Dienstag, 11. Juni 2024
Eine neue Hoffnung -10
"Warum fragst du, Ashok?"

"Ja, zum einen habe ich früher oft bei kindlichen Streitereien den Kürzeren gezogen. Das Gefühl der Ohnmacht sitzt tief. Zum anderen mag ich nicht so schnell sterben, wenn sich mir Bewaffnete in den Weg stellen."

"Du darfst dich nur verteidigen, Ashok! Denke immer daran! Etwas anderes ist es, wenn du eine hilflose Person antriffst, der ein Bewaffneter das Leben nehmen will. Hier musst du abwägen. Stirbt die hilflose Person, wird sie wiedergeboren. Der Tod hat seinen Schrecken verloren! Bist du dir aber sicher, die hilflose Person retten zu können ohne dabei selbst zu sterben, darfst du sie verteidigen."

"Und wie geht das, diese Verteidigung? Klappt das auch, wenn der andere ein Messer hat?"

"Wenn das Überraschungsmoment auf deiner Seite ist, klappt das auch, wenn der Andere bewaffnet ist. Du musst eben zuerst danach trachten, ihn zu entwaffnen, um ein Gleichgewicht herzustellen."

Meine Gegner in der Kindheit sind eigentlich nie bewaffnet gewesen. Sie sind entweder kräftiger gewesen oder flinker als ich. Ehe ich weitere Fragen in dieser Richtung stellen kann, redet Babaji weiter:

"Die Lebensregeln der Anhänger Buddhas sind in einem achtfachen Pfad zusammengefasst. Befolgen die Menschen sie genau, so überwinden sie die Habgier und können zur wahren Erkenntnis aller Dinge gelangen. Sie führen den Menschen auf einen Mittelweg zwischen einem Leben in Luxus und einem Leben des Verzichts. Willst du allerdings ein Sadhu werden, sollte dir der Verzicht zur Lebensaufgabe werden, mera beta -mein Sohn-."

"Der achtfache Pfad? Davon habe ich noch nie gehört. Was besagt er, Babaji -Vater-?"

"Erstens, bemühe dich um Weisheit und verhalte dich immer richtig. Zweitens, sei gütig und friedfertig. Drittens, lüge niemals. Viertens, tue keinem Lebewesen Böses an und stehle nicht. Fünftens, schade niemandem und zerstöre die Natur nicht. Sechstens, gib dir Mühe und erfülle deine Pflichten. Siebtens, sei achtsam, denke und handele stets besonnen. Und schließlich achtens, konzentriere dich, denke nach und meditiere."

Ich höre Babaji aufmerksam zu und werde sprachlos dabei. Erst nach einer ganzen Weile antworte ich mit hängendem Kopf:

"Das sind schwierige Regeln, Babaji!"

Der heilige Mann schaut mich von der Seite an und meint:

"Sei nicht so schnell entmutigt, Ashok! Alles braucht seine Zeit. Du bist ja auch erst seit heute mein Shiyshya -Schüler-. Denke dich einmal fünf oder zehn Jahre weiter! Dann hast du diese Regeln verinnerlicht und lebst sie. Menschen sind nun einmal nicht perfekt! Aber sie müssen perfekt werden wollen, dann schaffen sie vieles."

Sehr bald nach unserem Aufbruch habe ich von Babaji einen eigenen Stock bekommen, mit dessen Hilfe das Gehen nicht so ermüdend ist. Er hat mir irgendwann von einer Selbstverteidigungstechnik erzählt, die er ‚Kalaripayattu‘ nennt. Sie ist aus der genauen Beobachtung unserer wilden Brüder und Schwestern in der Natur entstanden. Wie sich Vögel, Raubtiere und ihre Beute verhalten, haben unsere Vorfahren nachgeahmt und daraus Griffe und Bewegungen entwickelt, mit oder ohne Stock oder andere Hilfsmittel.

Die Zeit vergeht so schnell. Nun ziehe ich schon zwei Jahre mit Babaji durch das Land und wir bringen den Menschen Buddhas Lehre nahe. Ich bemühe mich, in meinem Verhalten Babaji nachzueifern und ihm kleine Dienste zu erweisen, die ihm das Leben leichter machen.

Er bringt mir den Dharma, die Lehren Buddhas, auf mündlichem Wege bei. Allmählich trage ich sie in meinem Herzen und in meinem Geist. Sie geben mir eine gewisse mentale Stärke, Gelassenheit und Geduld im Alltag.

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