Sonntag, 10. April 2022
Lon-Wa-Lha - 15
Draußen ist es lange dunkel, als Kri-kri den Sprachkurs für heute beendet. Wir haben zwischendurch gegessen. Nun zieht sie sich in ihre Kammer zurück, während ich in Lobsangs Büro nach irischen Büchern schaue. Aber ich finde nur Fachbücher, die er wohl im Studium genutzt und jetzt zum Nachschlagen in die Regale sortiert hat. Alles andere ist in fremder Schrift geschrieben.

Also gehe ich ins Schlafzimmer und schaue mich dort eingehender um. Dabei fällt mir ein dreiflügeliger Klappspiegel auf, auf dessen Rahmen rundum ein goldener chinesischer Drachen angebracht ist. Ich klappe ihn auf und besehe mich neugierig im Spiegel.

Dabei lächele ich mein Spiegelbild an. Eigentlich bin ich doch glücklich, bei Lobsang zu sein, denke ich mir. Ich nehme mir vor, mich bei Semesterbeginn nach einem Sprachkurs zu erkundigen und Lobsang in einem halben Jahr mit ersten kleinen Sätzen in seiner Sprache zu erfreuen. Dann ziehe ich mein Nachtgewand an, drehe mich noch einmal vor dem Spiegel und gehe zu Bett.

Aber ich kann noch nicht schlafen. Sehnsucht nach Lobsang erfüllt mich - oder wenigstens eine vertraute Stimme hören! Also stehe ich noch einmal auf und suche in meinen Sachen hinter dem Paravent nach meinem Handy. Ich muss jedoch feststellen, dass ich hier keinen Empfang habe. Also nehme ich mir meinen MP3-Player, setze das Headset auf und höre meine Musik, während ich den Flammen im Kamin zuschaue, den Kri-kri eben noch versorgt hat, bevor sie in ihr Zimmer gegangen ist.

Nicht lange danach öffnet sich leise die Schlafzimmertür und Lobi tritt ein. Ich bemerke es erst, als er die Vorhänge des Bettes bewegt und lächele ihm entgegen. Nun lege ich den MP3-Player auf die Seite und wickele das Kabel des Headsets auf, während er sich entkleidet und zu mir kommt.

"Hallo Liebling, du schläfst noch nicht?" begrüßt er mich und küsst mich leidenschaftlich.

"Liebster, dich so nah zu wissen und doch nicht bei mir zu haben, lässt mich einfach nicht schlafen."

"Ein Mann hat in meiner Heimat oftmals Pflichttermine ohne seine Frau, mein Engel. Aber auch ich muss mal Empfänge geben und Feste ausrichten, die du dann im Hintergrund leitest und so zum Gelingen beiträgst."

"Die drei K?s, von denen meine Uroma in meiner Kindheit öfter gesprochen hat? Küche, Keller, Kinder..."

"Das stimmt schon, Liebes. Aber zum einen hast du Personal, zum anderen lasse ich dir viele Freiheiten, solange du dich nach außen angepasst verhältst. Ich kann mich nicht gegen die Sitten und Gebräuche meiner Heimat stellen, ohne mich hier unmöglich zu machen. Und verlange bitte nicht, dass ich das hier aufgebe, um mit dir in Irland zu leben.
Stattdessen schau dir in den nächsten Wochen das Leben als freie Frau an - im europäischen Mittelalter hätte man deinen Status 'Freifrau' genannt. Auch deine gesellschaftliche Stellung hier als Frau eines Wangpoo -Ratsherrn- entspricht in etwa der europäischen Freifrau. - Und entscheide dich dann."

"Hm, Freifrau - aber mit orientalischem Touch. Also soo frei nun auch wieder nicht."

"Liebes, lass das Leben in den nächsten Wochen auf dich einwirken und entscheide dich dann, ob es dir gefällt - mit mir an deiner Seite."

"Ich habe eben versucht, meine Eltern anzurufen, um sie zu beruhigen. Ihnen zu sagen, dass ich gut angekommen bin. Das Handy ist tot: Kein Netz!"

"Ja, Liebes, hier gibt es keine Sendemasten. Eine Verbindung über Satellit ist möglich. Haben deine Eltern Skype?"

"Leider nein."

"Wenn du ihnen einen Brief schreibst, wird ein Händler ihn im südlichen Flachland per Luftpost abschicken."

"Wie lange dauert es, bis der Brief meine Eltern erreicht?"

"Hm, möglicherweise zwei Wochen."

"Oh, schneller nicht?"

"Nein, Liebes, leider nicht."

"Kri-kri hat mir heute eine Reihe von Tier- und Pflanzennamen beigebracht, deren Bilder auf den Wandteppichen zu sehen sind. Kannst du mir nicht helfen Sätze zu bilden, Liebster?"

"Gern, dann gewinnt der Sprachunterricht tagsüber auch an Fahrt," lächelt mein Schatz und gibt mir einen Kuss. Ich spüre seine Zunge zwischen meinen Lippen und gebe mich ihm ganz hin.

*

Am folgenden Morgen liegen wir nach dem Wachwerden noch lange eng aneinander gekuschelt im Bett. Mit sanfter Stimme lehrt Lobsang mich, einfache Sätze in seiner Sprache zu bilden und bringt mir dafür Adjektive bei, wie Champa -liebevoll-, Kyibu -glücklich-, Chinpa -großzügig-, Dampa -wahr, authentisch-, Thaye -grenzenlos, endlos-, tsultrim -verantwortlich. Dann darf ich ungestört in seinem Büro einen Brief an meine Eltern schreiben.

Als ich ihm den Brief übergeben will ist er nicht mehr im Schlafzimmer, aber ich höre etwas im angrenzenden Badezimmer. Ich lege den Brief auf das Bett, öffne die Tür zum Badezimmer und sehe ihn in der Wanne sitzen. Daneben ein Ding wie eine Gasflasche unter dem ein kleines Feuer brennt - der Warmwasserboiler.

"Hey, Liebling, ohne mich..." versetze ich mit Bedauern in der Stimme.

Lobsang grinst, seine Augen strahlen. Er schnippt ins Wasser und ein paar Tropfen nässen leicht die landestypische Kleidung, die ich trage.

"Bald, mein Engel," sagt er, taucht noch einmal unter und entsteigt der Wanne. Was für ein Körper...

Ich reiche ihm das bereitliegende große Tuch zum Abtrocknen. Zum Dank küsst er mich sanft auf die Nasenspitze. Ich dränge mich an ihm und beginne ein Zungenspiel, das er bereitwillig mitmacht.

"Liebes, lass dir von Kri-kri den Hauswirtschaftstrakt zeigen und dir erklären, wie wir das alles benennen. Ich muss in den Rat, bin aber heute Mittag zum Essen zurück," sagt er dann und zieht sich schnell besonders schöne Kleidungsstücke an. Dann drückt er mich noch mal an sich, streicht mir durch mein Haar und gibt mir einen Abschiedskuss.

*

... link (0 Kommentare)   ... comment