Mittwoch, 26. Juni 2024
Eine neue Hoffnung -15
Er erhebt sich wieder, bedankt sich lächelnd und setzt sich mir gegenüber in den Sessel. Ich setze mich auf meine Couch, nehme die Beine hoch und frage ihn neugierig:

"Jetzt erzähle mal. Was ist damals zuerst geschehen, als wir mit dem Bus weggefahren sind?"

Mit einem Mal fällt mir ein Faux Pas auf. Sofort frage ich:

"Oh, was magst du denn trinken?"

"Gerne Wasser oder Tee," bestellt er und beginnt: "Als euer Bus das Dorf verlassen hat, ist der Sadhu auch aufgebrochen und ich bin ihm gefolgt. Wir sind von Dorf zu Dorf gewandert, wo der Sadhu über Siddharta Gautama und seine Lehre geredet hat. Ich habe sie inzwischen verinnerlicht. Bevor ich in Richtung Sonnenuntergang aufgebrochen bin, hat er mich auch zum Sadhu geweiht, weil ich alles gelernt habe, was auch er weiß."

"Das muss aber eine entbehrungsreiche Reise gewesen sein," stelle ich fest.

"Das macht nichts. Das bin ich gewohnt," antwortet er mir und lächelt mich an.

Nun erinnere ich mich an mein Vorhaben heute Abend und erkläre meinen Besuch:

"Ich komme gerade von der Arbeit und möchte duschen! Ich hoffe, es macht dir nichts aus."

Er meint mit beruhigender Stimme:
"Fühl' dich wie zuhause, Leni. Meine Anwesenheit soll auf dich nicht störend wirken!"

Ich muss lächeln und erhebe mich. Nachdem ich die Badezimmertür hinter mir geschlossen habe, fühle ich mich erleichtert. Dennoch bin ich verwirrt und in meinem Kopf dreht sich alles. Ich lehne mich mit dem Rücken an das Türblatt.

Ashok, der Junge aus Nepal, der in mir einen Engel oder Elfe vermutet hat, dieser witzige kleine Kerl ist in Gestalt eines jungen Mannes zu mir gekommen. Er ist ein Wandermönch geworden und hat dann den Weg nach Europa eingeschlagen. Ich habe ihm damals gesagt, in welcher Stadt ich wohne. Nun haben wir uns tatsächlich wieder getroffen. Ob das ein Fingerzeig ist?
Ich löse mich von der Tür und entkleide mich, um unter die Dusche zu gehen. Dort hoffe ich, klarere Gedanken zu finden.

Das warme Wasser durchfeuchtet mein Haar, läuft über meine Schultern und Rücken. Unwillkürlich streichele ich zart über meine Brust. Nachdem ich die Ausbildung beendet habe und einige Jahre Papas Stellvertreterin in seiner Firma gewesen bin, sehne ich mich nach Liebe, nach einem jungen Mann, der genauso für mich empfindet, wie ich für ihn. Bisher ist es nie zu einer Beziehung mit einem Mann gekommen. Auch heute, der Besuch im Club, hat diesen Hintergedanken. Aber ich bin nicht die Schnelle, ich muss Vertrauen können, und das braucht seine Zeit.

Eine Stimme in meinem Inneren flüstert mir gerade zu: 'Nutze die Gelegenheit!' Ich schüttele den Kopf, trockne mich ab und husche ins Schlafzimmer. Dort wähle ich ein hautenges Schlauchkleid mit Spaghettiträgern. Dazu werde ich mir später eine Stola über die Schultern legen. Dann gehe ich wieder zu Ashok ins Wohnzimmer zurück.

"Magst du mitkommen?" frage ich Ashok. "Ich weiß zwar nicht, ob dir die Musik dort gefällt..."

"Gern," antwortet er lächelnd.

Ich werfe mir in der Garderobe noch die Stola über die Schultern, dann gehen wir zu meinem Wagen. Eine Viertelstunde danach parke ich vor dem Club und führe Ashok hinein. Wir werden erst einmal von den Anwesenden an der Bar neugierig beäugt. Ashok sieht vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig aus. Seine Aufmachung ist nicht gerade en vogue und dann das gelbe T-Shirt... Eingeweihte erkennen darin vielleicht den Sadhu, in Verbindung mit Haut- und Haarfarbe. Aber so tief geht die Erkenntnis der Leute hier nicht. Kurz darauf drehen sie sich wieder um, nehmen die unterbrochene Unterhaltung miteinander wieder auf oder widmen sich ihrem Getränk.

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