Samstag, 19. März 2022
Lon-Wa-Lha - 04
Ich habe in den vergangenen Minuten schnell eine Skizze zu Papier gebracht und schiebe sie ihm nun über den Tisch. Dabei erkläre ich:

"Wir haben gesehen, wie Frauen zum Bach gekommen sind, um Wasser zu schöpfen und mit vollen Krügen auf den Schultern wieder in den Ort zurückgegangen sind. Wir haben in Cuiraraill dafür einen sogenannten Wasserturm. Dort hinein pumpen wir Wasser aus dem Bach am Rand unseres Ortes. Auch aus Grundwasserbohrungen stammt das Wasser, um Dürren auszugleichen. Wenn Sie einen Wasserturm errichten würden und von dort Leitungen in jedes Haus von Lon-Wa-Lha legen könnten, hätten sie fließendes Wasser mit immer gleichem Druck in den Häusern und ihre Kamlahari bräuchten nicht mehr so viel schleppen!"

"Das ist tatsächlich eine Überlegung wert!" meint der junge Mann. "Aber wie bekommt man Wasser in solch einen Turm?"

"Es muss gepumpt werden. Das geht per Wasser- oder Windkraft, oder mit elektrischen Pumpen. Wasserdicht bekommen Sie die Tanks mit der Technik der alten Römer: Kleiden Sie die Tanks innen mit wasserdichtem Beton aus. Ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen. Ihre Handwerker dürfen gerne eigene Ideen verwirklichen. Wo sie nicht weiterkommen, hilft das Internet über die Hürde. So können sie später stolz auf ihre eigene Leistung sein!"

"Ah, okay. Und ihre zweite Idee?" fragt er nun.

"Ich habe überlegt, dass wir uns leicht verzetteln, wenn wir die Handwerker einzeln in ihren Werkstätten besuchen und nach ihren Produkten fragen... Wie wäre es, wenn Sie eine Verkaufsmesse veranstalten würden, natürlich kleiner als in Europa üblich? Ich denke da an Stände in der Festhalle, wo jeder Handwerker seine Produkte vorstellt. Wir könnten uns dort alles an einem Platz anschauen und sehen, was bei uns in Cuiraraill Absatz findet.
Vielleicht kann man ein Video von der Verkaufsshow erstellen und es nach Prabal Jagan, Hagenholt und Bunrei no Shima senden. Dadurch ergeben sich bestimmt noch weitere Geschäftsbeziehungen."

"Auch diese Idee hat etwas für sich," meint Wangpoo Lobsang Gonpo. "Aber wenn dann Aufträge hereinkommen, wo bringen wir die Waren hin, damit sie ihre Abnehmer erreichen? Schließlich erweitern wir damit unseren Wirkungskreis auf Übersee!"

"Ihre Yak-Karawanen erreichen einen Umschlagplatz, wo die Waren auf Lastwagen umgeladen werden können, sagte ihr verehrter Vater!" entgegne ich ihm.

Der Wangpoo -Ratsherr- nickt und schaut erwartungsvoll.

"Also können die Lastwagen Dhaka erreichen," meine ich. "Dort müssen die Waren auf Flussschiffen weiter in die Sundarbans transportiert werden. Von Khulna lassen sie sich auf Seeschiffe verladen und zu ihren Abnehmern bringen. Die Bewohner von Prabal Jagan können ihre Waren in Khulna direkt in Empfang nehmen!"

"Hm, okay," meint mein Gesprächspartner. "Ich werde dem Wandii ihre Vorschläge unterbreiten!"

*

Während mein Curadh mit dem Wandii zu der schnell aufgebauten 'Messe' geht, um sich die Produkte anzuschauen, die in Lon-Wa-Lha erzeugt werden, unterhalte ich mich mit Leonie Yiga, der Frau des hiesigen Ortsvorstehers.

Sie erzählt, dass sie aus Deutschland stammt und Tashi Gonpo auf der Universität in Gießen kennengelernt hat. Also hat auch der Vater von Lobsang Tenzin Gonpo in Europa studiert. Als der jetzige Wandii mit seinem Studium fertig gewesen ist, ist auch er zurückgeholt worden. Damals hat Lon-Wa-Lha aber noch in Tibet gelegen. Das chinesische Militär hat den Ort zerstört und die Überlebenden sind in den Himalaya geflüchtet.

Sie haben sich hier ein neues Leben aufgebaut. Dann ist sie mit Lobsang schwanger geworden. Nach dem Besuch der Klosterschule haben sie eine Universität in Europa gesucht, die auch ausländische Studenten aufnimmt. Bei der Universität in Cork hat Lobsang die Aufnahmeprüfung bestanden.

Nun erzähle ich ihr im Gegenzug meinen Werdegang, wie ich den irischen Grafen in einem Pub meiner Heimatstadt an der deutschen Nordseeküste kennengelernt habe und mich bald darauf in ihn verliebt habe. Bald fragt sie mich auch nach dem Verhältnis der Geschlechter zueinander in Cuiraraill.
Ich erkläre ihr, dass bei uns zumeist die Männer Haushaltsvorstände sind. Die Frauen lassen sich gerne führen, weil sie den Männern vertrauen können.

"Das ist jetzt nicht Ausdruck einer verliebten und dadurch verklärten Sicht auf die Dinge?" fragt sie reserviert zurück.

Ich schüttele den Kopf und sage:
"Unseren Lebensstil haben wir von der amerikanischen Christian Domestic Discipline abgeschaut. Dort wird er von christlichen Fundamentalisten gelebt. Da wir aber nicht ständig mit der Bibel unter dem Arm herumlaufen wollen und mit Bibelversen um uns werfen - die meist aus dem Zusammenhang gerissen werden und über die letzten 1600 Jahre auch einem Bedeutungswandel unterworfen waren oder fehlinterpretiert werden können, haben wir uns weiter umgesehen.
Irgendwer hat den Begriff des LDD, des Loving Domestic Discipline geprägt... Wir sind in Japan fündig geworden. Dort gibt es eine Jahrzehntausende alte Naturreligion, den Shinto, der die japanische Gesellschaft geprägt hat. Es gibt ein japanisches Frauenideal, das poetisch Yamato Nadeshiko genannt wird, die japanische Prachtnelke. Es besagt, dass die Frau sich nach außen willensstark gibt und sich durchsetzen kann. Dennoch ist sie nicht unabhängig oder selbständig wie die westliche Frau, sondern findet in der Unterwerfung unter einen starken Mann ihre Erfüllung. Ihm ordnet sie sich bedingungslos unter, folgt ihm und gibt sich ihm hin.
Sie begegnet ihrem Mann in vielen Rollen: Einmal ist sie ihm das Dienstmädchen, dann die Geisha, schließlich eine Gesellschafterin und endlich eine liebende Hausfrau."

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