... newer stories
Sonntag, 8. Mai 2022
Lon-Wa-Lha - 30
hermann-jpmt, 11:44h
Die Frau im Spiegel erscheint mir wie etwas Schönes, das an einen fremden Strand gespült worden ist. Sie wirkt wie aus einer anderen Zeit. Mit ihren Hormonen und ihrer Schönheit, ihrem Begehren wirkt sie auf mich wie eine Fremde. Da steht sie in einer Welt, die ihrer tiefsten Natur fremd ist. Wie allein und ohne Beschützer, wie frustriert, wie unerfüllt und trübsinnig die Frau im Spiegel doch in ihrem tiefsten Inneren ist.
Ich schließe meine Augen und spüre die Seide auf meiner Haut. Es ist fast nichts, nur wenig mehr als ein Flüstern oder ein Hauch. Spontan drücke ich den Saum gegen meinen Körper, damit ich den Stoff deutlicher spüre, damit ich deutlicher spüre, dass ich bekleidet bin. Das kann mich natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, welch skandalös durchsichtiges Kleidungsstück das ist, wie es mich sanft und durchsichtig umschließt und wie es meine Schönheit preisgibt.
Ich sehe wieder in den Spiegel. Noch nie habe ich mich so gesehen. Im Spiegel steht eine andere Frau als die, die in der Welt draußen bekannt ist. Was ist das für ein Stoff, den sie da trägt? Es ist zu weiblich, zu feminin. Wie könnte sie in einem solchen Kleidungsstück einem Mann gegenüber gleichberechtigt sein? Es würde ihm sofort klar machen, dass sie es nicht ist. Wie könnte sie in diesem Gewand ihre Würde bewahren?
Es ist die Art von Kleidung, in der ein Mann eine Frau gern sehen würde. Ich stehe in meinem Schlafzimmer, betrachtete mich in der Spiegeltür und bin beschämt, gedemütigt und sehr erregt. Aber: Träumt nicht jede Frau davon, als Frau begehrt zu werden, statt gleichberechtigter Partner, Freund, Kumpel, Kollege zu sein?
Es muss nur der richtige Mann kommen, bei dem sie ihre Emotionen leben kann. Irgendwo muss es solche Männer geben! Irgendwo in der Natur muss es einen Grund für sie geben, so wie der Grund der Schwänzeltänze der Bienen im Duft der Blumen liegt, so wie es einen Grund für die Wanderungen der Fische und der Vögel, für das Ausschwärmen der Insekten gibt. Es muss einen Grund geben für meine Gefühle, jenseits allen Leugnens, aller gesellschaftlichen und erzieherischen Schranken und rationaler Meinungen.
Am nächsten Tag bringe ich die Seide ins Büro. Es erntet "Oh's" und "Ah's" und einige Mitarbeiter lassen den Stoff durch die Hände gleiten und verweilen länger als gewöhnlich, sichtlich tagträumend bei der Schaufensterpuppe. Eine kleine Kollektion wird hergestellt. Die großen Handelskonzerne winken ab. Ich finde eine Anzahl kleiner Boutiquen, deren Chefinnen begeistert sind. Es ist wie eine Initialzündung für mein Designerbüro. Zum Dank erhalte ich mehr Entscheidungsbefugnisse. Aber in meinem Innersten bin ich unzufrieden, unglücklich. Meinen Prototyp habe ich wieder mit nach Hause genommen.
Ich sehe mir die Frau im Spiegel wieder an. Sie ist schön, wie sie da in ihrer kurzen Seide steht. Bei dem Gedanken, dass ich nicht in einer anderen Zeit geboren bin, nicht im Ägypten der Pharaonen oder in Athen oder Rom, werde ich traurig. Dann verbanne ich diese Gedanken aus meinem Kopf. Ich erkenne, dass die Erklärung für meine Begierden, für die mysteriösen Dinge in mir, die so unterschiedlich zu dem sind, was mir beigebracht worden war, wohl das Erbe meines Geschlechts sind. Wenn ich an einem anderen Platz auf der Erde leben würde, könnte ich vielleicht Erfüllung in meiner Weiblichkeit finden, die mir in meiner gegenwärtigen Umwelt versagt bleibt, dieser neurotischen, anonymen Welt, die der Individualität und Liebe feindlich gegenübersteht.
"Freue dich, Beven, dass es Männer wie die in deinen Träumen nicht gibt, wegen ihrer Macht über dich und weil du in ihren Armen unbeschreiblich schwach werden würdest," beginne ich ein Zwiegespräch mit meinem Spiegelbild. "Sie würden mit dir machen, was sie wollen. Was würde aus dir werden? Du weißt es schon in deinem Herzen und weißt es sehr gut, du kleine, liebliche Heuchlerin, die du schon bist!"
Die Frau im Spiegel schaut mich erschreckt an. Dann macht sie einen Schmollmund und wirkt ärgerlich.
"Ist das etwa nicht wahr?" fordere ich mein Spiegelbild heraus. "Hast du nicht immer noch zu viel an?"
Ich ziehe die Seide aus und beobachte mich weiter im Spiegel.
"Du kannst jetzt tanzen," sage ich zu meinem Spiegelbild. Es sieht mich trotzig an.
"Du willst tanzen," sage ich, "also tanze."
Ich beobachte, wie mein Spiegelbild beginnt sich zu bewegen.
"Wer bist du?" frage ich. "Wer brachte dir bei, dich so zu bewegen? Woher kommst du? Kannst du wirklich Beven sein? Du bist nicht die Beven, die ich bis jetzt kannte. Bist du ich? Sind wir die Gleiche? Bestimmt kann das nicht ich sein! Niemand zeigte mir solch einen Tanz! Hat solch ein Tanz die ganze Zeit in mir geschlummert? Können wir dieselbe sein? Das kann nicht sein! Ich muss damit aufhören! Du bist die Beven, die ich verstecken muss; die Beven, der ich um keinen Preis erlauben kann, gesehen oder auch nur erahnt zu werden! Und doch bist du mein wahres Ich. Ich weiß das! Also muss ich mein wahres Ich verleugnen und verstecken!"
Ich schließe meine Augen und spüre die Seide auf meiner Haut. Es ist fast nichts, nur wenig mehr als ein Flüstern oder ein Hauch. Spontan drücke ich den Saum gegen meinen Körper, damit ich den Stoff deutlicher spüre, damit ich deutlicher spüre, dass ich bekleidet bin. Das kann mich natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, welch skandalös durchsichtiges Kleidungsstück das ist, wie es mich sanft und durchsichtig umschließt und wie es meine Schönheit preisgibt.
Ich sehe wieder in den Spiegel. Noch nie habe ich mich so gesehen. Im Spiegel steht eine andere Frau als die, die in der Welt draußen bekannt ist. Was ist das für ein Stoff, den sie da trägt? Es ist zu weiblich, zu feminin. Wie könnte sie in einem solchen Kleidungsstück einem Mann gegenüber gleichberechtigt sein? Es würde ihm sofort klar machen, dass sie es nicht ist. Wie könnte sie in diesem Gewand ihre Würde bewahren?
Es ist die Art von Kleidung, in der ein Mann eine Frau gern sehen würde. Ich stehe in meinem Schlafzimmer, betrachtete mich in der Spiegeltür und bin beschämt, gedemütigt und sehr erregt. Aber: Träumt nicht jede Frau davon, als Frau begehrt zu werden, statt gleichberechtigter Partner, Freund, Kumpel, Kollege zu sein?
Es muss nur der richtige Mann kommen, bei dem sie ihre Emotionen leben kann. Irgendwo muss es solche Männer geben! Irgendwo in der Natur muss es einen Grund für sie geben, so wie der Grund der Schwänzeltänze der Bienen im Duft der Blumen liegt, so wie es einen Grund für die Wanderungen der Fische und der Vögel, für das Ausschwärmen der Insekten gibt. Es muss einen Grund geben für meine Gefühle, jenseits allen Leugnens, aller gesellschaftlichen und erzieherischen Schranken und rationaler Meinungen.
Am nächsten Tag bringe ich die Seide ins Büro. Es erntet "Oh's" und "Ah's" und einige Mitarbeiter lassen den Stoff durch die Hände gleiten und verweilen länger als gewöhnlich, sichtlich tagträumend bei der Schaufensterpuppe. Eine kleine Kollektion wird hergestellt. Die großen Handelskonzerne winken ab. Ich finde eine Anzahl kleiner Boutiquen, deren Chefinnen begeistert sind. Es ist wie eine Initialzündung für mein Designerbüro. Zum Dank erhalte ich mehr Entscheidungsbefugnisse. Aber in meinem Innersten bin ich unzufrieden, unglücklich. Meinen Prototyp habe ich wieder mit nach Hause genommen.
Ich sehe mir die Frau im Spiegel wieder an. Sie ist schön, wie sie da in ihrer kurzen Seide steht. Bei dem Gedanken, dass ich nicht in einer anderen Zeit geboren bin, nicht im Ägypten der Pharaonen oder in Athen oder Rom, werde ich traurig. Dann verbanne ich diese Gedanken aus meinem Kopf. Ich erkenne, dass die Erklärung für meine Begierden, für die mysteriösen Dinge in mir, die so unterschiedlich zu dem sind, was mir beigebracht worden war, wohl das Erbe meines Geschlechts sind. Wenn ich an einem anderen Platz auf der Erde leben würde, könnte ich vielleicht Erfüllung in meiner Weiblichkeit finden, die mir in meiner gegenwärtigen Umwelt versagt bleibt, dieser neurotischen, anonymen Welt, die der Individualität und Liebe feindlich gegenübersteht.
"Freue dich, Beven, dass es Männer wie die in deinen Träumen nicht gibt, wegen ihrer Macht über dich und weil du in ihren Armen unbeschreiblich schwach werden würdest," beginne ich ein Zwiegespräch mit meinem Spiegelbild. "Sie würden mit dir machen, was sie wollen. Was würde aus dir werden? Du weißt es schon in deinem Herzen und weißt es sehr gut, du kleine, liebliche Heuchlerin, die du schon bist!"
Die Frau im Spiegel schaut mich erschreckt an. Dann macht sie einen Schmollmund und wirkt ärgerlich.
"Ist das etwa nicht wahr?" fordere ich mein Spiegelbild heraus. "Hast du nicht immer noch zu viel an?"
Ich ziehe die Seide aus und beobachte mich weiter im Spiegel.
"Du kannst jetzt tanzen," sage ich zu meinem Spiegelbild. Es sieht mich trotzig an.
"Du willst tanzen," sage ich, "also tanze."
Ich beobachte, wie mein Spiegelbild beginnt sich zu bewegen.
"Wer bist du?" frage ich. "Wer brachte dir bei, dich so zu bewegen? Woher kommst du? Kannst du wirklich Beven sein? Du bist nicht die Beven, die ich bis jetzt kannte. Bist du ich? Sind wir die Gleiche? Bestimmt kann das nicht ich sein! Niemand zeigte mir solch einen Tanz! Hat solch ein Tanz die ganze Zeit in mir geschlummert? Können wir dieselbe sein? Das kann nicht sein! Ich muss damit aufhören! Du bist die Beven, die ich verstecken muss; die Beven, der ich um keinen Preis erlauben kann, gesehen oder auch nur erahnt zu werden! Und doch bist du mein wahres Ich. Ich weiß das! Also muss ich mein wahres Ich verleugnen und verstecken!"
... link (0 Kommentare) ... comment
... older stories