Montag, 25. Dezember 2023
Neferet -die Schöne- 01
Mein Vater Sennefer, der Schreiber in unserer Stadt, hat dem Gelehrten Achti-Aa -großer Waldrapp- viel Geld gezahlt, damit ich seine Schülerin sein kann. Mit mir unterrichtet Achti-Aa noch fünf weitere Schüler. Außer mir ist darunter nur noch eine weitere junge Frau. Wir lernen die Bilderschrift auf Papyrus und ihre in Stein gemeißelte Entsprechung. Daneben erlernen wir auch die schnelle Schrift für längere Texte.

Achti-Aa erklärt uns, dass die Schriften schon seit etwa 2500 Sommern geschrieben werden. Anfangs hat man damit Listen von Ernteerträgen und Haustieren geführt, um die Höhe des Zehnten zu ermitteln. Später hat man auch die Lebensgeschichten der Per-Aa -großes Haus, Palast, Herrscher- niedergeschrieben.

Gelehrte haben begonnen, ihre Erkenntnisse für die Nachwelt aufzuschreiben und Geschichtsschreiber haben bestimmte Geschichten über benachbarte Völker und deren Wechselwirkungen mit den Remetju Kemet -Menschen der schwarzen Erde, Ägypter- niedergeschrieben. So weiß man heute über Vieles besser Bescheid, als wenn die Erkenntnisse nur mündlich weitergegeben werden. Vor der Nutzung der Schrift ist das jedenfalls noch so gewesen.

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Wieder einmal bin ich am Morgen erwacht, habe mein langes enggeschnittenes Kleid angelegt und bin in die Halle gegangen. Ich habe meine Eltern begrüßt und mich zur 'Mundwaschung' -Frühstück- gesetzt. Die Bediensteten haben zuerst Wasser gereicht, mit dem wir vor der Mahlzeit rituell den Mund ausspülen. Danach sprechen wir dem dargereichten Angebot an Brot, Erdmandeln und Feigen zu.

Anschließend verabschiede ich mich von meinen Eltern und gehe zum Haus des Gelehrten Achti-Aa. Da der Tag gutes Wetter verspricht, verlegt Achti-Aa seine Lehrstunden vor das Haus.

Heute bringt er uns die Geschichte der Hu-Aa -große Sphinx- nahe. Er erklärt, dass die Chasut -rote Wüste- vor vielen tausend Sommern eine grüne Steppe mit einzelnen Bauminseln gewesen sei. Die Remetju -Menschen- sind durch das Land gezogen und haben ihre Nahrung gejagt.

"Das sei zur Zep Tepi -Ersten Zeit- gewesen," hat er uns aus Papyri vorgelesen, "dem goldenen Zeitalter als die Götter über Kemet -schwarze Erde, Ägypten- regiert haben. Dann wurde die Landschaft immer trockener. Nur noch einzelne Vegetationsinseln sind zurückgeblieben, die auch immer kleiner wurden.
In den Seen dieser Vegetationsinseln leben oft Krokodile. Die Löwen, die die grüne Steppe früher durchstreift haben, wurden immer aggressiver. Um sie zu bannen, hat man in dem Tal des Iteru-Aa -großer Fluss-, der die Chasut -rotes Land- jetzt durchschneidet, aus einem Felsen diesen Hu-Aa -großen sitzenden Löwen- herausgearbeitet.
Die Menschen haben sich eine Verwaltung gegeben, nachdem sie bemerkt haben, dass in der Kemet -schwarzen Erde, Nilschlamm- Getreide und andere Pflanzen sehr gut wachsen. Diesen Verwaltungen haben Häuptlinge vorgestanden und alles organisiert. Im Laufe der Jahre haben einige Häuptlinge diese kleinen Gebiete vereint und sich Nesut -König- genannt.
Es hat sich eine Priesterschaft gebildet und die Beschneidung der Männer aus Gründen der Reinheit wurde durchgesetzt. Als Zeitpunkt hat man die Geschlechtsreife der Männer festgelegt.
Schließlich sind daraus die Reiche von Ober- und Unterägypten entstanden. Kasch -Oberägypten- wurde von Menes, dem König von Unterägypten, erobert und seitdem gibt es nur noch ein Kemet. Der König wohnt in einem Per-Aa -großem Haus, da er viele Angestellte braucht, um Kemet zu regieren. Mit der Zeit hat sich dieser Begriff auf den Herrscher übertragen. Seitdem nennt man den Herrscher Per-Aa -Pharao-.
Die Statue des Hu-Aa hat, durch die Herausarbeitung aus einem Felsenhügel, nun in einer Senke gestanden. Diese ist von den Sandstürmen zugeweht worden und der Kopf, der über die Ebene herausragt, wurde in den Jahrtausenden vom Sand abgeschliffen. Vor 1500 Jahren hat der damalige Per-Aa Khafra – Pharao Chefren- die Statue des Hu-Aa restauriert und ihr seinen Kopf gegeben."

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