Montag, 30. September 2024
Namasté -07
Der LKW holpert nun schon seit ein paar Stunden auf der unebenen Sandpiste seinem Ziel entgegen. Stocksteif sitze ich auf dem Beifahrersitz, halte mich beidhändig an der Sitzfläche fest und starre durch die verdreckte Windschutzscheibe. Der Fahrer wirft mir immer wieder verstohlene Blicke zu. Alle paar Minuten wendet er leicht den Kopf von der Straße ab, um mich fragend anzuschauen.

Ich kann mir denken, welche Frage in seinem Kopf herumgeistert.

'Was macht eine junge Frau alleine, ohne Mann, hier in dieser Gegend?'

Ich schweige und seufze innerlich von Zeit zu Zeit. Es ist schon gegen Mittag, als ich vor uns die ersten Hütten erkennen kann. Nur noch ein paar Minuten und ich werde da sein. Der Gedanke, bald wieder ‚zuhause‘ zu sein, weckt gemischte Gefühle in mir. Auf der einen Seite freue ich mich darauf Mataji und meine Geschwister wieder zu sehen, sie in die Arme zu schließen und wieder mit ihnen lachen zu können. Gleichzeitig steigt in mir eine unbestimmte Furcht hoch. Furcht vor den Blicken, die Pitaji und die anderen mir sicher zuwerfen werden.

Meine Gedanken fahren Karussell:
'Werde ich Abneigung in ihren Augen vorfinden? Schließlich bin ich vor vielen Jahren aus unserem Dorf geflohen. Oder wird eher Erstaunen und eventuell sogar Bewunderung in ihren Augen zu sehen sein?
Nein, Bewunderung bestimmt nicht. Wahrscheinlich wird es eine Mischung aus Abneigung und Erstaunen sein. Oder doch eher Verachtung und Hass? Ach, warum zerbreche ich mir überhaupt den Kopf darüber?'

Plötzlich hält der LKW mit einem Ruck, so dass ich beinahe gegen die Windschutzscheibe vor mir gestoßen wäre.

"Hier muss ich halten," erklärt der Fahrer einfach, ohne mich dabei anzuschauen.

Ich hebe die gefalteten Hände, bedanke mich und steige aus. Meine Kleidung besteht nicht aus einem Sari, sondern ich trage Rock und Bluse - europäische Kleidung eben.

Hinten am Laster stehen bereits einige Arbeiter aus dem Dorf. Sie halten respektvollen Abstand, als die Ladefläche langsam hochfährt und den Bauschutt durch Kippen entlädt. Als ich die Tür des LKWs zuschlage, heben einige den Kopf und schauen sich anschließend verwirrt an.

"Wer da wohl gekommen ist?" höre ich jemand fragen.

"Vielleicht ein neuer Aufseher," vermutet ein anderer.

"Oder jemand, der die Qualität unserer Arbeit kontrollieren soll," spekuliert jemand anderes.

Als ich in das grelle Licht der Mittagssonne trete, halten viele verwundert den Atem an.

"Eine Frau!" flüstert ein Junge, der als Erster seine Sprache wiedergefunden hat.

Verlegen schaue ich weg.

"Hey, was soll das?! Warum steht ihr hier herum? An die Arbeit mit euch!"

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