit einem "Aha..." zu kommentieren, dann fesselt mich das weitere Geschehen. An diesem 'Hubschrauber' wird die Cockpitverglasung zurückgeschoben und eine Leiter außen befestigt. Danach steigt der Pilot zu uns herab. Er kümmert sich um mein Gepäck und verstaut es hinter den Sitzen. Dann klettern wir an Bord. Eamon nimmt neben dem Piloten Platz und wir setzen uns auf die beiden Sitze dahinter. Der Pilot holt nun die Leiter herein, setzt sich und schließt die Cockpitverglasung. Dabei hilft Eamon ihm.

Dann fährt der Pilot den Antrieb hoch und wir heben ab. Es dauert jetzt noch eine Stunde im Tiefflug, bis der Pilot in den Sinkflug übergeht. Ich habe dabei das Gefühl, in einem Expressfahrstuhl zu sitzen. Die Sterne des Nachthimmels verschwinden und machen einer undurchdringlichen Schwärze Platz. Nach kurzer Zeit sehe ich ein hell erleuchtetes Viereck vor uns, auf das der Pilot nun zusteuert. Drinnen setzt er auf und lässt den Antrieb auslaufen.

"So, hier wir sind!" sagt Eamon in seinem unvergleichlichen Deutsch und dreht sich lächelnd zu mir um.

Wir steigen aus und Eamon führt uns zu einem Aufzug. Nach einer kurzen Fahrt erreichen wir ein Tunnelsystem. Immer wieder gibt es an den Wänden Schaufenster, in denen Bauern und Handwerker für ihre Produkte werben.

Wir folgen Eamon und stehen bald vor einer Tür, die er aufschließt. Dahinter befindet sich ein Treppenhaus, über das wir in die nächsten Etagen gelangen.

Im Obergeschoß angekommen, zeigt er mir mein Gästezimmer und das Bad. Er deutet auf die restlichen Türen in dieser Etage und erklärt mir, dass dort die Privaträume liegen. Er wünscht mir eine gute Nacht und lässt mich allein.

Ich habe keinen Elan mehr, meinen Koffer auszupacken. Nur mein Nachtzeug nehme ich heraus und die Tasche mit dem Zahnputzzeug. Danach mache ich mich zum Schlafen fertig und lasse mich in das wunderbar weiche Bett fallen.

Am nächsten Morgen mag ich gar nicht aufstehen. Ich muss Alainn einmal nach dem Matratzen-Hersteller fragen, nehme ich mir vor. Es muss schon Vormittag sein, als jemand an die Tür klopft. Ich ziehe die Bettdecke bis zum Kinn und rufe:

"Herein!"

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